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„Ein Schlag für die Jugendlichen“

HEIME Ein Projekt der Uniklinik München erforscht, welche Folgen die autoritäre Heimerziehung in der Haasenburg bei Kindern hinterlässt. Psychologe André Kellner warnt vor einer Wiedereröffnung

André Kellner

■ 37, ist Diplom-Psychologe, Traumatherapeut und Mitarbeiter im Projekt „Freedom“ des Klinikums der Universität München. Er leitet den Krisendienst des Ambulanten Kinderhospizes München (AKM), führt eine Privatpraxis, gibt Vorträge und Seminare zu den Themen Trauma und Burnout.

INTERVIEW KAIJA KUTTER

taz: Herr Kellner, Sie machen eine Studie über die Haasenburg?

André Kellner: Wir laden ehemalige Jugendliche der Haasenburg-Heime ein, zu uns nach München zu kommen. Fahrt und Unterkunft werden bezahlt. Wir wollen rausfinden, ob die Jugendlichen traumatisiert sind und in welchem Ausmaß.

Haben Sie denn schon mit Jugendlichen gesprochen?

Wir befinden uns am Anfang und wollen zunächst mit zwei Jugendlichen mit der klinischen Untersuchung beginnen. Einige Vorgespräche hat es bereits gegeben. Wir müssen gucken, was wir den Jugendlichen zumuten können und wie sie etwa auf die Interviews reagieren. Insgesamt haben wir ungefähr 20 Anfragen aus ganz Deutschland von Jugendlichen, die bereit sind, mitzumachen, weil sie eine klinische Untersuchung wünschen.

Was ist Ihr Ziel?

Wir haben das Projekt „Freedom“ genannt und möchten der Öffentlichkeit und der Politik deutlich machen, dass Einrichtungen wie die Haasenburg geschlossen werden müssen. Und dass es einen großen Bedarf an therapeutischen Einrichtungen gibt, in denen Kindern und Jugendlichen wirklich in ihrer Entwicklung geholfen wird – in einer feinfühligen und respektvollen Atmosphäre.

Was haben die Jugendlichen davon?

Wir wollen ihnen helfen, mit dem Erlebten zurechtzukommen. Wir werden mit den Jugendlichen erste Stabilisierungstechniken durchführen und sie über Trauma und Traumafolgen aufklären. Anschließend überlegen wir gemeinsam, was diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen brauchen. Wir sind im Austausch mit einem großen therapeutischen Netzwerk, über welches wir dafür sorgen können, dass sie einen geeigneten Therapieplatz in der Nähe ihres Wohnorts bekommen.

Was denken Sie: Sind die Jugendlichen durch das Heim traumatisiert oder durch frühere Erlebnisse?

Sowohl als auch. Wir wollen schauen, ob durch die Zeit in diesen Heimen etwa frühere Traumata verstärkt wurden. Wenn ein Jugendlicher schon schlimme Dinge erlebt hatte, kann es sehr schädlich sein, wenn er überwiegend allein in seinem Zimmer quasi in „Einzelhaft“ war. Das kann retraumatisierend sein und alte Erfahrungen wieder hochspülen.

Und das hat lange Folgen?

Die Haasenburg

■ Die drei Heime der Haasenburg GmbH wurden nach Berichten in der taz Ende 2013 vom brandenburgischen Jugendministerium geschlossen. Ministerin Martina Münch (SPD) erklärte sie nach Erhalt eines externen Untersuchungsberichts für nicht reformierbar. Ende Februar entschuldigte sich Münch bei den Jugendlichen dafür, dass ihnen nicht geglaubt wurde.

■ Der Heimträger ging gegen die Schließung gerichtlich vor. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg legte Anfang dieser Woche einen Vergleichsvorschlag vor, wonach die Haasenburg GmbH mit einem neuen Konzept bald wieder öffnen könnte. Das Ministerium prüft dies.

■ Das Projekt „Freedom“ wendet sich an ehemalige Haasenburg-Kinder und wird von Dr. Karl-Heinz Brisch geleitet. Er ist international einer der führenden Bindungsforscher, publizierte zu Bindungsstörungen und Frühtraumatisierungen von Kindern und leitet die Abteilung Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie an der Kinderklinik und Poliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Uni München.

So ein Zustand von extremem Dauerstress kann zu körperlichen und seelischen Schädigungen führen. Wir bezeichnen das als Posttraumatische Belastungsstörung. Diese Menschen leiden dann später unter den Folgen der Traumatisierungen. Dazu gehören auch Depressionen, Ängste und aggressives Verhalten, da sich die Menschen durch das Ereignis innerlich sehr verändert haben.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat im Rechtsstreit als Vergleich vorgeschlagen, dass die Haasenburg wieder öffnet.

Oje. Das wird ein Schlag für die Jugendlichen.

Es soll ein neues Konzept entwickelt worden sein.

Das wird nichts helfen. Der Name Haasenburg reicht. Ich gehe davon aus, dass das eine sehr schlimme Nachricht für alle diejenigen Jugendlichen ist, die ehemals in der Haasenburg festgehalten wurden. Nach ihren Schilderungen ist davon auszugehen, dass ihnen in der Haasenburg auch Gewalt angetan wurde, auf verschiedenen Ebenen, emotional, psychisch und körperlich. Wenn der oder die Täter nicht vom Staat zur Rechenschaft gezogen werden, sondern ihnen zugesprochen wird, weiterzumachen, ist das gelinde gesagt ein Schock für die Betroffenen. Da bricht wieder alles zusammen. Die sehen nur: Die kriegen Recht und können weitermachen, wir dagegen hängen fest, weil wir ohne therapeutische Hilfe kaum auf einen gesünderen Weg kommen.

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