: Madonna in Moskau
Kurz vor dem mit Spannung erwarteten Auftritt der Pop-Ikone herrscht in der russischen Hauptstadt das Chaos
MOSKAU taz ■ „Schlag dich zu Madonna durch“, warben Plakate der Popkönigin in Moskau. Die Stadtväter sahen darin einen Aufruf zu Gewalt und ließen die Poster prompt wieder abmontieren. Werbung wäre ohnehin nicht nötig gewesen. Die Moskauer rissen den Veranstaltern die Karten aus den Händen. Nach vier Tagen war das Konzert ausverkauft. So etwas hatte es noch nie gegeben. Russische Popfans sind eher nüchtern. Wenn Personenkult, dann gilt er dem Staatschef. Alle anderen Wesen sind – wie sie – aus Fleisch und Blut.
Die inländische Unterhaltungsbranche wertet den Zwischenstopp der Diva als Ritterschlag. Nun sei Moskau auch in den Kreis der führenden Weltkulturmetropolen aufgenommen. Die russische Ausgabe der Newsweek beurteilt den Wirbel eher skeptisch: Am Werk seien idiotische Bürokraten, habgierige Polizisten, selbst ernannte Verteidiger russischer Spiritualität und Beschwörer vager Terrorszenarien und dazu die landestypische Schlamperei – „Russlands ewige Kinderkrankheiten“.
Das Konzert sollte zunächst auf den Sperlingsbergen, dem höchsten Punkt Moskaus, stattfinden. Vor der Kulisse der Universität, einem imposanten Wolkenkratzer aus Stalins Zeiten. Die Karten waren schon verkauft. Doch dann machten Gerüchte die Runde, 250.000 Fans würden erwartet. Außerdem behauptete Moskaus Polizeichef Wladimir Pronin, assistiert vom Inlandsgeheimdienst, 100.000 Fans kämen mit gefälschten Karten. Niemand könne für Sicherheit garantieren. Erst eine Woche vor der Großveranstaltung fand sich ein Ausweichquartier: Olympiastadion Luschniki. Nun sind neben den 36.000 tatsächlich verkauften Tickets noch 15.000 zusätzliche im Angebot. Von den Fälschungsgerüchten der Behörden war plötzlich keine Rede mehr.
Wer allerdings Madonna erleben möchte, muss bis heute alte gegen neue Karten tauschen. Ob es beim neuen Veranstaltungsort bleibt? Die extreme Beschallung könne die Statik des 1956 errichteten und später überdachten Stadions zum Einsturz bringen, warnte Nodar Kantscheli diese Woche. Der ehemalige Stararchitekt erlangte traurige Berühmtheit, nachdem zwei seiner Gebäude einstürzten.
Auch der Tag des Auftritts wurde vom 11. auf den 12. September noch verschoben. Man munkelt, die orthodoxe Kirche stecke dahinter, weil sie an einer Kreuzigungsszene der Exzentrikerin Anstoß nimmt. Religiöse Fanatiker schimpften sie eine neue Salome, die für die blasphemische Show ausgerechnet jenen Tag auswählte, an dem die Kirche der Enthauptung Johannes des Täufers gedenkt. Mit einem Holzspieß durchbohrten aufgebrachte Enthusiasten der „Union rechtgläubiger Bannerträger“ im Stadtzentrum ein Porträt der „Antichristin“, das einem Vampir sehr ähnlich sah. Die Exekution per Speerstoß fand am helllichten Tag statt. Obwohl das Außenamt der Kirche vor den schädlichen Folgen des Konzertbesuchs warnte, soll die Kremlpartei „Vereinigtes Russland“ für ihre Mitglieder das größte Kartenkontingent erworben haben.
An dem Chaos seien die Amerikaner schuld, meint Russlands Pop-Instanz Artemi Troizki augenzwinkernd. Einer Moskauer Agentur wäre so etwas natürlich nicht passiert. Um ein paar Rubel zu sparen, beauftragten die Amerikaner einen Veranstalter aus Sankt Petersburg. Moskauer hingegen wüssten genau, welchem Amtsschimmel man wie viel zustecken muss, bevor sich etwas bewegt.
KLAUS-HELGE DONATH
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