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Union uneins über Strompreise

Während Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) die Preise stärker durch das Kartellamt überwachen lassen will, hält Hessens Wirtschaftsminister Rhiel das nur für eine Bekämpfung der Symptome. Er fordert ein Machtwort der Kanzlerin

„Wenn Aufsicht nichts bringt, muss man die Marktstruktur ändern“

VON TARIK AHMIA

Die Diskussion hatte sich Angela Merkel wohl anders vorgestellt. „Es geht darum, wie Deutschlands Energieversorgung im Jahre 2020 aussehen soll“, hatte sie im Vorfeld des zweiten Energiegipfels verkündet, zu dem sie gestern die Manager der großen Energiekonzerne RWE, EON, EnBW und Vattenfall sowie Experten und Verbände im Kanzleramt empfing. Doch eine der zentralen Fragen stand nicht auf der Tagesordnung: Wie lässt sich mehr Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt erreichen?

Das Problem gehört zu den entscheidenden Zukunftsfragen. Denn nur vier Konzerne beherrschen die Stromproduktion in Deutschland. Doch es gibt unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie sich dieses Oligopol aufbrechen lässt.

Bundesumweltminister Siegmar Gabriel (SPD) forderte gestern ein scharfes Vorgehen gegen die Stromkonzerne. „Wir haben eine Situation, in der neue Kraftwerksbetreiber nicht richtig ans Netz kommen und keine Preistransparenz herrscht“, sagte Gabriel und: „Mit den hohen Preisen schaden die Stromfirmen der deutschen Wirtschaft.“

„Der Staat muss gegebenenfalls als letztes Mittel das Oligopol der Stromkonzerne zerschlagen können“, forderte gestern Hessens Ministerpräsident Roland Koch. Sein Wirtschaftsminister Alois Rhiel verlangte von Kanzlerin Merkel ein Machtwort. „Die Kanzlerin sollte Klartext reden“, sagte Rhiel. Der Minister hatte in der vergangenen Woche eine Initiative gestartet, die als besonders dickes Brett unter den ungelösten energiepolitischen Fragen der Zukunft gilt: Rhiel will die Milliardenprofite des herrschenden Erzeuger-Oligopols eindämmen. Ihre überhöhten Gewinne haben die Stromkonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW nach Ansicht von Rhiel vor allem ihrer Marktmacht zu verdanken, denn die Konzerne herrschen über fast 90 Prozent der in Deutschland erzeugten Strommenge. Riehl will deshalb das Kartellrecht ändern, um als „letztes Mittel“ die Strom-Oligopolisten zwingen zu können, Kraftwerke an kleine Konkurrenten zu verkaufen. Der so verstärkte Wettbewerb soll dem unzulässigen Schröpfen der Verbraucher ein Ende bereiten.

Energiemarkt- und Wettbewerbsexperten applaudierten Rhiel, doch politisch gelten seine Vorschläge als kaum durchsetzbar. Das signalisierte Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Glos (CSU) am Wochenende: „Ich bin aber dafür, die Aufsicht von marktbeherrschenden Unternehmen zu verschärfen“, sagte der Minister. „Enteignungsforderungen gehen zu weit“, so Glos.

Anders als Rhiel hofft Glos, die Marktmacht der großen vier Stromkonzerne und die überhöhten Strompreise durch eine verschärfte Aufsicht verringern zu können. Auch Glos will dies in einem schärferen Kartellrecht verankern. So soll nach einem Eckpunktepapier des Wirtschaftsministeriums der Nachweis eines Machtmissbrauchs der Stromkonzerne einfacher werden. Schon ein großer Preisunterschied zwischen den Erzeugungskosten und den Großhandelspreisen könnte „als Vermutung für missbräuchliches Verhalten“ gelten, heißt es. Künftig müssten die Konzerne die Differenz plausibel erklären.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Die Berliner Ökonomen schlagen eine dauerhafte Regulierung der Großhandelspreise der Stromerzeuger vor. „Die bereits bestehende Regulierung der Stromnetze durch das Bundeskartellamt sollte auf die Stromerzeugung ausgedehnt werden“, sagt Claudia Kemfert vom DIW. Den Vorschlag, mit Zwangsverkäufen zu drohen, hält sie für eine „schwierige Variante“. Er sei politisch kaum durchsetzbar und juristisch sehr riskant. Das ficht den Oligopol-Gegner Rhiel jedoch kaum an. Er fürchtet, dass mehr Kontrollen den Wettbewerb nicht gundlegend verbessern. „Spätestens, wenn auch eine verschärfte Aufsicht nicht die gewünschten Ergebnisse zeigt, muss sich an der Marktstruktur etwas ändern“, so Rhiels Sprecher zur taz.

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