: Baulöwen und Amokläufer
Eine runde Sache war das Eröffnungsspektakel „Spuren.Suche“, mit dem Armin Petras am Gorki Theater begann. Die Stücke von Ibsen, Schleef oder Goethe verbanden sich mit der Geschichte vor Ort
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Geschichte und Geschichten: Das hat Armin Petras als neuer Intendant für das Maxim Gorki Theater versprochen, und damit ging es gleich los im Eröffnungsspektakel „Spuren.Suche“ am Wochenende. 10 Stücke werden aufgeführt, das Publikum pendelt zwischen Ibsen und Goethe, Fassbinder, Schleef und Heiner Müller, zwischen großer Bühne, Studio, dem kleinen Palais, Kantine und Parkplatz. Zwischen Rollen und Stücken wandern auch die Schauspieler: Peter Kurth, der vom Thalia Theater Hamburg mit Petras nach Berlin kam, verkörpert zuerst die schwer zu knackende Selbstherrlichkeit von Ibsens „Baumeister Solness“ und muss wenig später als reicher Onkel in Marieluiese Fleißers „Der starke Stamm“ auf die Bühne springen.
Vor allem aber sind Motive und Themen in Bewegung, Geschichten spiegeln und ergänzen sich. Die Interpretationen der Regisseure werden sichtbarer als sonst zu verhandelbaren Lesarten, die nach dem Abgleich mit dem eigenen Leben fragen. So spinnen Petras’ Inszenierungen „Baumeister Solness“ und „Das Haus“ von Einar Schleef beide am Faden einer Geschichte: Was passiert, wenn der Lebenstraum erfüllt ist, das Haus gebaut, das Leben gesichert? Und alles auf Lügen oder falschen Kompromissen beruht? Was immer als Glücksversprechen ein halbes Leben lang Antrieb war, erweist sich am Ende als nicht lebbar, eine Rechnung, die ohne die Mitmenschen aufgestellt wurde.
Spannend ist das, weil die historischen Kontexte beider Geschichten unterschiedlich sind, sie sich in den Beziehungskrisen und Empfindungen aber gleichen. Der Baumeister Solness ist als ein Emporkömmling angelegt, der zum Despoten wird. Denn er fürchtet von seinem Schüler nun so aus dem Geschäft verdrängt zu werden, wie er einst seinen Lehrmeister abserviert hat. All seine Beziehungen sind von dieser Angst infiziert; Peter Kurths Solness steht auf der Bühne wie ein Denkmal seiner selbst, das die anderen – die vereinsamte Ehefrau, der gedemütigte Schüler – zappelnd und verkrampft umkreisen, kaum mehr als lästige Fliegen. Das Drama nimmt seinen Lauf, weil Solness die Isolation in seiner selbstgebauten Festung nicht erträgt.
An dieser Figur aus der Frühzeit des Kapitalismus streicht die Inszenierung vor allem jene Züge heraus, die sich mit der Karriere der Stadt Berlin vergleichen werden lassen. Gleich zu Anfang jagt ein bildgestützter Vortrag durch die Geschichte der Stadt, und deutlich wird: Dies ist eine junge Stadt, berauscht von ihrem schnellen Wachstum und wie jeder Karrierist unsicher und fehlerbehaftet im Umgang mit der Macht.
Im „Baumeister“ spielt Andreas Leupold den abservierten Lehrmeister von Solness; in „Das Haus“ von Einar Schleef hat er wieder den Bauhelm auf. Diesmal steht er auf einer Kranbühne oder gar auf dem Dach eines Hauses hinter dem Theater. Über ihm der Sternenhimmel, mit echten Baukränen, das ist schon eine großartige Kulisse für den Monolog des Maurers Günter, der zum Amokläufer wird und das selbstgebaute Haus im Thüringer Wald Frau und Sohn über dem Kopf anzündet. Diesmal ist es nicht Macht, was die Figur isoliert und von der Realität abgeschnitten hat, sondern Günters völliges Aufgehen in kleinbürgerlichen Idealen; seine widerstandslose Anpassung an alle Leistungswünsche. Es ist eine sehr deutsche Passionsgeschichte, von Schleef mit viel Osten getränkt, aber jederzeit auch im Westen vorstellbar.
Das kurze Stück endet mit einer Bachkantate, „Ich habe genug“, von einem kleinen Orchester in einer Konzertmuschel auf dem Parkplatz vorgetragen. Die Musik nimmt den toten Maurer auf und bringt die vom Text und der schnellen Inszenierung erregten Nerven zur Ruhe. Sie ist aber auch ein Verweis auf die Geschichte des Maxim Gorki Theaters, dessen Haus von Friedrich Schinkel als Singakademie gebaut und Berliner Aufführungsort der Matthäuspassion von Bach war. Daran erinnerte ein musikalisches Vorspiel im Treppenhaus des Theaters. Vor dem Haus konnte man sich in einer alten Telefonzelle erzählen lassen, wie sowjetische Kulturoffiziere das Haus der Singakademie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zum Theater bestimmten.
Nicht zuletzt durch solch kleine Elemente wurde die „Spuren.Suche“ zu einer zunehmend runden Sache und ihre Bündelung von Autoren einer realistischen Schule schlüssig. Für den intimen Raum des Studios hatte Sebastian Baumgarten „Berlin ein Meer des Friedens“, einen Schleef-Text von 1983, inszeniert. Das ist der beklemmende Dialog zweier Eheleute, die sich mit Worten tief verletzen, körperlich dabei aber bleischwer und unbeweglich bleiben – bis zu dem Moment, wo sie den Fernseher einschalten. Ihre Gemeinheit nach innen, das wird schnell deutlich, ist die Kehrseite der Angepasstheit nach außen. Jede Beschränkung, die sie erfahren, wird zurückverlagert in den Partner und er dafür gestraft, dass man nicht rechtzeitig den Absprung in den Westen versuchte. Das war Schleefs lebenslanges Thema und Leiden, das Hässlichwerden der eigenen Gefühle. Das Bewundernswerte der Inszenierung aber ist, dass sie ihre duckmäuserischen Figuren nicht an die Karikatur verrät. Im Gegenteil: Man leidet mit ihnen.
Viel Auseinandersetzung mit der Geschichte vor Ort hat Petras für seine Intendanz versprochen, und das stand deutlich auf der Visitenkarte, die das Eröffnungsspektakel bei den Zuschauern abgegeben hat. Aber auch andere erfreuliche Nachrichten: Jan Bosses Inszenierung von „Die neuen Leiden des jungen Werthers“ ließ drei sehr heutige Menschen sehen, aber zugleich einer Sprache folgen, die sich in einen fremden und verwinkelten Gefühlskosmos hineinschraubt, voll schwärmerischer Fantasien von der Verschmelzung mit dem Universum und Ekel vor der Kühle der Vernunft. Nicht zuletzt freute man sich über die drei Schauspieler von Lotte, Werther und Albert, nämlich Fritzi Haberlandt, Hans Löw und Robert Kukulies, die ab jetzt zum neuen Ensemble des Gorki Theaters gehören. Schon sie sind ein Kapital, mit dem sich das Haus eine überregionale Ausstrahlung gesichert hat.
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