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„Die kriegen mich nicht weg“

Seit sie sechs Monate alt ist, lebt Meryem Kaymaz in Deutschland. Die 19-Jährige wünscht sich nichts sehnlicher, als dass der deutsche Staat sie als seine Bürgerin anerkennt – und sie arbeiten lässt

von Eiken Bruhn

Noch einen Monat. Dann weiß Meryem Kaymaz, ob sie auch die nächsten Jahre in ständiger Angst vor Abschiebung leben muss. Am 16. und 17. November treffen sich die deutschen Innenminister in Nürnberg, um über ein Bleiberecht für Menschen wie die 19-Jährige zu entscheiden. Meryem Kaymaz wird auch in der Stadt sein, demonstrieren, und ihre Geschichte erzählen. Geboren in Beirut, lebt sie in Deutschland, seit sie ein halbes Jahre alt ist, zunächst in Nordrhein-Westfalen, seit zehn Jahren in Bremen. Wenn jemand über „Ausländer“ spricht, fühlt sie sich nicht gemeint. „Ich bin Deutsche“, sagt sie. Und: „Die kriegen mich hier nicht weg.“

Dass sie in dem Land, in dem sie aufgewachsen ist, keine Zukunft haben soll, versteht sie nicht. Sie ist hier zur Schule gegangen, drei ihrer sechs Geschwister sind hier geboren, ihr Vater hatte einen eigenen Laden, bis die Ausländerbehörde entschieden hat, dass er Türke ist und kein Recht hat hier zu sein. Sein Pech: Die Großeltern von Meryem hatten die Familie zur Sicherheit in unsicheren Zeiten in dem Bürgerkriegsland auch in der Türkei gemeldet, eine gängige Praxis. Das war vor sieben Jahren, seitdem heißt Meryem Kaymaz auch nicht mehr Miryam Chaabo wie zuvor und feiert ihren Geburtstag zweimal im Jahr. Einmal am 1.11., dem Datum, das die Ausländerbehörde festgesetzt hat und einmal am 5. Juni, dem Tag, an dem sie tatsächlich geboren wurde. „Wie gefälscht“ fühle sie sich manchmal, sagt Meryem.

Die neue Identität hatte gravierende Folgen. Sie ist in Deutschland nur „geduldet“ und kann jederzeit abgeschoben werden. Alle paar Monate muss sie deshalb zur Ausländerbehörde, um ihre Duldung verlängern zu lassen. „Vielleicht können Sie beim nächsten Mal direkt ins Flugzeug steigen“, hat ihr einmal ein Sachbearbeiter gesagt. Zweimal stand die Polizei seitdem schon bei Ihnen in der Wohnung, einmal morgens um sechs, einmal um acht, als die Kinder gerade zur Schule gehen wollten. Ein 21-jähriger Bruder wurde vor drei Jahren in die Türkei verfrachtet, vor einem halben Jahr konnte sein Anwalt erwirken, dass er zurückkommen darf. „Er ist nicht mehr derselbe“, sagt die Schwester, seine Freude am Leben habe er in der Türkei gelassen.

Meryem Kaymaz vermeidet es, sich auszumalen, wie sich ihr Bruder gefühlt haben muss, weil es sie genauso treffen könnte. Dass sie Angst hat, ist ihr nicht anzumerken, sie wirkt fröhlich und kämpferisch. Mitleid könne sie nicht gebrauchen, sagt sie. Und dass sie es hasse, abhängig vom Staat zu sein, Sozialhilfe zu bekommen. Doch ohne Aufenthaltserlaubnis kann sie nicht arbeiten. Im Februar hätte sie eine Ausbildung in einem Restaurant beginnen können, doch die Erlaubnis der Behörde kam erst ein halbes Jahr später. Darin ist festgelegt, dass sie nur in diesem einen Betrieb arbeiten darf, acht Stunden, Freitag, Samstag und Sonntagabend. Nicht das erste Mal, dass ein Job oder eine Ausbildung wegen der fehlenden Arbeitserlaubnis scheiterte.

Jetzt holt Meryem Kaymaz auf einer Abendschule ihren Realschulabschluss nach. Vor zwei Jahren hat sie ihn nicht geschafft. Während sie eigentlich für die Prüfungen lernen musste, kämpfte die Familie gerade mal wieder gegen eine bevorstehende Abschiebung. „Damals habe ich mir mein Ziel kaputtmachen lassen“, sagt die junge Frau. „Dieses Mal werde ich es schaffen“, sagt sie. Sie wolle unbedingt studieren und Anwältin werden. Für Asylrecht.

Heute läuft im Bürgerrundfunk (Kabelkanal 12) um 20 Uhr ein 45-minütiger Film über Meryem Kaymaz.

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