: Hölder und der Tod
SCHWABENDRAMA Uta-Maria Heim sucht im Ländle nach nicht vergehen wollender Schuld und begibt sich auf die Spuren Hölderlins und der RAF
Sollte irgendwo ein randständiger Preis vergeben werden für den Kriminalroman mit den meisten Fußnoten des Jahres, so hätte Uta-Maria Heim diese Auszeichnung schon jetzt ziemlich sicher in der Tasche. Insgesamt 67 teils recht umfangreiche Fußnoten zählt ihr neuer Roman „Wem sonst als Dir“. Die Tatsache, dass diese Anmerkungen am Kapitelende angebracht werden, macht die Lektüre auf einem E-Reader recht unbefriedigend. Man entscheidet sich notgedrungen, ohne das Hintergrundwissen auszukommen, das in den Fußnoten transportiert wird, aber es geht doch eine wichtige Dimension verloren. Denn der Hintergrund, vor dem die Handlung dieses Schwabendramas spielt, ist historisch vielgestaltig und schillert in den düsteren Farben der Nachtseiten deutscher Geschichte.
Ein kammerspielartiges Setting entwickelt sich in polyphoner Erzählweise, angefangen mit dem inneren Monolog eines psychisch Kranken. Das ist, auch wenn die Leserneugier schon auf der ersten Seite dadurch geweckt wird, dass die Mutter der Ich-Figur tot auf dem Küchenfußboden liegt, ein kühner Beginn für einen banalen Krimi. Aber genau dies, nämlich banal, ist dieser Krimi eben nicht, und vielleicht will dieses Buch auch nicht einmal Krimi sein, auch wenn es, rein sujetmäßig, das Genre durchaus bedient.
Es gibt eine Art Rahmenhandlung, die sich im Jahr 2011 abspielt. Der geistig Verwirrte, mit dessen innerem Monolog die Geschichte anhebt, ist der ehemalige Deutschlehrer Christian Schöller, der zwanzig Jahre zuvor nur aufgrund von Indizien wegen Mord an seiner Mutter verurteilt wurde. Der Staatsanwalt von damals, „K.“ genannt, nunmehr Richter, sucht den Psychiatriepatienten Schöller auf, da ihn nach all den Jahren immer noch Zweifel plagen.
K. hat eine langjährige Geliebte, die Hölderlin-Spezialistin Klara, die, da der Angeklagte um die Tatzeit herum an einem Hölderlin-Roman schrieb, zum Prozess als Gutachterin hinzugezogen worden war. Schöller wiederum hatte früher eine Schwester, Irene, zu der er eine verbotene Liebschaft unterhalten hatte, und die in jungen Jahren zur RAF und später in die DDR gegangen war, wo sie Selbstmord beging. Die Mutter der Geschwister – also die Ermordete auf dem Fußboden – hatte im KZ Grafeneck gearbeitet, der Vater hatte als Soldat an der Ostfront eine Ukrainerin geheiratet und ein Kind gezeugt.
Etliche Schichten von Schuld liegen also in dieser Familie übereinander; und diese vielfältigen Geschichtsschichten deutscher Schuld verbindet Uta-Maria Heim zu einem sprachgewaltigen Schwaben-Heimatroman. Gezielt mundartelnde Elemente stellen das sprachliche i-Tüpfelchen in einem Text dar, in dem sich all diese Schichten gegenseitig zu durchdringen scheinen. Faschismus, RAF, Stasi – eine historische Bürde zieht in der Erzählung dieser Menschen die nächste nach sich, und da ist es dann wohl auch kein Wunder, wenn sich einer irgendwann in die geistige Umnachtung flüchtet.
Zumal als Hölderlin-Experte. „Der Hölder“ nennt der Schöller den Dichter, und „Schöller“ ist natürlich dem Hölder auch sprachlich schon recht nah. Uta-Maria Heim hat offenbar nicht die geringste Angst, ihren Roman mit zu viel symbolischem Gepäck zu überfrachten. Das muss sie im Grunde auch nicht, denn das üppige Gepäck geht einher mit einer selbstbewusst barocken Sprachgestaltung, in deren weitem Faltenwurf so allerhand Platz findet. Auch so allerlei in Richtung Irreführung des Lesers. Und da kommt das Genre doch noch zu seinem Recht und auch wieder nicht. Manches darf man ahnen, wird aber am Schluss doch nur mit einer Teilaufklärung belohnt. Das aber liegt in der Natur dieses Romans, in dem die Menschen viel denken und viel erzählen, aber letztlich ein Rätsel bleiben.
KATHARINA GRANZIN
■ Uta-Maria Heim: „Wem sonst als Dir“. Klöpfer & Meyer, Tübingen 2014, 260 Seiten, 20 Euro
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