piwik no script img

Achtung, Spoiler!

FANTASY-SERIE HBO macht in London Werbung für die vierte Staffel von „Game of Thrones“ – verraten werden soll dabei aber nichts

Wer die Bücher liest, weiß mehr als der Seriengucker. Ob er am Ende aber richtig liegt, ist ungewiss

VON MARLENE HALSER

Alles, was in London zu sehen ist, dauert eine Minute und 43 Sekunden. Kurze Bilder von Feuer und Schwertern, ein paar Sätze, aus denen sich mehr erahnen als erfahren lässt. Eine Preview der ersten Folge – wie sonst üblich – gibt es nicht. „Noch nicht fertig“, heißt es offiziell. Will heißen: Die Handlung ist tabu.

Am Montag startet auf Sky Go die vierte Staffel der US-Erfolgsserie „Game of Thrones“. Die dritte Staffel ging mit einem emotionalen Desaster für die Fans zu Ende: Einige der wichtigsten Charaktere mussten vollkommen unvorhergesehen dran glauben. Seither ist klar: „Vala morgules“, das Motto der Serie, ist wörtlich zu verstehen: „All men must die“, und zwar auch dann, wenn ihre Rolle zuvor tragend für die Handlung war.

Nun also die neue Staffel. Der US-amerikanische Bezahlsender HBO hat in ein exquisites Hotel nahe dem Buckingham Palast in London geladen, um den Serienstart zu bewerben. Ein knappes Dutzend der Darsteller sind angereist. Sagen aber dürfen sie nichts. Soeben haben Carice Van Houten und Liam Cunningham das Zimmer betreten und auf den beiden freien Stühlen Platz genommen. Van Houten spielt in der Serie „Melisandre“ eine Priesterin, die mit ihren magischen Fähigkeiten dem „Lord of Lights“ huldigt. Und Cunningham verkörpert Davos Seaworth, einen Ritter, der seinen verbitterten König zurück auf den rechten Weg bringen will.

Die Handlung von „Game of Thrones“ ist in groben Zügen schnell erzählt: Auf den beiden fiktiven, mittelalterlich inspirierten Kontinenten Westeros und Essos streiten verschiedene Adelsgeschlechter darum, wer auf dem „Eisernen Thron“ sitzen und damit über die sieben Königreiche herrschen soll. Außerdem wird Westeros von der Vorahnung einer herannahenden Winterdekade überschattet, die in Form von namenlosen, aber mit einiger Gewissheit todbringenden Wesen alle in Angst und Schrecken versetzt. Derweil sammelt die einzige Nachfahrin der zuletzt das gesamte Königreich beherrschenden, jedoch gestürzten Dynastie ihre Truppen auf dem entfernten Essos, um die Herrschaft über die beiden Kontinente zurückzuerobern.

Das Fantasy-Spektakel ist fulminant mit Spezialeffekten und an Drehorten auf verschiedenen Kontinenten umgesetzt. Der Etat der ersten Staffel wird auf 50 bis 60 Millionen US-Dollar geschätzt, die Pilotfolge soll damals zwischen 5 und 10 Millionen Dollar gekostet haben. Ganz großes Kino also, so wie US-Serien das eben heute sind.

Was ihren Charakter in der vierten Staffel denn erwarte, fragt einer der Journalisten die beiden Darsteller. „Das werde ich nicht verraten“, sagt Van Houten und streicht sich die leuchtend rot gefärbten Haare aus dem Gesicht. „Ich will doch niemandem den Spaß verderben.“

Nichts ist unter Serien-Fans verhasster als der Spoiler. Weder der Sender noch die Darsteller wollen sich dieses Verbrechens schuldig machen. Keine Andeutungen, keine vielsagenden Hinweise. Lediglich daraus, wer mit wem gemeinsam den Raum betritt, lässt sich ablesen, welche Charaktere in der vierten Staffel in welcher Kombination wichtig werden: Maisie Williams und Rory McCann zum Beispiel. In der Serie: Arya Stark, eine der wenigen Verbliebenen aus dem nördlichen Adelsgeschlecht. In Begleitung von Sandor Clegane, einem grobschlächtigen Söldner, schlägt sich die junge Prinzessin durch Westeros, das nach dem Krieg von marodierenden Truppen heimgesucht wird. Oder Nikolaj Coster-Waldau und Gwendoline Christie in der Serie Ser Jaime Lannister, einst als „Königsmörder“ ein gefürchteter Ritter, dem nun die Schwerthand fehlt und der sich gemeinsam mit Brienne of Tarth, einer kampferprobten Amazone, wieder am königlichen Hofe zurechtfinden muss.

Ein Grund für die explizite Verschwiegenheit, die die Darsteller auf Anweisung des Senders zelebrieren, liegt auch im Sehverhalten der Fans begründet, das sich stark gewandelt hat. Seit Serien nicht mehr im Fernsehen konsumiert werden, sondern online oder auf DVD, sind plötzlich nicht mehr alle auf demselben Stand. „Binge watching“ nennt man „den unkontrollierten und gierig verschlingenden Dauerkonsum von Fernsehserien, und zwar gleich staffelweise“. Angelehnt ans „Binge eating“ oder „Binge drinking“, hierzulande bekannt als „Flatratesaufen“.

Bei ebendiesem Flatrate-Gucken aber ist die Gefahr groß, dass man schon weiß, wie die letzte Folge ausgeht, bevor die anderen fertig sind. Wer die Handlung verrät, den Spoiler also, ist der Spielverderber schlechthin. Sich Montag morgens im Büro über die letzte Folge auszutauschen, wie das früher bei der „Lindenstraße“ möglich war, geht nicht mehr. Und das Streaming-Portal Netflix hat sogar eigens eine App namens „Spoiler Foiler“ entwickelt, die die Timeline beim Kurznachrichtendienst Twitter nach Posts über bestimmte Serien durchsucht, damit man auch dort vor zu viel Information sicher ist.

Bei „Game of Thrones“ ist die Lage noch brisanter. Hier droht nicht nur von anderen Serienfans Spoiler-Gefahr, sondern auch von George R. R. Martins Lesern. 1996 brachte der mit seinem grauen Bart etwas verzauselt wirkende Fantasy-Autor und Drehbuchschreiber den ersten Band seiner Serie „Das Lied von Eis und Feuer“ heraus. „A Game of Thrones“ hieß die englische Fassung und wurde damit zum Namengeber für die Serie, deren erste Staffel HBO im April 2011 ausstrahlte. Seither wurden Martins Bücher über 20 Millionen Mal verkauft und in 40 Sprachen übersetzt. Die Serie ist für HBO die erfolgreichste seit „The Sopranos“.

Fünf Bände hat Martin mittlerweile auf Englisch geschrieben – in der deutschen Fassung sind es doppelt so viele. Zwei beziehungsweise vier weitere sollen noch folgen. Angeblich ist der Autor der Einzige, der weiß, wer am Ende den „Eisernen Thron“ besteigen wird. Parallel dazu dreht HBO die Serie, deren Staffeln sowohl zeitlich als auch inhaltlich nicht exakt mit den Büchern übereinstimmen. Wer die Bücher liest, weiß also mehr als der gemeine Seriengucker. Ob er am Ende aber richtig liegt, ist ungewiss.

Die Bücher zu lesen ist deshalb offenbar auch unter den meisten Darstellern verpönt. Er mache das lieber nicht, erzählt Cunningham, und auch Van Houten sagt: „Ich schaue mir die Serie lieber wie all die anderen Fans im Fernsehen an.“ Offenbar ist den meisten Schauspielern nicht mal klar, wie lange ihr Charakter in der Serie überlebt. Zum Beispiel Sibel Kekilli, die Kieler „Tatort“-Kommissarin, die in „Game of Thrones“ die Rolle der Shea spielt: „Als mich David Beniott und D. B. Weiss, die beiden Regisseure, fragten, ob ich zum Casting kommen will, dachte ich, dass ich sowieso bald sterbe“, erzählt die Heilbronnerin, die in Fatih Akins „Gegen die Wand“ debütierte. Trotzdem hat sie es als verführerische Prinzen-Mätresse, der einige nach dem Leben trachten, bis zum Ende der dritten Staffel geschafft. Auch Kekilli hat die Romane nicht gelesen („Fantasy interessiert mich nicht“) und kannte zu Beginn des Drehs nicht einmal die wichtigsten Charaktere.

Der Subtext der Veranstaltung: Die Spannung, mit der die Ausstrahlung der neuen Staffel erwartet wird, muss unbedingt gehalten werden. Ein Dilemma, denn man will ja Werbung machen – zumindest bis zum Serienstart kommende Woche. Auf alles, was danach geschieht, haben die Sender ohnehin keinen Einfluss. Damit scheinen sich die Macher abgefunden zu haben. Laut dem Fileshare-Fachblog „Torrentfreak“ war „Game of Thrones“ 2013 schon im zweiten Jahr in Folge die meistgeklaute Serie – noch vor „Breaking Bad“ und „The Walking Dead“. 5,9 Millionen illegale Downloads zählte das Portal, besonders viele in Australien, wo die Serie um Monate verspätet anlief. Der deutsche Bezahlsender Sky, der die Rechte für die deutsche Erstausstrahlung innehat, will klüger sein und zeigt die ersten zehn Folgen der vierten Staffel nur wenige Stunden nach dem US-Serienstart.

HBO-Programmdirektor Michael Mombardo ficht die hohe Downloadrate nicht an. „Ich sollte das wahrscheinlich nicht sagen“, zitiert ihn das US-Magazin Entertainment Weekly, „aber auf eine Art ist das ein Kompliment.“ Und die DVD-Verkäufe seien trotz der vielen illegalen Downloads weiterhin die wichtigste Einnahmequelle von HBO.

In London geht es also lediglich darum, dass vor dem Start der Staffel nichts nach außen dringt. Und nicht zu früh verraten wird, wer als Nächstes stirbt.

„Game of Thrones“, ab 7. April online auf Sky Go und ab 2. Juni auf Sky Atlantik HD

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen