piwik no script img

Afrikas Frankreich

DSCHIBUTI Wo somalische Piraten gesichtet werden: Eine Reise in ein unwirtliches Land, in eine französische Hafenstadt auf afrikanischem Boden

Dschibuti Tipps

 Die Anreise in das kleinste Land am Horn von Afrika erfolgt unter anderem mit Ethiopian Airways, Lufthansa oder Air France (zum Beispiel aus Frankfurt am Main über Addis Abeba ab 815 EUR).

 Ein Visum kann vor der Abreise bei der französischen Botschaft beantragt werden, ist aber gegen eine Gebühr von 5.000 DJF auch am internationalen Flughafen von Dschibuti-Stadt erhältlich.

 Vorsicht: Dschibuti ist teuer und kann mit den Preisen jeder europäischen Großstadt mithalten! Unterkünfte ab 40 Euro/Nacht (zum Beispiel Hotel Menelik, www.menelikhotel.com). Im Djibouti Palace Zimmer ab 300 Euro/Nacht (www.kempinski.com).

 Die Eisenbahn von Dschibuti-Stadt nach Dire Dawa (Äthiopien) fährt zweimal wöchentlich – Visa nicht vergessen und Platz in der First Class sichern – Stoffsitze statt Holzbänke! Allgemeine Infos:

www.presidence.dj (offizielle Regierungsseite)

www.djiboutiweb.net (Tourismusseite)

www.djiboutidivers.com (Exkursionsanbieter)

VON MARTIN ZINGGL

Der Bahnhof in Dschibuti-Stadt kocht. Dutzende Menschen empfangen lautstark die ankommenden Passagiere – und den heiß begehrten Qat, eine legale Alltagsdroge aus dem Hochland Äthiopiens. Von einer dicken Staubschicht überzogen erreicht die unbeleuchtete Eisenbahn mitten in der Nacht die Endstation La gare. Die Luft schmeckt salzig, der Bahnhof liegt nur wenige Meter von der Küste entfernt. Rund 18 Stunden dauert die 300 Kilometer lange Fahrt vom äthiopischen Dire Dawa in die Hauptstadt des nördlichen Nachbarn Dschibuti.

Die unüberschaubare Menschenmenge vermischt sich mit Ziegen, Gepäckstücken und Plastiktaschen mit Bündeln voll Qat. Sofort werden einige Blätter des grünen Krauts gekaut, der Rest wird später verkauft. Händler warten bereits ungeduldig in Taxis und Bussen. Es wird gestritten, gerangelt, gebrüllt. Afrika ist laut, hektisch, chaotisch und bürokratisch zugleich – zu jeder Tageszeit.

Ruckartig und ohne Gnade werde ich in einen vollgerammelten Bus befördert. Alles deutet darauf hin, dass es sich dabei um den letzten Weg aus der Hölle handelt, ehe sich herausstellt, dass man zweieinhalb Stunden am Stand steht und auf die Abfahrt wartet. Die Alternative dazu ist eine Fahrt mit dem Taxi. Kostenpunkt innerhalb der Stadt: 100 US-Dollar. „The White Man’s Tax“. Willkommen in Dschibuti!

Die strategisch günstige Lage an der Kante zwischen Rotem Meer und Indischem Ozean macht Dschibuti zu einem wichtigen Umschlagplatz der Region. Am internationalen Freihafen ankern nicht nur große Frachter aus aller Welt, sondern auch abwechselnd französische, deutsche und amerikanische Marineschiffe, immer auf der Lauer, somalische Piratenboote abzufangen. In unregelmäßigen Abständen überqueren vollgepackte Daus das Rote Meer in den Jemen. Vor Piraten fürchten sie sich nicht, eher vor den Kriegsschiffen, die gerne mal auf die Kleinboote schießen. Neben Händlern und Reisenden befindet sich manchmal der ein oder andere der 24.000 in Dschibuti registrierten somalischen Flüchtlinge an Bord. Manchmal auch nicht, aber hinterher fragt sowieso niemand.

„Frankreich investiert null in Dschibuti, aber nimmt so viel. Die Einzigen, die hier irgendetwas tun, sind die Araber“, sagt Michael Fuchs, ehemaliger Direktor des pompösen Djibouti Palace der deutschen Hotelkette Kempinski. Straßen, Häuser und Moscheen – all das und vieles mehr bezahlen die großen muslimischen Brüder. Dennoch sind politische Verwaltung, Schulsystem, Universitäten, Sprache und die Preise französisch.

„Willkommen in Frankreich. Hier ist nicht Afrika“, meint Ali, ein gebürtiger Issa-Somali, neben den Afar eine der beiden Bevölkerungsgruppen des Landes. Ali arbeitet im 24-Stunden-Supermarkt, wo die Preise tatsächlich denen in Paris ähneln. Die Produkte sind von feinster Qualität und kommen vor allem, wie könnte es anders sein, aus Frankreich. Vom Burgunder über Weintrauben bis zum Camembert finden die vorwiegend ausländischen Kunden alles, was das französische Herz begehrt. Die Frauen der Militärangehörigen und junge Soldaten in Zivil kaufen ein: Bier, Schnaps, Wein, Würste und Chips – eine Party steht bevor.

In täglichem Schichtbetrieb arbeitet Ali für einen Monatslohn von 250 US-Dollar. Auch freitags, am heiligen Tag der Muslime, wenn alles andere geschlossen bleibt und angetrunkene Soldaten den Supermarkt aufsuchen. Über 90 Prozent der Bevölkerung Dschibutis bekennt sich zum sunnitischen Islam. Frustriert sagt Ali: „Seit über dreißig Jahren sind wir von Frankreich unabhängig, und doch sind wir Gefangene im eigenen Land. Die Franzosen sind unsere Aufseher.“

Das französische Kulturinstitut lädt zum interkulturellen Abend ein: Junge, lokale Musikbands bekommen ihre Chance. Die meisten treffen den richtigen Ton nicht, aber das stört niemanden. Die Stimmung ist gut, das Publikum buntgemischt, der Eintritt frei. Bekiffte Rastas sitzen neben versnobten Botschafterkindern. „Dreitausend Studenten gibt es in Dschibuti“, sagt ein französischer Entwicklungshelfer. „Viel zu viele für so ein kleines Land. Die Absolventen denken, Frankreich sei ihre Zukunft, aber das ist Unsinn. Niemand wartet dort auf diese Leute und hier haben sie auch keine Chance.“ Resignierend nimmt er einen Schluck von seinem Kronenbourg-Bier.

Der Weg zur vulkanischen Bergkette Dschibutis führt vorbei an den Ausläufern der Hauptstadt: riesige Wellblechsiedlungen, barfüßige Kinder, Bettler und Invaliden – Afrika aus dem Bilderbuch der negativen Schlagzeilen. Bald müssen diese Siedlungen Platz machen für größenwahnsinnige Bauprojekte der arabischen Nachbarn. Aus den gepachteten Grundstücken werden Luxushotels oder spanische Gärten.

Vorbei geht es an geheimnisvoller Halbwüste und Steppe bis zum 6.000-Seelen-Dorf Arta. Ein Metzger, ein öffentliches Telefon und ein Restaurant, das ausschließlich Pasta und Pommes frites serviert, bilden die kleine Ansiedlung. Touristen passieren den Ort höchstens, um eine der surrealsten Sehenswürdigkeiten des Landes zu besuchen: die Danakildepression.

Allein der Name verrät nichts Gutes. Tote Landschaft bestehend aus Sand, unberührten Steinformationen und ausgetrockneten Flussbetten – ein Paradies für Geologen. Hin und wieder erscheinen Dornenbüsche, Kakteen und Eukalyptusbäume. Vereinzelt findet man Nomaden mit Kamelen, verdörrte Tierkadaver und blitzblank abgenagte Knochen. Lediglich zwei Prozent Dschibutis können landwirtschaftlich genutzt werden. Inmitten völliger Stille in einem der unwirtlichsten und uneinladendsten Orte der Welt liegt der Lac Assal. Der riesige Salzsee stellt mit 150 Metern unterhalb des Meeresspiegels den tiefsten Punkt Afrikas dar. Rund 1.000 Tonnen Salz werden monatlich von hier abgetragen und exportiert.

Am Salzsee begegne ich Jerome und seinem Team von Colas, einer französischen Firma für Straßenbau. Jährlich errichten sie 25 Kilometer neue Asphaltstrecke. Als Durchzugsland werden Dschibutis Straßen von Lkws verunstaltet. Bezahlt wird das Projekt von Saudi-Arabien. Gemeinsam machen wir ein Picknick am menschenleeren Strand von Ghoubbet, wo man von Oktober bis Januar für viel Geld mit Walhaien schnorcheln kann. Trotz starken Windes tischt die französische Equipe auf: Pastis, Wein, Huhn und Cocktailsalat mit kleinen Kirschtomaten.

Nach dem Ausflug macht die aus fünf weißen Geländewagen bestehende Truppe ein Wettrennen – zur einen Hälfte auf der alten, zur anderen auf der von ihnen neu erbauten Strecke. „Das machen wir jeden Tag nach der Arbeit“, sagt Jerome. Seine Augen glänzen, während er nicht gerade sorgsam mit dem Firmenwagen umgeht. Manche Teile der neuen Strecke sind noch nicht asphaltiert, aber er kennt jeden Meter in- und auswendig. Außerdem fährt er gerne schnell – jetzt sogar 120 Stundenkilometer statt der erlaubten 30. Mit ihm erreichen wir Dschibuti-Stadt als erstes Team – lebendig. Jerome lächelt siegessicher. „Strafzettel? Das ist doch nur Bakschisch für die Polizei. Dafür bleib ich sicher nicht stehen.“

Die Lage zwischen Rotem Meer und Indischem Ozean macht Dschibuti zu einem Umschlagplatz

Der Verlierer des Wettrennens lädt in eine der vielen Discos der Hauptstadt ein: schummriges Licht, laute elektronische Musik, stark überteuerte Getränke, äthiopische Prostituierte, die sich mit französischen Soldaten amüsieren – viele davon in Uniform.

Dschibutische Mädchen trifft man, wenn überhaupt, nur heimlich und es bedarf langer Anlaufzeit, bevor erst einmal Händchen gehalten werden darf. Aber die Zeit haben die meisten Ausländer nicht. Maximal zwei Jahre dauern die Verträge der Gastarbeiter, bevor es nach Ruanda, Senegal oder Madagaskar weitergeht. Das Bild dort gleicht dem von Dschibuti: Franzosen investieren nichts, nehmen aber reichlich.

Wenn von 13 bis 16 Uhr die alltägliche Qatpause eintritt, werden die mit Zimt aromatisierten Milchtees ausgetrunken und Dschibuti-Stadt wird zur Geisterstadt. Cafés und Geschäfte sperren zu, Besitzer und Kunden verschwinden durch Seitengassen in hölzernen Hauseingängen. Keine Menschenseele ist auf den Straßen zu finden.

Beim Anblick der leeren Kulissen fällt plötzlich die Schönheit der Stadt auf. Dschibuti-Stadt hat viel mehr zu bieten als toten Beton, Asphalt und Glas. Keines der Häuser ragt höher als vier Stockwerke in den Himmel, riesige kreisförmige Arkaden schmücken kleine Terrassen, auf denen Plastik- und Holzinventar ruhen. Historische Kolonialbauten wurden hingebungsvoll renoviert und dienen als Patisserien, Restaurants, Frisiersalons und Büchergeschäfte. Dazwischen immer wieder alte Villen, die nach und nach verfallen. Eine alte französische Hafenstadt auf afrikanischem Boden, erbaut im Kolonialstil vermischt mit Einflüssen und Elementen aus Arabien und Afrika: Wenn nicht gerade die tägliche Qatpause alles lahmlegt, pulsiert die Stadt.

Über dem Meer liegt der Jemen. An der engsten Stelle umfasst die Strecke dorthin gerade einmal 18 Kilometer. Vor einigen Jahren wurde der Bau einer Brücke beschlossen, die beide Länder, vor allem aber die arabische Welt mit dem afrikanischen Kontinent, außerhalb von Israel, verbinden soll. „Alle erwarten, dass die Brücke morgen fertig ist“, sagt Michael Fuchs zynisch. „Bauen Sie einmal eine 18 Kilometer lange Brücke! So etwas können nur die Araber.“ Da das besagte Gebiet nahe der eritreischen Grenze liegt und seit 2008 erneut Grenzkonflikte mit dem Nachbarn aufgetreten sind, ist das Projekt derzeit stillgelegt.

Auch wenn keine ernsthafte Gefahr besteht, bleibt die Grenze geschlossen. Touristen werden hier nicht gerne gesehen, denn theoretisch kann immer etwas passieren, zum Beispiel Nomadenüberfälle. Deshalb verhaftet mich die Polizei bei der Fahrt dorthin aus Sicherheitsgründen, nimmt mir den Pass ab, beschuldigt mich der Spionage und lässt mich vom Militär nach Hause eskortieren. Wann denn die Grenze wieder geöffnet werde, frage ich den qatkauenden Fahrer des Militärjeeps. „Woher soll ich das wissen?“, entgegnet er grinsend und zeigt dabei seine kaputten Zähne. Grüne Blattspitzen schmücken seine Zahnlücken. „Ich bin Soldat und kein Politiker!“ Unterwegs kaufen wir einer Nomadenfamilie eine Ziege ab. Ein Geschenk für den Kommandanten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen