: Volksgut in der Falle
In seiner ersten großen Werkschau im Frankfurter Museum für Moderne Kunst setzt Andreas Slominski Styroporbilder und banale Objekte gegen zu viel Oberflächenpop
„Das Schweigen von Marcel Duchamp wird überbewertet“ – Joseph Beuys ließ auf seine Worte 1964 eine Aktion folgen. Das Schweigen – oder vielmehr: die Verweigerungsstrategie – seines Kollegen konterkarierte Beuys, indem er Duchamps Readymade-Idee durch seine eigene Theorie der „sozialen Plastik“ erweiterte. Auch aktuell stellt sich die Frage, ob sich auf intelligente Weise Kunst produzieren lässt, indem man konzeptuelle Hermetik auf der einen sowie frischfrommfröhliche Malerei auf der anderen Seite gewissermaßen am Schopf packt und in eine ganz andere, eigene Richtung zerrt?
Andreas Slominski scheint in seiner erste großen Werkschau im Museum für Moderne Kunst im Kern auf eine solche Bewegung zu setzen. Er zwingt dem Besucher hier buchstäblich eine andere Sicht auf seine Objekte in der MMK-Sammlung auf, wie auch auf seine neueren Bilder und Installationen. Man muss sich regelrecht verrenken und den Kopf strecken und erkennt doch kaum, was eine Frankfurter Städelschülerin nach Slominskis Anweisung vor Ort malt.
Ihre Staffelei steht im Obergeschoss des MMK auf einem Gerüst, das bis zur Decke reicht. Einige Deckenplatten hat Slominski entfernt, wodurch eine Öffnung entstanden ist. Worauf schaut man durch die Öffnung? Und wen porträtiert die junge Kunststudentin so akribisch? Vom Boden aus schimmern weiße Pumps durch die milchige Decke. Zu sehen ist also nur ein Abdruck – eine Spur, die zu Duchamps Glasbild „Die Braut, von ihrem Junggesellen entkleidet, sogar“ (1915–23 ) führen könnte. Eine Assoziation, die so abwegig nicht ist. Denn im Duchampschen Sinn sagt Slominski: „Ich vermeide alles Dekorative, damit man nicht an der schönen Oberfläche haften bleibt.“ Schön sind denn auch seine neun Styroporbilder, die im MMK ebenfalls einen ganzen Raum füllen, wirklich nicht. Genauer gesagt, sind es Reliefs, deren Oberfläche Slominski mal ausgesägt und ein anderes Mal darauf völlig konträre Elemente angeordnet hat. Hammer, Zahnräder, Skier; auf einem der großformatigen Reliefs prangt ein rosaroter Herzkuchen, und als Beilage zu diesem Menü gibt es obendrein Pizza. Slominskis schrille Verwurstung der Pop-Art-Ästhetik wirkt derart kitschig, als habe er Jeff Koons’ Objekte beim Produzieren vor Augen gehabt. Die russische Revolutionskunst kommt nicht besser weg. Konstruktivistische Formen nach El Lissitzky hat Slominski mit einem kleinen Besen versehen – schnell hatte das Sowjetregime die abstrakte Moderne vom Tisch gefegt.
Und seine Kritik am Malereiboom wie am gerade neu entdeckten Genre Skulptur? Sie wird im MMK an anderer Stelle sichtbar: Exakt jene Menge an Farbtöpfen stapelte Slominski in einem Raum, die es braucht, um den vor Bremerhaven gelegenen Leuchtturm Roter Sand anzustreichen. Neben diesem schlichten Ensemble stehen Eimer mit grüner und brauner Farbe. Ein solches Farbmuster überzieht den Kampfpanzer Leopard, der bekanntlich weltweit von Deutschland aus exportiert wird.
Dazu konstruiert Slominski seit Jahren Fallen – die jüngste Variante ist die „Regenwurmfalle“ – und legt wie jeder Fallensteller Fährten aus. Etwa einen Glückspfennig, der aber keiner ist, da man den Titel liest: „Gefunden am 16. 05. 1996 auf einem Maulwurfshügel in Buchenwald“. Die Grube, in die das angelockte Opfer fällt, ist oft erschreckend tief. Dass Slominski der verstärkten Rückbesinnung auf deutsches Volksgut grundsätzlich misstraut, verdeutlicht auch sein mit Schiefer gedecktes Dach in der Eingangshalle.
„Wo sind die Skier?“, so lockt der in Hamburg lebende Künstler sein Publikum, an ungewohnter Stelle nachzusehen. Es lohnt, sich auf dieses Angebot einzulassen. Zu entdecken ist nicht zuletzt eine überraschungsreiche Metaphernmaschine, die aber nicht selbstreferenziell nur die Kunst, sondern weiter auch Alltag, Politik und Gesellschaft kritisch ins Auge fasst.
HORTENSE PISANO
Bis 28. Januar, MMK, Frankfurt am Main
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen