: Ski heil in der Heide
Heute eröffnet in der Lüneburger Heide Europas modernste Skihalle. Mit den Erholungsgebieten ringsum verträgt sich das weniger, mit den Ambitionen Bispingens, ein Eventzentrum zwischen Hamburg und Hannover zu werden, schon eher
AUS BISPINGEN JAN FREITAG
Frühherbst in der Lüneburger Heide – Zeit, die Winterkleidung anzuziehen. Ronald Waege zieht seinen Fleecekragen hoch und zeigt zur Piste: „Wenn ich mich durchsetze“, frohlockt der Skilehrer in PR-Funktion mit dampfendem Atem, „kommt da vorn auch noch eine Buckelstrecke hin“. Wo genau, ist nicht zu erkennen: Dichtes Schneetreiben drückt die Sichtweite auf 50 Meter. Das ist in Bispingen dieser Tage zwar ungewöhnlich, aber normal ist ohnehin außer Mode, im Eventtourismus der Gegenwart.
60 Kilometer südlich von Hamburg eröffnet heute Deutschlands nördlichstes Skigebiet. In einer Halle. Europas modernster ihrer Art, wie die österreichischen Investoren versichern. 316 Meter Abfahrt auf bis zu 100 Meter Breite, Lifte für stündlich bis zu 4.600 Menschen, schneesicher wie das Hochgebirge – nur weniger witterungsanfällig. Knapp zwei Monate haben die Betreiber den SnowDome Sölden inwendig beschneien lassen. Tag und Nacht. Aber das gehört ja auch in den klimagewandelten Alpen längst zum guten Ton.
Dafür geht es dort steiler zu. Und auch das Naturerlebnis wird durch die graue Hallendecke eher ausradiert als ersetzt. Egal – als am Montag die ersten Testfahrer ins, tja, Tal stürzten, was bei maximal 20 Prozent Gefälle ein eher entschleunigter Spaß ist, waren alle begeistert von einem Dutzend Schwüngen auf den Brettern.
Wie eine Sprungschanze ragt das Stahlgerüst aus dem kargen Sandboden an der A7. Ein idealer Standort für den vierten Indoorhang der Republik, beteuert sein Betreuer Waege: Die Autobahnauffahrt für 365.000 erhoffte Besucher im ersten Jahr vor der Tür, ein landschaftlich eher wertloses Umfeld mit bestehenden Freizeitalternativen von Kartbahn über Bowlingcenter bis McDrive in Wurfweite, vor allem aber eine Gemeinde, die alles tut, um aus Bispingen, wie es SnowDome-Chef Ralph Benecke nennt, „eine touristische Hochburg in Europa“ zu machen.
Schließlich hat man dort noch viel vor. Bürgermeister Detlev Loos spricht gern vom „Erlebnisgebiet auf dem Horstfeld“, wenn er jenes Areal beiderseits der BAB beschreibt, das sein Teil des Landkreises Soltau-Fallingbostel nach und nach erworben hat. 40 Hektar insgesamt, einen Teil davon auf Loos‘ Initiative hin. Der begeisterte Skifahrer nennt den SnowDome denn auch „mein Baby“, das bei einem Besuch der Wintersporthalle in Neuß gezeugt wurde. „Da habe ich Witterung aufgenommen“, erinnert er sich ans Jahr 2004.
Zurück daheim, luchste Loos der Stadt Wolfsburg fast im Alleingang eine sicher geglaubte Zusage der Söldener Bergbahnen für die 35 Millionen Euro teure Investition ab und bastelte weiter am Fun-Resort in einer Ausbuchtung des Naturschutzgebiets. Alpine Gastronomie mit importierter Almhütte im Original, ein „Nordic Sportzentrum“ samt Kinderparadies, die obligatorische Shopping-Mall und natürlich viele Hundert Parkplätze komplettieren das künstliche Winterwunderland. Doch das ist längst noch nicht alles. Ab März entsteht nebenan eine Wasserskianlage. Der Bau eines Viersternehotels mit ausgedehntem Wellness-Bereich gilt als sicher. Geplant sind zudem eine überdachte Schießanlage und – laut Loos „das dickste Brett, das wir noch bohren“ – ein riesiges Outletcenter, wie es das britische Unternehmen Value Retail bereits in Ingolstadt und Wertheim unterhält. Kein Wunder also, dass die SPD den parteilosen Amtsleiter schon mal als „Sonnenkönig“ bezeichnet, der noch einiges vorhabe mit der Lüneburger Heide.
Kein Wunder aber auch, dass solch ein Projekt, von Niedersachsen mit 5,2 Millionen Euro bezuschusst, auf Gegenstimmen stößt. Zu groß, zu wenig durchdacht, zu viel Flächenverbrauch klagt etwa der Grüne Kreisverband. „Nötig wie ein Kropf“, beurteilt Karin Einhoff, Vorsitzende des SPD-Ortsvereins, die Tendenz zum „Instant-Urlaub“ und bemängelt den Beitrag für die Ausbildungssituation oder knapp 80 Vollzeitjobs als zu gering. Doris Blume-Winkler vom örtlichen BUND dagegen stört die „völlig unzeitgemäße Energieverschwendung“ im Bereich von geschätzten vier bis fünf Millionen kWh Strom pro Jahr – fast so viel wie der gesamte Ort Bispingen –ebenso wie der „enorme Eingriff ins Landschaftsbild“.
Tatsächlich ist der Snow-Dome vom Westen der geschützten Heidelandschaft her kilometerweit zu sehen. Ein Mahnmal, wie Blume-Winkler es nennt, für die Zersiedlung einer Region, die noch vor zehn Jahren als reiner Hort der Ruhe beworben wurde. Damals tobte unweit vom Horstfeld ein erbitterter Kampf um den zweiten Störenfried des sanften Tourismus: Die karibische Ferienenklave Center Parcs Bispinger Heide bringt seit 1995 eben nicht nur 500 Arbeitsplätze und stetige Steuererträge, sondern bei rund einer Million Gäste pro Jahr auch gravierende Verkehrs- und Umweltbeeinträchtigungen mit sich. In der Provinz ist der ÖPNV naturgemäß unterentwickelt und eine Auslastung des Center Parcs von 90 Prozent rechtfertigt im Zweifel jeden Erweiterungswunsch.
Von lautem Protest, geschweige denn echtem Widerstand kann jedoch im Falle des SnowDomes keine Rede sein. Kaum ein Gespräch endet ohne den Hinweis, doch bitte nicht als Hallengegner gelten zu wollen. Zu wichtig ist die touristische Erschließung Bispingens und seiner weit verstreuten Heidedörfer als Haupteinnahmequelle. Und der SnowDome soll die Zahl der Tagesbesucher wieder auf den Stand der Sechziger verdreifachen helfen, als sich jährlich 6,5 Millionen Gäste in der Heide erholten. 2011, so lautet das Ziel von Bürgermeister Loos, „wollen wir schuldenfrei sein“. In Zeiten knapper Kassen ein schlagendes Argument.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen