: „Hollywood interessiert mich nicht“
INTERVIEW ANNE HERRBERG und ANNIKA JOERES
taz: Frau Milani, in Ihrer Heimat gelten Sie als Kriminelle...
Tahmineh Milani: Was meinen Sie?
Für Ihren Film „Die verborgene Hälfte“ mussten Sie ins Gefängnis.
Das Revolutionsgericht warf mir vor, anti-iranisch zu sein, Frauen aufzustacheln und eine linke subversive Organisation zu unterstützen. Es war eine schreckliche Zeit. Als sie mich abholten, war ich wirklich krank. Sie steckten mich in Isolationshaft, jeden Tag um sechs Uhr musste ich zum Richter. Er sagte, mir drohe die Todesstrafe.
Haben Sie nicht resigniert?
Nein. Ausländische Regisseure wie Wim Wenders oder Martin Scorsese haben Unterschriften für mich gesammelt, auch Präsident Chatami hat sich für mich eingesetzt. Und im Gefängnis fand ich Unterstützung. Irgendwann kam ich in eine Sammelzelle mit 250 Frauen. Das war eine tolle Erfahrung. Normalerweise sind alle Insassen sehr misstrauisch, aber mir haben sie vertraut. Sie haben gerufen: „Wisst ihr, wer das ist? – Frau Milani!“ Sie wussten, dass ich keine Spionin bin. Alle kannten meine Arbeit, viele von ihnen hatten den Film „Zwei Frauen“ zehn Mal gesehen. Ich hatte nichts dabei, aber nach einer Stunde haben sie mir tausend Sachen geschenkt, große Orangen, kleine Orangen...
Wieso war ihr Film so wichtig für die Frauen?
Ich habe zum ersten Mal das Leben von iranischen Frauen gezeigt, wie es wirklich ist. Der Film erzählt von zwei Frauen: Eine ist arm und gebildet, die andere ungebildet und reich. Aber nach zehn Jahren ist die Ungebildete erfolgreich, die Arme wird mit einem patriarchalischen Mann zwangsverheiratet. Dabei hatte sie eine Menge Energie, wollte sich in der Gesellschaft engagieren. Ich frage: Warum werden Frauen in traditionelle Rollenbilder gezwängt? Dieser Film spricht von Identität. Wieso soll meine Identität von meinem Vater, meinem Bruder und Mann bestimmt werden? Mit dieser Geschichte konnten sich alle identifizieren.
Was interessiert Sie am Filmemachen?
Ich liebe gute Schauspieler, gute Musik und so weiter. Aber ich bin nicht verrückt nach Kino, das alleine interessiert mich nicht. Meine Filme sind keine l‘art pour l‘art, sondern in erster Linie ein Werkzeug.
Dann könnten Sie ja auch ein Buch schreiben.
Nein, selbst das beste Buch wird höchstens von 20.000 Menschen gelesen. Ein Film erreicht Millionen Menschen und vor allem auch die weniger Gebildeten. Ich bin ein politischer Mensch. Ich möchte mit meinen Filmen etwas in der Gesellschaft verändern. Deswegen möchte ich auch in keinem anderen Land als im Iran arbeiten. Hollywood interessiert mich nicht.
Aber der Iran ist eine Männergesellschaft. Wie ist es für Sie als Frau möglich, dort einen Film zu drehen?
Ich mache es einfach. Der Iran ist ein kompliziertes Land. Die Gesetze sind eine Sache, die Einhaltung eine andere. Die Menschen haben sich durch die Gesetze nicht verändert. Doch nicht von einem Tag auf den anderen! Zum Beispiel brauche ich eigentlich die Erlaubnis meines Mannes, um aus dem Haus zu gehen. Aber mein Mann will das gar nicht, ich gehe, wann ich will.
Aber seit Präsident Ahmadinedschad vor gut einem Jahr die Macht übernommen hat, ist es doch für Frauen sicher schwieriger geworden, über ihr Leben selbst zu bestimmen.
Sie haben Recht. Wir leben in zwei Welten. Bei uns zu Hause leben wir durchaus modern und liberal. Das ist vor allem für unsere Kinder schwierig. In der Schule gelten konservativ-islamische Gesetze. Sie sitzen zwischen den Stühlen.
Wie ist das bei Ihnen am Set? Akzeptieren dort alle, dass eine Frau der Chef ist?
Ja klar. (steht auf) Das ist nur ein Schal und das ist nur ein langer Rock. Ich laufe herum und gebe die Anweisungen. Viel schwieriger ist die Phase vor dem Dreh. Ich muss eine ganze Menge Erlaubnisse einholen. Außerdem bin ich auf die Ausrüstung vom Staat angewiesen, er hat die besten Kameras. Aber Künstler finden immer eine Möglichkeit, die Zensur zu umgehen. Zum Beispiel wollte mein iranischer Kollege Mohsen Makhmalbaf eine Liebesszene darstellen, das ist aber offiziell verboten. Er hat einfach einen Männer- und einen Frauen-Schal genommen, die sich im Wind ineinander verschlungen haben. Das war wunderschön.
Macht Zensur kreativer?
Nein, Zensur ist immer schlecht! Aber wir finden immer Wege, uns auszudrücken. Mein neuester Film „Cease Fire“ ist eine Komödie über ein modernes Ehepaar. Sie könnte überall auf der Welt spielen, hier, in Amerika oder Südafrika. Die beiden streiten sich, spielen Katz und Maus. Manchmal schlagen sie sich sogar, aber Berührungen zwischen Mann und Frau sind offiziell verboten. Also habe ich eine Tasche dazwischen gestellt.
Können Sie denn alle Geschichten erzählen, die sie erzählen wollen?
Es gibt natürlich Grenzen. Abtreibung ist zum Beispiel ein absolutes Tabuthema. Auch über die Kulturrevolution wird geschwiegen. Als ich dieses Schweigen in meinem Film „Die verborgene Hälfte“ gebrochen habe, kam ich, wie gesagt, ins Gefängnis.
Dieser Film ist sehr politisch und ernst. Ihr neuestes Werk „Cease Fire“ ist eine Komödie. Warum haben Sie das Genre gewechselt?
Weil ich mit einer Komödie viel mehr Menschen erreiche! Es waren schon im ersten Monat drei Millionen Menschen in diesem Film. Es ist der bisher erfolgreichste Film im Iran.
Ausgerechnet von einer Regisseurin...
Ja! Mein Mann hat zu mir gesagt: Wir haben nur einen Nobelpreis bekommen – der ging an eine Frau. Wir haben nur einen Oscar gewonnen – der ging an eine iranische Schauspielerin. Und jetzt ist der erste Iraner in den Weltraum geflogen – wieder eine Frau. Und ich habe mit „Cease Fire“ den erfolgreichsten iranischen Film gedreht. Immer sind es die Frauen, deswegen können uns die Konservativen nicht leiden. (lacht)
Drehen Frauen andere Filme als Männer?
Nein, nicht unbedingt. Es gibt im Iran viele Frauen, die ähnliche Filme drehen wie Männer. Gute Filme, natürlich. Und dann gibt es vor allem seit den letzten 20 Jahren immer mehr Regisseurinnen, die sich in ihren Filmen speziell dem Alltag und den Problemen von Frauen widmen. Da haben wir schon einen anderen Blickwinkel, eben weil es uns direkt betrifft.
Sie zählen zu den erfolgreichsten iranischen Regisseurinnen, haben internationale Preise gewonnen. Dabei wären Sie beinahe keine Filmemacherin geworden, sondern Architektin...
Ja, meine Eltern wollten das nicht. Nicht aus religiösen Gründen, sie sind eben sehr konservativ. Als ich anfing zu studieren, das war noch zur Zeit des Schahs, hatte das Kino einen sehr schlechten Ruf. Es wurde viel Gewalt, viel schmutziger Sex gezeigt, schlechtes Kino. Sie haben mir verboten, Regie zu studieren. Später kam die Kulturrevolution, alles sollte islamisiert werden. Die Universitäten waren vier Jahre lang geschlossen, viele junge Künstler wurden verfolgt oder gingen ins Exil. In dieser Zeit habe ich angefangen, beim Film zu arbeiten, zunächst als Assistentin. Neun Jahre später begann ich selbstständig zu drehen. Meine Mutter sprach nie darüber, sie machte sich Sorgen. Für „Children of Divorce“ gewann ich einen Preis und meine Mutter sah im Fernsehen, wie ein Mullah mir die Auszeichnung überreichte. Da sagte sie sich: Vielleicht ist die Arbeit meiner Tochter ja doch okay.
Wir haben gehört, Sie haben noch eine andere Leidenschaft...
Ich liebe Fußball! Als Kind habe ich immer mit meinem Bruder gekickt – er war Bonhoff, mein Held war Cruijff, das war die Weltmeisterschaft 1974. Und auch bei dieser WM haben mein Mann und ich alle Spiele im Fernsehen gesehen. Wir waren so aufgeregt, jetzt ist das Sofa ganz durchgejubelt. Wir mussten es austauschen.
Warum sind so viele iranische Frauen Fußballfans?
Jeder Mensch braucht eine Leidenschaft, braucht Spaß im Leben. Aber im Iran heißt es, Spaß dürfen nur die Männer haben. Warum? Ich glaube, Frauen lieben Fußball gerade deshalb, weil es verboten ist. Je mehr sie uns kontrollieren wollen, umso mehr kämpfen wir dagegen an.
Das Interview wurde auf Englisch geführt.
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