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Der Recycling-Sender

Internet Killed the Radio Star? Möglich. Jedenfalls verliert die WDR-Jugendwelle „Eins Live“ Hörer. Und hat nun „Eins Live Kunst“ gestartet, ein Webradio. Anfang 2007 folgt die Runderneuerung

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Das Rezept ist einfach. Man nehme: Vier reife Moderatoren, deren Namen sich bereits zu Marken entwickelt haben, gebe ein paar Pfund anspruchsvolle Popmusik bei, mische das Ganze mit gut abgehangenen Kulturberichten – und fertig ist „Eins Live Kunst“, das neue WDR-Webradio.

Seit Mitte vergangener Woche ist der Recycling-Kanal online. Vier Stunden täglich, dann wird wiederholt – bis zur neuen Sendung. In den Musikblöcken läuft Coldcut oder Nouvelle Vague. Dazwischen geht es wahllos um Shakespeare oder Frauenfilme, um den Literaturnobelpreis oder Popeye. Was der WDR damit bezwecken will, ist klar: Er will ein „junges, kulturinteressiertes Publikum“ binden, dass bisher sowohl bei Eins Live zu kurz kam, oder beim hauseigenen Kultursender WDR 3. Fehlten hier solide Kulturbeiträge, mangelte es dort an Popmusik. Bei Eins Live Kunst wird beides vereint: Die eingespeisten Beiträge, anmoderiert von Eins Live-Moderatoren wie Mike Litt oder Rebecca Link, liefen bereits bei Resonanzen auf WDR 3 oder Scala auf WDR 5. Recycling eben. Oder wie es WDR-Hörfunkdirektorin Monika Piel formuliert: Ein effizienter Umgang mit Ressourcen.

Und dass ausgerechnet in einer Zeit, in der Eins Live mit Hörerschwund zu kämpfen hat. Im Jahr Elf seines Bestehens schalten nur noch 2,26 Millionen Menschen den Sender ein – immerhin 16 Prozent weniger als im Vorjahr. Über die Gründe dafür lässt sich ausgiebig spekulieren. Einer scheint dort zu liegen, wo der WDR gerade sein neues Projekt angesiedelt hat: im Internet. Statt gebannt dem Radio-DJ im Funkhaus zu lauschen, vergnügen sich jene, die heute jung sind, lieber im World Wide Web. Der reine Konsum, beispielsweise von Musik, ist dabei zunehmend zweitrangig. Das neue Stichwort lautet: Interaktion.

Am sinnfälligsten verkörpern die Portale MySpace und YouTube das neue, Web 2.0 genannte Internet. Bei YouTube kann man sich nicht nur Musikvideos oder Fernsehschnipsel ansehen, man kann sich auch selbst per Video präsentieren, in jeder erdenklichen Blödpose. Andy Warhols Prophezeiung, irgendwann werde jeder für 15 Minuten berühmt sein, wurde hier noch unterboten: Meistens sind die Streifen viel kürzer. Bei MySpace folgt die Interaktion einem älteren Prinzip: dem des Poesiealbums. Jeder kann hier eine eigene Seite anlegen und den ganzen Schmonz von Lieblingsfilm bis Leibspeise darauf verklappen. Archaisch gestaltet, erinnern die Seiten oft an die Anfänge des Web.

Beide Plattformen bieten etwas, was das herkömmliche Radio nicht oder nur in Maßen leisten kann: die platte Befriedigung des Egos durch die Präsentation des Selbst. Kurzum: Virtuelle Masturbation. Da wundert es kaum, dass Eins Live – so sehr es auch amüsiert –, vor allem Zuwächse in einer Altersgruppe verzeichnet, die dem Radio eher zugeneigt ist als dem Internet: bei den 50 bis 65-Jährigen. Der Jugendsender vergreist? Das wohl nicht. Das Durchschnittsalter liegt bei 34 Jahren. Dennoch will sich der Sender Anfang 2007 runderneuern. „Wir sind kein Unterhaltungsdampfer“, sagt Jochen Rausch, Programmchef bei Eins Live. Trotzdem werde der Sender häufig als solcher wahrgenommen. Ziel sei es daher auch, zu „mehr Ernsthaftigkeit“ zu kommen. Der Mann, der das erledigen soll, heißt Heiner Heller, kommt aus der Redaktion der Tagesschau und soll künftig die Wortredaktion bei Eins Live leiten. Tagesschau. Ernsthaftigkeit. Das passt. Guten Abend, meine Damen und Herren.

www.einslivekunst.de

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