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Die Party stinkt

AUSTRALIEN Byron Bay an der Ostküste ist fast eine gelebte Utopie

Der östlichste Punkt Australiens ist nicht nur für Aborigines ein mystischer Ort

VON AXEL HANNEMANN

Glänzende Augen, ein Strahlen im Gesicht – das ist die Reaktion eines Australiers, wenn man ihm erzählt, man fährt nach Byron Bay. Die kleine 15.000 Einwohner zählende Küstenstadt am östlichsten Punkt Australiens gehört nicht nur unter Einheimischen zu den zehn beliebtesten Ferienzielen in Down Under, sondern auch weltweit zu den sogenannten Top Spots. 1,5 Millionen Besucher jährlich – das ist rekordverdächtig. Aber auch die höchste Kriminalitätsrate bei den alkoholbedingten Delikten ist Spitze in Australien. In den 30er Jahren bestimmte noch ein riesiges Schlachthaus das gesellschaftliche Leben in Byron Bay. Bis 1960 wurden Wale gefangen und zerlegt. Ein stinkender, ungemütlicher kleiner Ort im Norden von New South Wales, den keiner kannte und keiner wollte. Mit den Surfern, die hier ihr Wellenparadies entdeckten, veränderte sich alles.

Es folgten Aussteiger aus aller Welt und aus dem 30 Kilometer entfernten Nimbin: Hippies, Bhagwanjünger, einstige Hausbesetzer, Esoteriker, Spinner, Philosophen, Kiffer, Radikale. Jeder bastelte sich sein eigenes Paradies. Sonntags, auf dem Markt, ist das Angebot vielfältig: selbst gebackenes Brot, die Mangos aus dem Vorgarten, kostenlose Weisheiten, Erweckungskurse oder kulinarische Spezialitäten aus aller Welt. Es wird massiert, therapiert, gesungen, getanzt und gekifft, seit über 50 Jahren. Die Wale werden nicht mehr gejagt, sondern von Besuchern vom Boot aus neugierig und liebevoll beobachtet. Endlose weiße Sandstrände, ein küstennaher Regenwald mit exotischen, freilaufenden Tieren und mit Discos, die bis morgens früh um 5 Uhr geöffnet haben. Das ist einmalig in Australien, und Byron Bay ist bekannt für seine freundlichen, toleranten Einwohner, die selbst gern feiern. Ob bei der täglichen Trommelparty bei Sonnenuntergang am Strand oder bei den legendären Full-Moon-Partys. Für Gäste gibt es noch jede Menge andere Abwechslung: Paragliding, Kajakfahren oder im Healthfood-Restaurant ein leckeres und gesundes Mahl, alles ist möglich, auf Wunsch auch vegan. Byron ist cool.

Byron Bay hat sich zu einer alternativen Stadt entwickelt, mit dem ersten grünen Bürgermeister, mit eigener Rundfunkstation, eigener Zeitung und einem weltweit anerkannten Bluesfestival. Eine gelebte Utopie, fast vollkommen, wenn da nicht einmal im Jahr eine Invasion junger Menschen diesen Traum gefährden würde.

Mittwochabend – der Bürgersaal in Byron ist mit 400 Leuten überfüllt. Eine grauhaarige alte Frau in Hippiekleidung stammelt ins Mikrofon. Sie liebt ihre Stadt und die Menschen, die Freundlichkeit, die Toleranz und den gegenseitigen Respekt und auch die Gäste. Aber jetzt sei die Grenze überschritten. Die jungen Leute parken in ihrem Garten, Türenschlagen bis morgens um sechs, Prügeleien, die ihr Angst machen. Sie scheißen und pissen überall hin. Nach 22 Uhr traut sich kaum ein Einheimischer in die Stadt, auch nicht die eigenen Jugendlichen. Zu viel Besoffene und Schlägereien. Fast alle im Saal haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Das Krankenhaus ist am Wochenende überfüllt mit volltrunkenen oder verprügelten Kids.

Die Stimmung im Saal ist angespannt. Ein Rollstuhlfahrer, der Frontmann der hiesigen Punkband, fordert mehr Polizei. Ein Pfarrer wünscht sich alkoholfreies Bier in der ganzen Stadt oder die Einführung einer Polizeistunde um 22 Uhr. Eine junge Frau möchte eine Botschaft ans Universum schicken.

Der Polizeichef hat eine klare Meinung. Man könne die Kids rausschmeißen, wenn das so gewünscht werde. Das geht Simon Richardson, dem Bürgermeister von Byron Shire, doch etwas zu schnell. Schließlich ist er der erste alternative Bürgermeister in Australien. Er vertritt nach Meinung seiner Wähler den friedlich-alternativen Spirit von Byron und war in seinem früheren Leben Hausbesetzer in Sydney. Und Exhausbesetzer rufen nicht gleich nach der Polizei. Der Vorschlag des Bürgermeisters: „Lasst uns Gruppen bilden, die Lösungen suchen. Wir treffen uns nächsten Mittwoch wieder.“

Wir treffen Simon Richardson zwei Tage später in seinem 10 Kilometer entfernten Amtssitz in Mullumbimby. „Achtzig Prozent unserer Gäste sind okay. Sie kommen zu Weihnachten, Neujahr oder zum Australia Day. Es gibt riesige Partys am Strand, keine Probleme. Wir haben jedes Jahr zu Ostern das Bluesfestival, da kommen Künstler wie Bob Dylan, Santana, Iggi Pop oder Paul Simon, 15.000 Besucher, drei Tage lang, seit Jahren keine Probleme. Ärger machen uns die Schoolies und die Toolies.“

Die Schoolies, die ihren Schulabschluss feiern wollen, kämen aus ganz Australien per Flugzeug für eine Woche reingeschneit. „Ihre Eltern mieten ganze Häuser mit Extraversicherung, und dann geht die Party ab“, sagt Richardson. Die Toolies, das sind junge Arbeiter, die sich in Queensland wegen der frühen Sperrstunde langweilen. Die kommen am Wochenende auch wegen der netten Mädels, die hier feiern. Die meisten können sich keine Hotels oder auch Hostels leisten, die schlafen einfach im Freien oder in ihren Autos, und es sind sehr, sehr viele. Auch die Backpacker aus Europa können wegen der hohen Preise in Australien nur draußen übernachten. Abends, nach der Disco, fängt der Stress dann an, Alkohol, Drogen, Prügeleien.“

Der östlichste Punkt Australiens ist nicht nur für Aborigines ein mystischer Ort. Lebenskünstler und Aussteiger haben über die Jahre ihre alternative Lebensform entwickelt, für sie ist Byron auch ein spiritueller Ort geworden. Für viele Einwohner ist es auch selbstverständlich, sich für die Stadt zu engagieren. Sie säubern den Strand oder kümmern sich um den Küstenschutz, wenn wieder einmal ein Zyklon die Anlagen zerstört hat. Umweltschutz wird großgeschrieben. Hier ist die Green Party verwurzelt. Die Einwohner sind vernetzt. Man toleriert den anderen.

In Byron stehen keine Wolkenkratzer oder Betonklötze, wie an der benachbarten Gold Coast. McDonald’s oder Kentucky Fried Chicken will man hier nicht haben. 4.000 Unterschriften wurden innerhalb eines Monats gegen die Fast-Food-Ketten gesammelt. Offiziell wurde die Ablehnung mit fehlenden Parkplätzen begründet. Diese Schlacht hat Byron gewonnen, vorerst.

„Aber der Ärger, den die Kids regelmäßig machen, der stinkt gewaltig. So geht es nicht weiter mit den Partys“, meint Simon Richardson. Und die, die er meint, könnten die eigenen Kinder sein. Was tun, wenn man eigentlich alternativ und friedlich ist? Was tun, wenn der eigene Vorgarten als Kloschüssel benutzt wird? Die nächsten Schulabschlussfeiern sind nur eine Frage der Zeit. Ob da die Arbeitsgruppen helfen?

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