: Mut, trotz Schwermut
ANTIZIGANISMUS Romani Rose ist Vorsitzender des Zentralrats der Sinti und Roma in Deutschland. Er kämpft um Bilder in Köpfen
ROMANI ROSE
VON KIRSTEN KÜPPERS
Am Ende sitzt Romani Rose auf einem hohen Stuhl, und die Pizza kommt nicht.
Es ist in einem dieser grell beleuchteten Schnellrestaurants zwischen den Hochhäusern am Berliner Potsdamer Platz. Einer dieser neumodischen Läden, wo die Gäste auf Barhockern Platz nehmen müssen und auf Funktelefonen angerufen werden, sobald die fertige Pizza an der Theke abgeholt werden kann. Romani Rose rutscht in seinem eleganten Anzug auf dem unbequemen Hocker herum, die Sonnenbrille hat er abgesetzt, und sofort fallen wieder diese bemerkenswert dunklen Augenringe auf, die Roses Gesicht eine dauernde Schwermut verleihen. Die Leute an den Nebentischen lachen und essen, aber Rose starrt mit seinen traurigen Augen auf den kleinen Apparat in seiner Hand.
Das Pizzatelefon klingelt nicht.
Und natürlich kann man jetzt diesen Witz machen, dass das kein Zufall sein kann! Dass ausgerechnet die Pizza des Vorsitzenden des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma vergessen wird! Romani Rose lächelt ein schiefes Lächeln. Ein Lächeln, das ihn einen Moment lang wegrückt von seinem Zentralratsposten. Das zeigt, dass Rose manchmal auch einfach nur ein 64-jähriger Mann ist, der Hunger hat, und nichts weiter.
Geräumte Siedlungen
Ansonsten ist Rose ein Funktionsträger im Dauerbetrieb. Gerade jetzt. Denn das Schlimmste, was einem Minderheitenvertreter passieren kann, ist passiert: Im Juli hat der französische Staatspräsident Nicholas Sarkozy die massenhaften Abschiebungen von Roma nach Osteuropa angekündigt. Seither wurden Dutzende Romasiedlungen in Frankreich geräumt und mehr als tausend Menschen nach Rumänien und Bulgarien abgeschoben. Damit ist geschehen, wogegen Romani Rose seit mehr als zwanzig Jahren kämpft: dass ein europäischer Staat Menschen nicht als Einzelne behandelt, sondern pauschal zu einer Gruppe zusammenfasst.
„Ein Schock“, meint Romani Rose. Natürlich hat er sofort an die französische Botschaft geschrieben, hat Termine bei EU-Kommissaren gemacht, hat OSZE-Konferenzen besucht und Interviews gegeben. „Wir waren ja sehr erschrocken.“ Das Telefon klingelt jetzt andauernd, kürzlich hat eine Holocaustüberlebende nachts angerufen, Menschen schreiben besorgte Briefe. Rose muss dauernd dieselben Sätze sagen: „Präsident Sarkozy verstößt gegen EU-Recht. Die Roma sind Bürger ihrer jeweiligen Heimatländer in Europa. Für sie gelten die gleichen Rechte wie für alle Bürger. Sarkozy benutzt die Roma als Sündenbock für seine verfehlte Politik.“ Die Empörungsmaschinen, die Erklär-, Verhandlungs- und Werbemechanismen des Zentralrats arbeiten, Rose hält den Motor am Laufen.
Er stemmt sich vor allem gegen die Bilder, die jetzt überall wiederauftauchen: Menschen in bunter Kleidung, die durch die Gegend ziehen und die angeblich nicht zur Gesellschaft dazugehören wollen. Es ist ein Klischee, das sich als stabiler erweist, als Rose gedacht hat. Immerhin 70.000 Sinti und Roma leben in Deutschland, sie haben eine über sechshundertjährige deutsche Geschichte, sie haben deutsche Pässe, die meisten leben so normal wie alle anderen im Land.
Roses Kampf ist daher auch einer um die Medien. Vielleicht sieht er deswegen beim Interview aus wie ein Mann im Zeugenschutzprogramm. Rose sitzt im Trenchcoat auf einer Parkbank im Berliner Tiergarten. Die Sonnenbrille behält er auf, den Kopf dreht er weg. Rose wartet. Er lauert. „Die Medien wollen nicht die reale Situation unserer Minderheit akzeptieren“, sagt er leise. „Sinti und Roma leben in Deutschland als Angestellte oder Arbeiter, sie sind Akademiker oder auch Künstler. Einige leben im Sommer im Wohnwagen – das tun viele andere Deutsche auch. Sie leben damit in einer Normalität. Aber das Bild, das die Gesellschaft hat, besteht darin, dass diese Minderheit romantisiert wird, dass sie als unheimlich dargestellt wird. Und es besteht vor allem darin, dass man diese Minderheit mittels der Darstellung ausgrenzt.“
Vor zwei Tagen hat Rose mit dem Programmdirektor des ZDF gesprochen. Der Sender hatte bei Berichten über die Roma-Abschiebungen verlassene Baracken gezeigt, leere Plastikflaschen lagen herum, es sah aus wie auf einer Müllkippe. „Warum macht das ZDF so was?“, fragt Rose. „Die Roma waren weg. Das hatte mit den Menschen selbst nicht zu tun, die waren längst woanders. Damit macht man die Opfer zu Tätern.“ Rose will dem ZDF nun den Abteilungsleiter eines Atomkraftwerks, einen leitenden Hauptkommissar und ein Mannequin vermitteln – alle Sinti und Roma. Rose will die Erfolgreichen aufstellen gegen das Klischee von den Herumtreibern.
Ein paar Meter weiter spuckt ein Reisebus eine Touristengruppe in den Tiergarten aus, Romani Rose guckt müde ins Herbstlaub. Eine fahle Erschöpfung, die beinahe aussieht wie Resignation. Vielleicht hatte er heute einen besonders schweren Tag, wahrscheinlich hat die Sache mit Sarkozy ihn mehr getroffen, als er zugeben möchte. „Vonseiten der europäischen Regierungen hat es keinen Aufschrei gegeben. Immerhin haben eine Vielzahl von Politikern, auch aus Sarkozys eigener Partei, diese Politik scharf kritisiert“, knurrt er. „Aber der Schutz von Minderheiten ist nicht nur etwas ist für gute Zeiten.“ Es ist deutlich: Rose hat sich mehr erhofft von der Welt. Er raunt: „Man verspürt in solchen Momenten, dass man keine politische Kraft hat, sich dem entgegenzustellen.“ Die EU hat das Roma-Verfahren gegen Frankreich eingestellt
Trotzdem hat sich Rose jetzt einen Termin beim Innenministerium geben lassen. Er will einen Abschiebestopp fordern. Denn auch aus Deutschland werden Roma abgeschoben. Vor allem in den Kosovo, von wo sie während der Balkankriege geflohen sind. Im Unterschied zu Frankreich werde hier jeder Einzelfall behördlich geprüft, heißt es vom Innenministerium. Es gebe keine Kontingentabschiebungen. „Ich bin trotzdem dagegen“, erklärt Rose. „Die Lage der Roma im Kosovo ist nach wie vor besorgniserregend.“ Es sind Termine gegen die Ohnmacht, die Rose jetzt erledigt.
Dreizehn Mitglieder seiner Familie wurden in Konzentrationslagern ermordet, auch seine Großeltern. Sein Vater Oskar Rose entkam, indem er sich als Italiener ausgab. Eine halbe Million Sinti und Roma sind von den Nazis ermordet worden. Dennoch musste die Familie Rose im Nachkriegsdeutschland erleben, dass die Täter von damals als Nachbarn oder Kollegen ihrem Alltag nachgingen. Keiner hat sich bei den Roses entschuldigt, keiner hat versucht, irgendwas wiedergutzumachen. Oskar Rose betrieb in der Gegend um Heidelberg mehrere Kinos. Seinem Sohn Romani brachte er bei, dass es besser ist, den Leuten nicht zu erzählen, dass man Sinto sei. Ein Schweigen, das von der Erfahrung kommt, dass es sich in der Anonymität sicherer leben lässt. Ein Schweigen, das heute noch bei vielen Sinti und Roma andauert.
Eine nationale Minderheit
Ein Stillhalten, das Romani Rose als junger Mann nicht mehr ausgehalten hat. Er gründete den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Er und seine Mitarbeiter haben SS-Verbrecher aufgespürt, haben Prozesse geführt, sie haben Drohbriefe bekommen, sie haben viel erreicht. 1982 hat Bundeskanzler Schmidt die NS-Verbrechen an den Sinti und Roma als Völkermord anerkannt. Seit 1995 gelten Sinti und Roma als nationale Minderheit vor dem Gesetz. Und im Jahr 1997 stellte Bundespräsident Herzog den Völkermord an Sinti und Roma im Dritten Reich der Judenverfolgung gleich – Überlebende wurden finanziell entschädigt.
Fortschritte. Aber Romani Rose ist ein Mensch, dem das Vertrauen abhandengekommen scheint. Zusammengesunken sitzt er auf der Parkbank und erzählt von der Umfrage. Die Umfrage ist schon ein paar Jahre alt, aber sie sagt, dass 60 Prozent der Deutschen nicht mit einem Sinto oder einem Rom als Nachbarn leben wollten. Die Umfrage ist das, was am Ende bleibt.
Es dauert einen Moment.
Dann fängt Rose sich wieder. Er springt auf und will die Baustelle zeigen. Sie versteckt sich wenige Meter weiter neben einem Dixi-Klo. Und diese Baustelle für das Mahnmal der vom Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma ist auch so ein Sinnbild dafür, dass sich das Land immer noch schwertut mit dieser Minderheit. Mehr als zehn Jahre hat man um das Mahnmal gestritten. Um den Standort, den Entwurf, die Inschrift, zuletzt war der Künstler nicht mehr einverstanden.
Die Baustelle liegt verlassen da. Rose schiebt das Absperrgitter weg, er hebt eine Plane hoch, sein teurer Trenchcoat wird dreckig, aber Rose stellt sich hin und sagt: „Wir erwarten von der Bundesregierung, dass das Mahnmal im Mai steht. Für alles andere haben wir kein Verständnis mehr.“
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