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Dehydriert in Teheran

Ein Theaterkünstler, der eine siebentägige Performance konzipiert und dabei mal eben vergisst, Schlaf für seine Schauspieler einzuplanen, und eine Dokumentarfilmerin, die sich leider keine eigene Meinung zutraut: „Absolute Wilson“, ein filmisches Porträt des Theatermachers Robert Wilson

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Im Jahr 1972, seine internationale Karriere hatte gerade erst begonnen, wurde der US-amerikanische Regisseur Robert Wilson vom Schah von Persien zum Shiraz-Theaterfestival in den Iran eingeladen. Er dachte, so erzählt er der Dokumentarfilmerin Katharina Otto-Bernstein, damals gerade über ein Stück nach, das sich in der Entdramatisierung der Zeitstruktur immer näher an ihren konstanten Fluss heranschieben und sieben Tage lang dauern sollte. Sein damaliger Assistent schlägt noch heute die Hände über dem Kopf zusammen, wenn er sich daran erinnert, wie das Stück zustande kam.

Bob war ja so naiv. Auf der Reise nach Teheran ließ er sich am Flughafen von Athen mit Haschisch in der Jackentasche erwischen und wurde ins Gefängnis gesetzt. Es dauerte vier Wochen, bis er auf internationalen Druck hin wieder freikam. Ja, aber im Gefängnis, erzählt der Regisseur weiter, habe er die größte Ruhe gehabt, sein Stück zu entwickeln. Bilder einer mehrtägigen Performance in einer Wüstenlandschaft im Iran folgen, während der die Performer reihenweise wegen Dehydrierung ins Krankenhaus mussten. Wilson hatte unter anderem vergessen, den Schlaf einzuplanen.

Was für eine irre Geschichte. Eigentlich enthält sie schon viele der Widersprüche, die die Arbeitsweise und das Werk von Robert Wilson bis heute prägen. Sie wirft ein bezeichnendes Licht auf den Despotismus eines Regisseurs, der sich in seiner Ästhetik gerade der Auflösung der hierarchischen Ordnungsmuster des Materials gewidmet hat. Ein zweiter Widerspruch lässt sich erkennen zwischen der Suche nach Entschleunigung und Befreiung vom Diktat der Zeit, die innerhalb des Kunstwerks umgesetzt werden soll, und der Hektik, die dem auf der Produktionsebene entgegensteht. Nicht zuletzt bekennt sich ein Regisseur, der vom Ehrgeiz getrieben ist, die Wahrnehmung zu verändern und das Bewusstsein für alles, was einen Augenblick ausmacht, zu erhöhen, gleichzeitig unfähig, normale Bedürfnisse wahrzunehmen.

„Absolute Wilson“ ist ein randvoll mit solchen Geschichten gepackter Porträtfilm. Man erfährt viel über Wilsons Konzepte, die Arbeit am Minimalismus, die Anerkennung als Künstler, die Professionalisierung des Managements. Und dennoch verspielt die US-amerikanische Dokumentarfilmerin Katharina Otto-Bernstein ihr Thema, weil sie die Bild- und Textebene überlädt, sich ins Kleinteilige und Puzzlige verliert.

Zu viele Talking Heads, zu viele Experten. Als ob sie sich selbst keine Meinung zutraute, holt sich die Filmemacherin zu jeder Station ihres verehrten Meisters Meinungen etablierter Sprecher hinzu. Und nimmt so dem Betrachter ziemlich schnell jeden Raum, für sich etwas neu zu entdecken. Man bekommt ja immer schon gesagt, was man sieht.

Schlimmer noch, man bekommt sogar ständig viel mehr gesagt, als man zu sehen Zeit hat. Denn Bilder für sich sprechen zu lassen, traut sich die Regisseurin nicht. Alles dient der Illustrierung; wobei Inszenierungsbilder ständig Lücken im biografischen Material stopfen müssen und somit Kunst und Leben ordentlich verrührt werden.

Denn Otto-Bernsteins Muster der Erzählung folgt dem des Biopic: Benenne die Konflikte der Familie, berühre die Probleme der Kindheit, und du hast den Finger auf die Quellen der Kunst und des Genies gelegt. Was Wilson dem Vater, einem erfolgreichen texanischen Geschäftsmann, beweisen will und wie sich das kühle Verhältnis zur Mutter ausgewirkt hat: Beinahe lächerlich ist, wie sich die Antwort auf diese Fragen als Erklärung der künstlerischen Prozesse entspinnt. Nicht zuletzt nehmen diese psychologisierenden Begründungen dem ästhetischen Furor, mit dem sich Wilson über sämtliche Strukturen des US-amerikanischen Kulturbetriebs hinwegsetzte, auch viel von ihrer Energie.

So kann sich im Film über Wilson kaum etwas von dem entfalten, wofür der Regisseur noch immer steht: die Auflösung von Narrationen, die Öffnung des Horizonts über den Raum des Theaters hinaus, die Dehnung der Wahrnehmung.

„Absolute Wilson“. Regie: Katharina Otto-Bernstein, Dokumentarfilm, USA 2006, 105 Min.

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