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Weiblich, mittelalt, schwer vermittelbar

MITFÜNFZIGERINNEN Die Durchleuchtung der Frau ist einen Schritt weiter. Jetzt haben sich zwei Autorinnen denen in der Lebensmitte genähert. „Die verratene Generation“ heißt ihr Buch

Erst hat Katja Kullmann die „Generation Ally“ ausgemacht. Dann erfanden Susanne Klingner und Meredith Haaf die „Alphamädchen“. Vor drei Jahren beschrieb Bascha Mika die „feigen Frauen“, vor Kurzem hat sie älteren Frauen eine „Mutprobe“ zugestanden. Über Frauen, so scheint es, ist alles gesagt und alles geschrieben. Vom Emanzipationsbestreben zum Karriereknick, von Liebes- und Familienwünschen bis hin zu Lifestyleattitüden. Was soll da noch kommen?

Da kommt noch was. „Die verratene Generation“ beispielsweise. So zumindest bezeichnen Christina Bylow und Kristina Vaillant Frauen um die 50, also jene Frauen in der Lebensmitte. Und denen werde jede Menge zugemutet, beklagen die beiden Journalistinnen in ihrem gleichnamigen Buch. In nahezu allen Bereichen ziehen die heute Fünfzigjährigen den Kürzeren: Job, Kinder, Familie, Verdienst, Rente.

Diese mittelalten Frauen sind zwar so gut ausgebildet, wie keine weibliche Generation zuvor es war. Sie können zwar Baumaschinistin sein, Staatssekretärin, Aussteigerin, Prostituierte. Sie können Kinder haben oder keine, sie können arbeiten oder heiraten. Sex haben, mit wem sie wollen und sooft sie wollen. Und sie sind unübersehbar. 1964 wurden 1,51 Millionen Kinder geboren, so viel wie nie zuvor und nie wieder danach. „Die Babyboomer sind eine Massenerscheinung“, schreiben die Autorinnen. Aber eine, die bislang „seltsam diffus“ geblieben, um die „herumgeschrieben“ worden sei. Und die Frauen unter ihnen seien trotz ihrer großen Zahl „unsichtbar“.

Das klingt, als hätten sich Bylow und Vaillant einer Menschengruppe genähert, der das Etikett „schwer vermittelbar“ anhaftet. Lauter Problemfälle, die man nicht loswird, mit denen man aber leben muss. „Wir waren einfach da und haben uns irgendwie arrangiert“, sagen die beiden Autorinnen über die Generation, der sie selber angehören. In diesem Arrangement haben die Mitfünfzigerinnen Enormes geleistet. Trotzdem, wie die Autorinnen sagen.

Die Mitfünfzigerinnen fühlten sich für alles verantwortlich, sie hatten hohe Ansprüche an sich, an ihren Beruf, als Mutter, Hausfrau, Ehefrau, Freundin. Andererseits geben sie sich mit schlechter bezahlten Jobs zufrieden, mit Teilzeitstellen, mit Kinderlosigkeit, wenn sie Karriere machen wollen, mit dem Hausfrauendasein. Mit absehbar geringen Renten und mit Männern, die sich vielfach nicht um das scheren, was ihre Frauen wollen. Oder anders ausgedrückt: Frauen um die 50 wurden vom Staat, von der Gesellschaft und von den eigenen Männern vernachlässigt. Das haben sie nicht verdient, klagen Bylow und Vaillant an. Vor allem, weil der Staat diese Vernachlässigung fördert.

Erst sollen die Frauen studieren, dann aber zu Hause bleiben, Stichwort: Ehegattensplitting. Sind Kinder da, geht das manchmal nicht anders, weil es keinen Kitaplatz gibt. Reicht das Geld des männlichen Haupt- oder Alleinernährers nicht, muss eine Teilzeitstelle her. Und wenn die Scheidung droht, hängt die dann Alleinerziehende häufig in der Hartz-IV-Falle. Und im Alter in der Armutsmisere: Über 40 Prozent der Betroffenen im Westen müssen mit einer gesetzlichen Rente von unter 600 Euro rechnen. Bei den Ostfrauen sind es nur 20 Prozent – wegen der langen Berufstätigkeit.

Alles richtig, alles ausführlich recherchiert und alles genau belegt. Mit Studien, Expertenmeinungen und -erklärungen, mit Fallbeispielen und vielen Zahlen. Bylow und Vaillant legen eine Bestandsaufnahme vor, eine Art Frauenkanon, der im Regal vieler Bundestagsabgeordneter stehen sollte.

Nur: Werden die das Buch bestellen und lesen? Fraglich. Nicht nur die Frauen um die 50 haben sich arrangiert. SIMONE SCHMOLLACK

Christina Bylow, Kristina Vaillant: „Die verratene Generation. Was wir den Frauen in der Lebensmitte zumuten“. Pattloch Verlag, München 2014, 256 S., 16,99 Euro

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