: Ohrfeigen kriegt, wer sie verdient
Gerüchte frisch von der Reeperbahn oder Einkaufstipps vom Altonaer Bahnhof findet man im Internet in lokalen Weblogs. Dort schreiben Hamburger Blogger vom Leben in ihrem Viertel. Und manchmal kommt es zum virtuellen Schlagabtausch
Von Silke Bigalke
Der Fischblogger aus Altona erinnert sich an seinen Unfall, den er vor vier Jahren hatte. Im Online-Archiv ist über seinen Crash nachzulesen: 13 Schrauben in den Knochen, 50 Stiche und 21 Kommentare von Besuchern der Internetseite, die dem Autor Gute Besserung wünschen.
In über 500 Online-Tagebüchern, die derzeit auf der Sammelseite hamburg.blogplan.de angemeldet sind, breiten Hamburger ihr Privatleben aus. Sie kommentieren die aktuelle politische Lage oder geben Tipps, welcher Friseur im Viertel der beste sei. Vor allem in St. Pauli und Altona sind in den letzten beiden Jahren immer mehr Weblogs dazugekommen. Sie zeigen ihren Stadtteil von einer Seite, die in keinem Reiseführer oder Heimatbuch zu finden ist.
Wer „St. Pauli“ bei Google eingibt, findet unter den ersten Treffern den Blog von Maunamea, die sich im Web „Kapitänin der Herzen“ nennt und anonym bleiben möchte. Die Redakteurin eines Hamburger Magazins nutzt das Internet, um all die kleinen Geschichten zu erzählen, die nie gedruckt werden. Neulich zum Beispiel hat sie ein Lokal gefunden, das Pizza zum Frühstück anbietet. Oder eine blonde Frau, die ihre Haare zur Hälfte blau gefärbt hat. Die Frisur krönte im Großformat für einige Tage Maunameas virtuelle Titelseite.
„Pauli ist der ideale Ort zum Bloggen“, sagt sie. „Die Reeperbahn rauf und runter quatschen die Leute gerne, wie auf dem Dorf.“ Maunameas Lieblingsquelle für Kuriositäten und Gerüchte ist die Fischfrau von nebenan. Die Autorin bemüht sich, niemanden mit ihrem Blog auf die Füße zu treten. „Ohrfeigen bekommt nur, wer es verdient hat“, sagt sie. So wie der Versicherungsvertreter, der in Maunameas Wohnzimmer zu lange Monologe hielt. Ihr Freund, wenn er sie Schnucki nennt. Oder Autofahrer, die ungeduldig hupen, bevor die Ampel grün wird.
„Je weniger Menschen wissen, wer ich bin, um so mehr Geschichten kann ich schreiben“, sagt Maunamea. Darum weiß nur ihre Familie von ihrem Blog. Der anonymen Autorin war es fast unheimlich, als sie eines Tages gleich zwölf Lesermails bekam. Alle wollten den Duplo-Sammelaufkleber von Oliver Kahn haben, den Maunamea für ihr Blog fotografiert hatte. „Ich bleibe auch deswegen anonym, damit nicht irgendwann ein Leser nachts an der Tür klingelt,“ sagt sie.
Genau das ist ihrem Blognachbarn Matthias Wagner passiert. Der Musikjournalist wohnt nur wenige Meter von Maunameas Büro entfernt in der Seilerstraße. Sein Blog heißt „Die Rückseite der Reeperbahn“ und hat gerade ersten Geburtstag gefeiert. „Ich war ganz schön naiv, als ich anfing“, erzählt Wagner, der sogar seine Adresse im Internet angibt. Tatsächlich standen eines Nachts um ein Uhr zwei junge Männer vor seiner Tür und wollten ihn kennen lernen.
Damals wollte Wagner „die beiden Welten“, Blog und Realität, auseinander halten. Heute ist das anders. Viele Blogger, die er erst im Web und dann zum Kaffee getroffen hat, sind seine Freunde geworden. Wenn er durch St. Pauli läuft, hält er immer die Augen nach neuen Geschichten für sie offen. „Blog-Blick“ nennt er das. „Früher habe ich mehr gelesen oder Backgammon gespielt“, sagt Wagner. „Jetzt ist der Blog meine allabendliche Pflicht.“ Schließlich warteten im Schnitt 400 Leser täglich darauf, dass er etwas schreibt. 364 Geschichten hat Wagner in einem Jahr geliefert, über den traurigen Blick eines hungrigen Hundes vorm Café, von der unheimlichen Begegnung mit einem polnischen Fußballfan, oder von den Ohrwürmern, die Reeperbahnanwohner die ganze Nacht wachhalten. „Das ist ein Teil meines Lebens, der sich verselbstständigt hat.“
Ruhiger als in St. Pauli ist es in Altona, zumindest auf den Straßen. Im Internet geht es auch dort hoch her. Im virtuellen Blogplan findet man allein am Bahnhof Altona 15 Blogs. Eines, altona-nord.blogspot.com, gehört dem Schüler Lennart Ott. Er ist in Altona geboren, geht dort in die 13. Klasse und hat sein Blog dem Stadtteil gewidmet. „Im Internet kann jeder Journalist sein“, sagt Ott. „Das ist immerhin die vierte Säule der Demokratie.“ Deswegen kommentiert er Themen wie den Putsch in Thailand, den Wahlerfolg der NPD oder das letzte Spiel von St. Pauli in seinem Blog. Dort ist auch die Seite von Otts Freund verlinkt. Zusammen mit ihm erzählt Ott im Netz die Geschichte von Maria und Siegfried, die auf der zugefrorenen Alster Schlittschuh laufen und zwischen denen sich eine zarte Liebe anbahnt.
Gänzlich unromantisch geht es beim Blog pop64.de von Sven Dietrich zu. Der Webdesigner ist Blog-Profi und ruft im Netz zum Wettkampf zwischen seiner alten Berliner Heimat Prenzlauer Berg und dem neuem Zuhause in Hamburg-Altona auf. In immer neuen Kategorien wie Umzüge, Einkaufsmöglichkeiten, Kommunalwahlen vergleicht er die beiden Städte. „In Altona gefällt mir der Elbstrand am besten“, sagt Dietrich. „Und der Bahnhof. Da bekomme ich nämlich immer das Berliner Stadtmagazin Zitty.“ Einen Vergleich zwischen Hamburger und Berliner Bloggern ins Netz zu stellen, hat sich Dietrich noch nicht getraut. „Die würden sich alle online rächen.“
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