piwik no script img

Bloggen könnte ja jeder

UNDERDOGS Nach dem Aus der „Mainzer Rhein-Zeitung“ machen die Sportredakteure allein weiter

VON DANIEL BOUHS

Ein Samstagnachmittag im Mainzer Stadion, das sich doch tatsächlich „Arena“ nennt. 15.30 Uhr, gleich beginnt das Spiel. Heute ist Bremen da. Und auf der Pressetribüne, Reihe 8, Platz 7, sitzt Peter Herbert Eisenhuth als wäre nichts passiert. Als hätte er nicht neulich seinen Job verloren. Als hätte die Rhein-Zeitung nicht zum Jahreswechsel nach 26 tapferen Jahren ihre Lokalausgabe in der Landeshauptstadt eingestampft. Ist der Mann mit seiner Akkreditierung, auf der noch immer Mainzer Rhein-Zeitung steht, also verrückt?

„Für mich hat ein neues Spiel begonnen“, sagt Eisenhuth, 48, über den Umbruch in seinem Leben. 20 Jahre war er bei der MRZ – freie Mitarbeit, Volontariat, Redakteur. „Im ersten Moment war die Überraschung groß, aber ich hatte schnell die Idee, wie es weiter geht.“ Sein Plan war simpel: Weitermachen.

Im Stadion bricht Jubel aus: 1:0! 2:0! 3:0! Weil Mainzern jeder Anlass recht ist, um sich in die fünfte Jahreszeit zu flüchten, fährt der Stadionsprecher bei Treffern der eigenen Jungs den Narrhalla Marsch ab. Tö-dö-dö, tö-dö-dö! macht es also im Stadion. Während nach dem Band die Fans übernehmen und im Takt weiter grölen, als würde in ihrer „Arena“ der Elferrat kicken, quält Eisenhuth neben seinen Ohren auch noch seinen Computer: Seit sechs Wochen setzt er gleich nach Abpfiff einen Beitrag ab.

Nach dem Aus seiner Zeitung hat Eisenhuth das Neuland betreten. Er zieht Sport aus Mainz auf, ein Online-Portal für den Sport aus der Region – Mainz 05 natürlich, aber auch für die unteren Ligen, für Schwimmen, Rugby, Leichtathletik und Basketball, bis hin sogar zu vermeintlich Abseitigem wie Amercian Football und Baseball. In der Region faszinieren diese Disziplinen noch immer eine beachtliche Fangemeinde. Und Eisenhuth ist nicht der einzige, der das neue Portal mit all diesen Inhalten füllt.

Katja Puscher, 39, ist bei Sport aus Mainz die Fachfrau für Tennis und Basketball. 15 Jahre hat sie für die MRZ gearbeitet und wurde schon ein halbes Jahr vor dem Ende der Lokalausgabe in die Freiheit gestoßen. Eisenhuth hat sie für sein Projekt gewonnen – so wie zehn andere Kollegen. Was Puscher am besten gefällt: dass sie mit ihrem Projekt von Anfang an gegen die Kostenlosmentalität im Netz ankämpfen. „Es gibt keinen anderen Berufszweig, der sein Produkt so verschenkt, wie es Journalisten über Jahre, wenn nicht gar über Jahrzehnte gemacht haben“, sagt sie. Sport aus Mainz gibt es dagegen nur im Abo, für fünf bis sechs Euro im Monat. Es brauche „dieses Umdenken“, sagt Puscher. „Daran möchte ich mitarbeiten.“

Von Medienmachern, die weniger Medien machen, als dass sie Tschakka!-Reden halten, hört man seit Jahren Sprüche wie „Die Zeit war für Journalisten noch nie so geil!“. Sie spielen damit auf die Digitalisierung an: Jeder kann einfach loslegen. Publizieren kostet nichts mehr. Keine Druckereien, kein Vertrieb. Eisenhuth und seine Mitstreiter lernen gerade: So einfach ist das nicht. Zwar können sie gut auf einen Verlag verzichten, laufen damit aber auch voll ins Risiko – alles oder nichts. „Wir sind kein Sportblog, wir sind ein Online-Portal“, sagt er. „Klar, jeder kann aus Hobby sein Blog schreiben. Aber wenn es als Wirtschaftsmodell gedacht ist, braucht es ein bisschen mehr.“

Dieses Etwas sieht in Mainz so aus: Einige haben ihre Rücklagen in das neue Projekt eingebracht. Dazu kommt ein Kredit von ein paar Zehntausend Euro. Immerhin: Lotto und die Stadtwerke haben Werbeflächen gebucht – ein Lichtblick. Am Ende aber sollen vor allem die Leser dafür sorgen, dass das Wagnis nicht in einer Katastrophe endet. Und die sind interessiert: An den Start ging Sport aus Mainz mit einer dreistelligen Abonnentenzahl.

Nach dem Aus der MRZ gibt es in Mainz nur noch die Allgemeine Zeitung und ihr kostenfreies FuPa.net, das seine Autoren teils in der Vereinslandschaft akquiriert. Sport aus Mainz ist damit zumindest immer dann automatisch die einzige Alternative, wenn es um Profiberichte über den Sport aus der Region geht – Qualität statt Quantität.

Die eher unfreiwilligen Überläufer aus dem Zeitungsgeschäft ins Digitale schulen derweil im laufenden Betrieb um. Früher, als sie noch Printseiten geplant und vollgeschrieben haben, mussten sie vieles jenseits des Mainstreams klein fahren oder ganz sein lassen. Das soll sich ändern, nicht zuletzt, weil die Seitenstatistik ihnen nun sehr genau verrät, was ihre Leser tatsächlich interessiert und was nicht.

„Das ist ein lebendiges Portal und braucht eine Entwicklung – auch bei uns“, räumt Puscher ein, die vorgeprägt ist: Bei der MRZ hatte sie zuletzt die digitalen Kanäle der Lokalredaktion bedient. Ihre Parole: „Wir werden uns an den Markt anpassen.“

Den dominiert seit jeher die verbliebene Zeitung. Und wenn Peter Herbert Eisenhuth bei Heimspielen der 05’er im Stadion sitzt, dann tanzt ihm die Konkurrenz auch noch auf der Nase herum: Auf einem kleinen blauen Zeppelin, der vor Anpfiff im Stadion seine Runden dreht, prangt das Logo Allgemeinen Zeitung. Ja, sie ist die Herrin im Haus.

Eisenhuth und seine Kollegen sitzen dann ruhig und lassen sich nichts anmerken. Die Rolle des Underdogs haben sie ja nun ein viertel Jahrhundert lang geübt. An der Konstellation im Mainzer Sportjournalismus hat sich nichts geändert. An allem anderen schon.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen