: Man spürt die Energie. Aber auch Frust
RUANDISCHES TAGEBUCH Eine Woche lang hat unsere Autorin in Kigali Menschen getroffen, ihre Erinnerungen an den Völkermord vor 20 Jahren verarbeitet und das Gedenken miterlebt. Hier ihr persönliches Fazit
Marie-Claude Bianco schrieb in der taz.am Wochenende am 5. April ihre Erinnerungen an ihr Geburtsland Ruanda 1994 und danach auf. Sie verbrachte die Gedenkwoche zum 20. Jahrestag des Völkermordes in Ruanda. Ihr „Ruandisches Tagebuch“, einschließlich der vollständigen Fassung dieses Beitrags, und weitere Berichterstattung zum Thema ist nachzulesen auf: taz.de/ruanda2014.
Das Foto zeigt die Autorin in Kigali. Auf dem T-Shirt steht das in Ostafrika geläufige Wort für „Weißer“Foto: privat
AUS KIGALI MARIE-CLAUDE BIANCO
Das Ende der Trauerwoche in Ruanda ist auch das Ende meiner Reise. Im Vorfeld war ich sehr skeptisch, was für ein Land ich wohl vorfinden werde. Ob der propagierte Wandel der Gesellschaft tatsächlich in den Köpfen der Menschen stattfindet oder ob er lediglich von oben vorgegeben und quasi übergestülpt ist?
Das Allererstaunlichste ist, dass man sich tatsächlich sicher fühlt. Das war eine meiner größten Sorgen, denn niemand weiß, wer welches Gedankengut wirklich in sich trägt. Für mich ist das Sicherheitsgefühl eine der entscheidenden Leistungen der Regierung. Und obwohl überall Soldaten und Polizisten zu sehen sind, fühlt man sich dennoch nicht wie in einem Polizeistaat.
Eine weitere Kraftleistung ist die Ausbildungsförderung von Kindern und Jugendlichen. Auch wenn immer noch die meisten Kinder nur die Grundschule besuchen – in Sachen Bildung ist Ruanda einen gewaltigen Schritt nach vorne gekommen.
Natürlich es gibt noch einige schwerwiegende Probleme. Dass die ruandische Gesellschaft im Grunde genommen mehrfach geteilt ist, ist eines davon.
Da ist zum Ersten der krasse Gegensatz zwischen Kigali und dem großen „Rest“ des Landes. Während die Hauptstadt boomt und mit ihren Shoppingmalls, Zebrastreifen, Ampeln, Straßenlaternen und Apartmenthäusern kaum mehr an Afrika denken lässt, sieht es auf dem Land ganz anders aus. Und das Land fängt direkt an den Rändern der Hauptstadt an. Bei allem Aufbruch in Kigali darf man nicht übersehen, dass die große Mehrheit der Ruander auf dem Land in großer Armut lebt.
Hinzu kommt, dass die Gesellschaft dreigeteilt ist. Einerseits sind da die Ruander, die nach 1994 aus dem Exil gekommen sind, und die von dem Völkermord, wenn man so will, indirekter betroffen sind. Sie leben in Kigali, sind der eigentliche Motor des Aufschwungs in der Hauptstadt und natürlich auch dessen größte Profiteure.
Von denen, die den Völkermord direkt erlebt haben, ist die weitaus größere Gruppe die der Täter und ihrer Angehörigen. Sehr viele zeigen keine Einsicht in ihre persönliche Schuld, sondern berufen sich auf die damaligen Zeitumstände und dass sie ja nur taten, was man ihnen gesagt hat. Die meisten sind der Ansicht, dass sie ihre Schuld durch Gefängnis oder Gacaca-Verhandlungen abgegolten haben. Und dass es damit jetzt auch gut sei. Sie wollen nach vorne schauen.
Und dann gibt es noch die Überlebenden, die mit ihren Traumata, ihren Erinnerungen und oft auch den davon stammenden körperlichen Gebrechen leben müssen. Längst nicht alle schaffen es, zuversichtlich in die Zukunft zu schauen.
Eine große Zukunftshoffnung aber steckt in der Tatsache, dass über 60 Prozent der Bevölkerung unter 25 Jahre alt ist und diese jungen Menschen mit enormen Anstrengungen versuchen, sich eine Zukunft aufzubauen. Während des Völkermords waren sie Kinder oder noch gar nicht geboren. In Kigali spürt man die Energie und auch die Motivation vieler junger Leute, am gesellschaftlichen Wandel teilzuhaben.
Doch man bekommt auch Frust zu spüren: Frust darüber, gut ausgebildet zu sein und keinen Job zu finden. Die hohe Arbeitslosigkeit ist vielleicht das drängendste Problem. Wer keine Beziehungen hat, der hat kaum Aussichten, eine gute Anstellung zu finden. Zudem ist Kigali so teuer, dass die meisten schlicht darum kämpfen müssen, ihre Familien satt zu bekommen.
Ich werde bestimmt bald wieder nach Ruanda fahren. Schließlich kennen meine Kinder das Land ihrer Großmutter noch nicht. Das will ich jetzt ändern.
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