: Schlacht ohne Mut
Nachdem sie zuletzt Mozarts „Idomeneo“ vom Spielplan genommen hatte, führt Kirsten Harms als Intendantin der Deutschen Oper Berlin bei der Nationalismus-Oper „Germania“ nun selbst Regie
VON FRIEDER REININGHAUS
Germania? Das Wort klingt wie der Name einer westfälischen Brauerei, einer ruinierten Werft oder einer trinkfesten Studentenverbindung. Kaum jemand denkt noch an die trauernde Frau, die in Zeiten des römischen Imperiums die nördlich des Limes gelegenen Stämme personifizierte, an die bis 1938 existierende Zeitung der katholischen Zentrumspartei oder an das hybride Naziprojekt einer „Welthauptstadt Germania“ an der Stelle Berlins. Dass seit über hundert Jahren eine Oper mit diesem Titel existiert, dürfte selbst den meisten eingefleischten Freund(inn)en des Musiktheaters nicht geläufig gewesen sein.
Das hat sich nun geändert. Auf Betreiben ihres neuen Generalmusikdirektors Renato Palumbo präsentierte die Deutsche Oper Berlin ein Dramma lirico von Alberto Franchetti, das 1902 mit Erfolg in Mailand uraufgeführt wurde. In großen Tableaus widmet sich das Werk, so wie es von der zuletzt für ihre Absetzung von Mozarts „Idomeneo“ zu Recht kritisierten Opernintendantin Kirsten Harms höchstselbst in Szene gesetzt wird, dem antinapoleonischen Befreiungskriegs in Deutschland. Vom Vorspiel im altfränkischen Nürnberg führt das erste Hauptbild „in einen Winkel des württembergischen Schwarzwalds“ (aktuell angedeutet durch eine auf den Kopf gestellte halb vertrocknete Eiche); danach folgt ein „unterirdischer Treffpunkt des geheimen Luisenbundes“ in Königsberg. Der Epilog erhebt sich aus dem Pulverdampf der Leipziger Völkerschlacht im Oktober 1813. Der Librettist Luigi Illica verklärte dabei ganz fraglos den „Heldentod“ und propagierte das Märtyrertum für eine „gerechte politische Sache“.
„Germania“ handelt von den Wallungen nationaler und anderer vornehmlich männlicher Gefühle sowie dem Guerillakrieg gegen die Armee Napoleons, die nach dem Sieg in Jena ab 1806 Mitteleuropa dominierte. Die Statisterie weist illustre Namen auf: die Philosophen Fichte und Schleiermacher, die Militärs Scharnhorst und Schill. Der Partisanenführer Lützow singt Bass, die alte Bettlerin Lene Armuth Mezzosopran. Die Studenten Federico (Friedrich Loewe) und Carlo (Karl Worms) streiten um die anmutige Ricke (Lise Lindström), bis der Geist der Preußenkönigin die zum Duell angetretenen Rivalen zurechtweist und auf die großen patriotischen Ziele orientiert. Anrührend ist der parallele Handlungsstrang um den Buchhändler und Familienvater Palm, der wegen einer Kampfschrift gegen Napoleons Hegemonialpolitik und die mit ihr kollaborierenden deutschen Duodezfürsten verfolgt, versteckt, verraten und liquidiert wird.
Deutlich erscheinen in „Germania“ die Einflüsse von Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ und anderer Volkslied-Adaptionen. Dazu gibt es an Richard Wagners Partituren orientierte Passagen (allen voran das „Rheingold“), die heute wie Fingerübungen zur frühen Kino-Musik wirken. Trotz der akkuraten Arbeit von Palumbo als Kapellmeister entfaltet sich aber keine „grandiose Musik“, sondern eine effektsichere Melange. Keine der Franchetti-Melodien prägt sich nachhaltig ein – umso drastischer allerdings die leitmotivisch verwendeten Lieder „Gaudeamus igitur“, „Weißt Du, wieviel Sternlein stehen“ und insbesondere „Lützows wilde verwegene Jagd“ von Carl Maria von Weber. Der Komponist stand mit seinen musikalischen Wolfsschlucht-Schrecken ohnedies auch für das symphonische Zwischenspiel „Völkerschlacht“ Pate.
Auf dem Kampffeld bei Leipzig tritt schließlich die leibhaftige Germania auf, als wäre sie Kaulbachs Prachtgemälde von 1914 entstiegen. Sie wandelt über den Trümmern der neueren deutschen Geschichte – zerborstene Denkmalsteile, Bücher und Flugblätter treten in der Berliner Inszenierung an die Stelle der ursprünglich vorgesehenen „beschädigten Fuhrwerke, zerstörten Kanonen, Teile von Menschen und Dingen“. Doch der Wink mit dem politisch korrekten Kommentar wirkt wie biederes Stadttheater – unangenehm aufgedunsen in einem zu großen Rahmen.
Letztlich sind die Erwägungen von Harms, nun Franchettis Schmonzette auf den Spielplan zu setzen, nicht nachvollziehbar – „rein musikalische“ Qualität kann es so wenig gewesen sein wie eine dramatische Erleuchtung. Ihre Inszenierung bezieht sich, ohne dies wirklich deutlich zu machen, auf den Weg vom „berechtigten“ Nationalismus der Lützow’schen Studenten zum Chauvinismus, der in die Weltkriege führte. Wäre dabei das militärische Engagement etwa im Nahen Osten mitinszeniert worden, hätte dem verstaubten Theater zumindest in die Gegenwart geholfen werden können.
Solche ästhetischen Überlegungen zu politischen Konflikten blieb Kirsten Harms schuldig, so wie ihr schon vor ein paar Wochen im Streit um die Absetzung von „Idomeneo“ der Mut gefehlt hatte, die Freiheit der Kunst gegen angebliche Bedrohungen zu verteidigen. Sie ist als Regisseurin im Minenfeld kontaminierter politischer Ideen so überfordert wie als Intendantin.
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