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jazzkolumneEin Neuanfang muss her

Nirgendwo ist Jazz so populär wie in Südafrika. Musiker suchen nach dem Post-Apartheid-Sound. Ein Festival in Frankfurt stellt sie vor

David Murray hat ihm erlaubt, seinen Erkennungssong „Flowers for Albert“, einst als Hommage an den Freejazz-Saxofonisten Albert Ayler gedacht, in „Flowers for South Africa“ umzubenennen. Beim Cape Town International Jazz Festival 2005 feierte der Schlagzeuger Louis Moholo mit diesem Song die Rückkehr in seine Heimat. Moholo, der einzige Überlebende der südafrikanischen Jazzband Blue Notes, die 1964 ins europäische Exil ging, wuchs im Langa Township in Kapstadt auf, und hatte im November 2004 beim Berliner Total Music Meeting angekündigt, dass er nach 40 Jahren wieder nach Südafrika zurückkehren werde. Ob die südafrikanische Szene schon für die Avant-Exkurse seiner Sonke-Band – Sonke heißt in der Xhosa-Sprache „Wir“ und soll das nicht mehr nach ethnischer Herkunft getrennte Lebensgefühl symbolisieren – bereit ist, bleibt abzuwarten. Bislang hat Moholo weder ein unbefristetes Aufenthaltsrecht noch eine Rente erhalten.

Jetzt kommt er für sechs Konzerte nach Frankfurt: Beim Festival „Jazz gegen Apartheid“, das in diesem Jahr unter dem Motto „Heimkehr oder Exil“ stattfindet, spielt er neben John Tchicai, Claude Deppa und Harry Beckett auch mit dem Schlagzeuger Makaya Ntshoko, der ebenfalls Anfang der Sechzigerjahre emigrierte und seitdem in der Schweiz lebt. Moholos Generation ist nach wie vor hin- und hergerissen. Man scheut die Heimkehr, weiß nicht recht, was einen erwartet. 40 Prozent Arbeitslosigkeit; Armut und Aids sind zwar noch längst nicht im Griff; akzeptabler Wohnraum fehlt für die Mehrheit der Bevölkerung, das Berufsausbildungssystem kommt nur schleppend voran, doch die Post-Apartheid-Generation in seiner Heimatstadt verbreitet Zuversicht.

Die englische Musikjournalistin Gwen Ansell lebt schon lange in Südafrika und hat in ihrem Buch „Soweto Blues. Jazz, popular music and politics in South Africa“ aus hunderten von Interviews mit südafrikanischen Jazzmusikern, die sie in den letzten zwölf Jahren geführt hat, die äußerst komplexe Geschichte des Jazz vor und nach der Apartheid geschrieben. Ob der Sänger Tsepo „Village Pope“ Tshola oder der Jazzgitarrist Lucky Ranku, viele südafrikanische Sänger und Musiker waren während der Apartheid als musikalische Botschafter des African National Congress (ANC) im Exil unterwegs, darunter der Pianist Abdullah Ibrahim als wohl bekanntester Vertreter. Mehr noch, dank des vom Trompeter Hugh Masekela gegründeten „Musicians and Artists Assistance Programme South Africa“ gelang es nicht bloß Masekela selbst, sondern auch Tshola, seine langjährige Drogenabhängigkeit zu überwinden.

Schon zur Post-Apartheid-Generation gehört die Sängerin Simphiwe Dana, Tochter eines Priesters aus dem Südosten der Republik, die einen Collegeabschluss in Grafikdesign hat und mit ihrer Debüt-CD „Zandisile“ spektakuläre Erfolge feierte. Danas Thema ist die afrikanische Identität. Deshalb singe sie auch in Xhosa, eine der elf Sprachen Südafrikas. Ihre Lehrer hätten ihr damals noch gesagt, dass man es nur mit der englischen Sprache zu etwas bringen könne, doch diese Zeit sei jetzt vorbei. Nur wenn sie Xhosa spreche, fühle sie sich als afrikanische Frau „vollkommen“, und Jazz sei für sie die Musik, die alles vereint.

Der weiße Bassist und Komponist Carlo Mombelli, der Südafrika 1987 für elf Jahre verließ, unter anderem auch in München lebte, ist auch auf Danas CD zu hören. Er rechnet sich der „Protestgeneration“ zu, also jenen, die heute zwischen 35 und 55 sind, und er will einen Neuanfang. Denn die Verbindung von Jazz, Exil und Anti-Apartheid führe nicht mehr weiter. Der Autodidakt macht deutlich, dass er es jetzt mit einem künstlerischen Nachwuchs zu tun habe, der eine fundierte musikalische Ausbildung erhält und dadurch auch die Chance, seine Fähigkeiten eigenständig zu erweitern.

Es gibt die Haltung, dass nur die gelitten haben, die ins Exil gingen, berichtet auch Gwen Ansell. Doch in den Siebzigern und Achtzigern seien auch viele in ein inneres Exil gegangen – Menschen, die keine Möglichkeit für sich sahen, ins Ausland zu gehen, meist weil sie familiäre Verpflichtungen hatten. Einer von ihnen ist der Tenorsaxofonist Winston Mankunku Ngozi – er hörte für lange Zeit einfach zu spielen auf. Es gehe nicht mehr um den Kampf gegen Apartheid, sagt Ansell, südafrikanische Musiker würden heute Probleme thematisieren, die Menschen in anderen Teilen der Welt auch haben.

Der Saxofonist McCoy Mrubata wendet sich in „Talk about it“ gegen Gewalt gegen Frauen, und Zim Ngqawana, ebenfalls Saxofonist, komponierte „Globalization“. Südafrika sei möglicherweise das einzige Land in der Welt, in dem Jazz das ganze Jahr über ein Thema ist, berichtet der 1968 geborene Pianist Andile Yenana. Die Wochenendzeitungen seien voll davon, und die Leute hören sich zusammen mit Nachbarn und Freunden Jazzplatten zu Hause an. Doch das sei eben auch schon die Rezeptionsweise seiner Eltern gewesen, sagt Yenana. Eine Ästhetik des Jazz, die dem Leben nach der Apartheid entsprechen könne, fehle völlig.

CHRISTIAN BROECKING

Die Konzerte finden vom 24. bis 29. 10. in verschiedenen Frankfurter Kirchen und Gemeindezentren statt (www.Kultur-im-Ghetto.de)

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