piwik no script img

Abschied vom Untenrum-Papst

NACHRUF Er war witzig, klug und gutaussehend. Und er hat dafür gesorgt, dass sich seine Generation sexuell befreit. Nun ist Oswalt Kolle 81-jährig gestorben

„Liebe kann man nicht lernen, Sexualität sehr wohl“

OSWALT KOLLE

VON ANJA MAIER

Er konnte mächtig laut werden, dieser Oswalt Kolle. Vor allem, wenn es gegen die katholische Kirche und deren Sexualmoral ging, um Verklemmungen und Lügen in Bezug aufs Körperliche – da wurde er sehr ungehalten. Sonst aber war er ein sinnenfroher, schöner Mann, dem es große Freude machte, andere herauszufordern mit steilen Thesen über die Liebe. Denn die, gerade die körperliche, war sein großes Lebensthema. Nun ist Oswalt Kolle mit 81 Jahren gestorben.

Geboren wird Oswalt Kolle 1928 in Kiel. Bereits sein Großvater setzte sich als Medizinprofessor für die Rechte von Homosexuellen ein, Kolles Vater durfte als Psychiater unter den Nazis nicht publizieren. Oswalt absolviert nach dem Krieg zunächst eine Ausbildung in der Landwirtschaft. In den fünfziger Jahren entdeckt er als Boulevardjournalist sein Lebensthema: die sexuelle Aufklärung.

Ab 1967 schreibt er für die Neue Revue die Serie „Das Wunder der Liebe“, im Jahr darauf veröffentlicht er das gleichnamige Buch. Fortan gilt er als „Sexpapst“. Zwischen 1968 und 1972 dreht Kolle acht Aufklärungsfilme. Die Reaktionen von Kirche, Politik und Medien sind heftig: Kolles Familie wird schikaniert und bloßgestellt, am Ende gehen die Kolles in die liberaleren Niederlande. Einen so prominenten Gegner wie die Kirche wird er nie mehr finden.

Dennoch, der Erfolg gibt ihm recht: mehr als hundert Millionen Zuschauer sehen weltweit seine Kinofilme, die mit den prüden Normen der Kriegsgeneration brechen. Die Zeiten ändern sich – auch dank ihm. „Liebe kann man nicht lernen, Sexualität sehr wohl“, mit diesem Lehrsatz klärt Kolle sein Publikum auf. Stilprägend für seine Filme sind die herrlich trockenen Off-Kommentare.

Auch mit seinem Privatleben sorgt Oswalt Kolle für Schlagzeilen. Als Bisexueller lebt er mit seiner Frau Marlies in offener Ehe, die beiden haben drei Kinder – eine große Projektionsfläche für Fantasien, die Ausschweifungen des Aufklärers der Nation betreffend. Seine Affären mit Horst Buchholz und Romy Schneider gehen durch die Klatschpresse. Als es mit der Schneider ernst wird, gibt Marlies ihn frei mit den Worten: „Ich will lieber einen glücklichen Vater als einen unglücklichen Ehemann.“ Ein Arrangement, mit dem mindestens einer der beiden Partner vollauf zufrieden sein konnte. Im Hause Kolle leben damals übrigens auch zwei Hausangestellte, die allmorgendlich unter Kolles Aufsicht die Pille schlucken müssen. Keine Sorge, der Feminismus wird sich sehr bald Bahn brechen.

Im Jahr 2000, nach 47 Jahren Ehe, stirbt Marlies. Ihr Mann hilft ihr hinüber. Sterbehilfe, würdiges Alter – das sind seine letzten Themen, bis zum Schluss hat er ein hervorragenes Gespür für das, was die Leute bewegt. Wieder ist es das Verdruckste, das ihn aufregt, wieder kann er sehr entschieden werden, wenn es um die Rechte seiner Generation geht. Es ist eines seiner ganz großen Verdienste, für die Nachkommen auch noch den Tod enttabuisiert zu haben.

Am Freitag vergangener Woche ist Oswalt Kolle in Amsterdam gestorben. Er wäre am 2. Oktober 82 Jahre alt geworden. Dass seine Familie die Öffentlichkeit erst eine Woche später, erst nach der Beisetzung, informiert, gehört wohl auch zu seinen Vorstellungen von Selbstbestimmung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen