ORTSTERMIN: IM GEDENKPAVILLON FÜR ROBERT ENKE
: „Ich vermisse dich“ in Kinderschrift

Seit 6 Uhr früh ist der Trauerpavillon geöffnet. „Letztes Jahr“, sagen die, die vor einem Jahr schon hier waren, „war das Wetter genauso.“ Damals standen sie über den ganzen Vorplatz Schlange, im November-Nieselregen, um in die Kondolenzbücher zu schreiben: für Robert Enke, Torwart, der sich das Leben genommen hatte.

Jetzt, um den ersten Todestag herum, hat Enkes letzter Verein Hannover 96 eine kleine Ausstellung vor dem Nordeingang der AWD-Arena organisiert. In einem weißen Zelt hängen Tafeln mit Erinnerungsstücken und Bildern, schwarze Kerzen brennen. An der Rückseite: ein großformatiges Foto Enkes, nicht als jubelnder Fußballer, sondern ein grüblerisches Portrait. Darunter sammeln sich mehr und mehr Kerzen, Briefe und Blumen.

Heute ist es eher ruhig, im Zelt redet kaum jemand. Die meisten kommen offenbar, um nur ein paar stille Minuten hier zu verbringen. Wenn sie doch etwas loswerden wollen, schreiben sie es in das Gedenkbuch, das auf einem Stehtisch ausliegt. Eine junge Frau hebt ihre Tochter hoch, damit sie auch herankommt. „Ich vermisse dich. Julie“, schreibt das sechs, vielleicht sieben Jahre alte Mädchen, auf dem Kopf eine rosa Pudelmütze, in Kinderhandschrift.

Tausende Gegenstände, die trauernde Enke-Fans vor einem Jahr vor dem Stadion hinterlassen haben, hat der Verein eingesammelt und an den Historiker Hermann Queckenstedt weitergegeben. Der hat daraus einen Teil der Ausstellung „Im Fußballhimmel und auf Erden“ gestaltet, die derzeit im Diözesanmuseum Osnabrück zu sehen ist. „Dr. Queckenstedt kennt sich mit der Aufarbeitung von Trauergegenständen aus“, sagt Hannover-96-Sprecher Andreas Kuhnt. Sie als Verein hätten das gar nicht leisten können.

Kuhnt sieht in dem weißen Zelt an der Arena ein Angebot, das der Verein eher „passiv beworben“ habe. Trauer sei eine persönliche Angelegenheit – dem solle der Rahmen Rechnung tragen. „Wir wollten nicht zur kollektiven Trauerfeier aufrufen.“

Zum Lesen kniet sich Benjamin Nuhovic vor die Tafeln, auf die Briefe, Gedichte, handgemalte Bilder und Fanfotos gepinnt sind. Angesichts all der Kinderbilder und Briefchen laufen dem 32-Jährigen Tränen übers Gesicht. „Das ist ja schon für einen Erwachsenen schwer zu verstehen“, sagt er, „wie muss das dann erst für Kinder sein?“ Nuhovic, dunkles Bärtchen und Brille, sieht nicht aus wie ein typischer Fußballfan. Aber einmal, ja, habe er Robert Enke spielen sehen: bei dessen erstem Profispiel sei das gewesen, bei Carl Zeiss Jena.

Er habe selbst mehrere Jahre mit Depressionen zu kämpfen gehabt. „So nah dran wie Robert war ich nie“, sagt er, „aber kurz davor.“

Nuhovic hat im Internet nach Berichten über Enke gesucht – und ist dabei „weit oben bei Google“ auf Witzseiten gestoßen. Dort stehen Sachen wie diese: Was waren Robert Enkes letzte Worte? – Den halt ich auch noch. „Sowas können doch nur Leute schreiben, die noch nie in so einer Situation waren“, sagt Daniel Nuhovic. Dass Menschen wie er heute offen über Depression sprechen können – das ist vielleicht das Vermächtnis des Robert Enke. ANWEN ROBERTS