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Neue Regelungen

FILM Die „Aktion Mensch“ organisiert ein bemerkenswertes bundesweites Filmfestival

Ihre philosophischen Gespräche kreisen um Probleme mit Hörgeräten, die Schwierigkeiten, fast blind zu essen, und natürlich um das Leben nach dem Tod

Mit „UeberMut“ startet heute im Zeughauskino ein bemerkenswertes bundesweites Filmfestival. Bereits zum vierten Mal bietet die Behindertenorganisation „Aktion Mensch“ als Festivalorganisator unterschiedlichen Partnern deutschlandweit die Möglichkeit, Filme über außergewöhnliche Menschen und weltweit gesellschaftskritische Aktivisten zu zeigen.

Im Laufe der nächsten zwölf Monate werden so in hundert deutschen Städten Filme wie „Rainbow Warriors“ (über die ersten Greenpeaceaktivisten), „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ (über den Juristen, der in den 50er und 60er Jahren die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit angestoßen hatte) oder „Budrus“ (über gewaltfreien Widerstand in Palästina) laufen.

Die anschließenden Diskussionen mit Vertretern entsprechender NGOs verleihen dem Ganzen einen etwas pädagogischen Touch, werden aber in der Regel vom Publikum dankbar angenommen. Da einige der Filme wie die Dokumentation über die Kinder-Hilfsorganisation Bobby Bear in Durban/Südafrika („Rough Aunties“) auch Premiere in den deutschen Kinos haben, leistet das Festival hier dankenswerte Pionierarbeit.

„Man macht sich immer wieder Gedanken über das Wesen der Existenz. Warum bin ich hier? Um was geht es? Und die einzige Antwort, die ich gefunden habe: Ich weiß es nicht.“ Hetty Bower hat 102 Jahre gebraucht, um zu dieser Erkenntnis zu kommen. Die Friedensaktivistin und politische Kämpferin lebt mit ihren beiden Freundinnen, der Schriftstellerin Alison und der Sextherapeutin Rose – zusammen sind sie 290 Jahre alt – im Londoner „Mary Feilding Guild“, einem „Altersheim für Intellektuelle“, wie eine der Damen spöttisch bemerkt.

Sie sitzen beim Kaffeekränzchen in schicken Kostümchen, und ihre philosophischen Gespräche kreisen um Hörgeräteprobleme, die Schwierigkeiten, fast blind zu essen, und um das Leben nach dem Tod; zwischendurch finden sie Zeit für QiGong im Residenzpark und Kreuzworträtsellösen mit Riesenlupe. Die sehr sehenswerte und amüsante Dokumentation „Die Zeit ihres Lebens“ ist einer der Höhepunkte des Filmfestivals. Wohingegen „Antoine“, ein etwas wirrer Film über einen blinden Jungen in Frankreich, eher wie der Versuch erscheint, unbedingt auch einen Film über Blinde ins Programm zu bringen; weil Behinderung nun mal der Fokus von „Aktion Mensch“ ist.

Im Vergleich zu „UeberArbeiten“, UeberMorgen“ und „UeberMacht“, den Festivals der vergangenen Jahre, gibt es in diesem Jahr neue Regelungen und Einschränkungen, die es für kleinere Veranstalter schwieriger machen. Eigentlich bot „Aktion Mensch“ seit Beginn der Reihe 2006 den lokalen Veranstaltern Finanzmittel für Kinoausstattung an. So konnten Vereine und Miniorganisationen in ländlichen Gebieten ohne Kino an den Festivals teilnehmen. Seit diesem Jahr besteht die Organisation jedoch erstmalig auf behindertengerechten Zugängen und Gebärdendolmetschern für Gehörlose, was zwar ein verständliches Anliegen für eine Behindertenorganisation ist, dem gewünschten Effekt der Verbreitung aber zuwiderläuft – nicht jedes Kulturhaus kann sich einen Behindertenzugang leisten oder hat mal eben einen Gebärdendolmetscher zur Hand. In den vergangenen Jahren hatten die Akteure vor Ort auch noch die Möglichkeit, aus mehren Filmen ihre Favoriten auszuwählen, in diesem Jahr müssen alle zehn Filme gezeigt werden. Ein Film wie „Antoine“ hätte so vermutlich weniger Chancen, ins Programm zu kommen. ELKE ECKERT

■ Zeughauskino vom 04. bis 14. 11. 2010, Potsdamer Filmmuseum vom 6. 11. bis 14. 11., fabrik.kino Neustrelitz vom 4. 11. bis 20. 11., Kulturbahnhof Biesenthal vom 6. 11. bis 30. 11.

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