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Der Mann, der (sich) erneuert

BÜHNE Der Holländer Johan Simons will die Münchner Kammerspiele in seiner Intendanz zu einem „Theater der Nationen“ umbauen. Nun erhält er den Berliner Theaterpreis

„Für mich bleibt das Theater immer ein Fremdkörper, auch wenn ich es liebe“

JOHAN SIMONS

VON ANNETTE WALTER

Seit Johan Simons die Kammerspiele leitet, wird er mit Preisen verwöhnt. 2013 Theater des Jahres, doppelt vertreten auf dem diesjährigen Theatertreffen, eben einen Preis zum Welttheatertag, nun der Berliner Theaterpreis.

Dabei musste er auf seine erste große Auszeichnung, den Europäischen Preis für Innovation im Theater, ziemlich lang warten, nämlich 54 Jahre. 14 Jahre ist das her. Vermutlich liegt es daran, dass der 67-Jährige eine Auszeichnung bescheiden annimmt: „Einen Preis empfindet man nie als Routine, das wäre arrogant und überheblich.“

Heimweh treibt den so erfolgreichen Simons 2015 dennoch weg, wenn seine Intendanz auf eigenen Wunsch endet: Die Sehnsucht, abends in sein Haus, eine alte Dorfschule im holländischen Varik, heimzukommen. Dort lebt er seit langem mit seiner Frau, der Schauspielerin Elsie de Brauw.

Beim Gespräch in seinem Büro gleich um die Ecke des Münchner Schauspielhauses trägt er wie fast immer dunkle, legere Kleidung. Er sitzt vor einer grünen Suppe und einem Latte macchiato, sein Mittagessen um 16 Uhr.

Der Mann hat viel zu tun. Vor ihm liegt eine Textmappe, auf der mit Bleistift „Dantons Tod“, darunter „Neger“ gekrakelt steht, beides typische Simons-Stücke, weil sie gesellschaftliche und politische Themen verhandeln. Er selbst hat gerade eine heftige Diskussion um das Genet-Stück hinter sich. Der Titel bleibt, die Umbenennung in „Die Weißen“ ist vom Tisch.

Unangepasster Geist

Simons ist von kräftiger, imposanter Statur. Markant sind die ungebändigte graue Haarpracht und die tiefe Stimme. Seine Mimik verändert sich binnen Sekunden, von grimmig bis lauthals lachend. Sein unangepasster Geist trieb ihn in den 1980er- und 1990er-Jahren mit der Theatergruppe ZT Hollandia in Fabrikhallen und auf Schrottplätze.

Wie passt so ein Mensch zur Luxusshoppingmeile Maximilianstraße vor seiner Haustür? Gar nicht. „Schuhe für 500 bis 600 Euro oder ein Handy mit Brillanten für 10.000 Euro?“ Simons schüttelt den Kopf.

Die Kammerspiele als letzte Bastion gegen die Shopping-Diktatur? Darin versuchte sich eine der plakativsten Inszenierungen in Simons’ Intendanz, Elfriede Jelineks „Die Straße. Die Stadt. Der Überfall“, auch wenn es sich in der oberflächlich-tragischen Klamaukfigur Rudolf Mooshammer verlor und bisschen wenig Biss zeigte.

An der Wand des Intendantenbüros hängt ein Plakat, das Jeroen Willems als König Ludwig II. von Bayern zeigt, seine letzte Rolle an den Kammerspielen vor seinem Tod. Simons galt als Mentor seines Landsmannes Willems. Dieses Foto ist bezeichnend für den Geist der Simons-Ära in München seit 2010: Europa in Bayern. Sein „Theater der Nationen“ nahm behutsam Gestalt an, mit Holländerinnen und Holländern wie Pierre Bokma, Çigdem Teke, Steven van Watermeulen, Felix Burleson und Elsie de Brauw, Belgiern wie Benny Claessens und Kristof Van Boven, Esten wie Rasmus Kaljujärv, Risto Kübar und Lorna Ishema, die ursprünglich aus Uganda ist.

Geschwister Well und Polt

Unter Simons wurden an den Kammerspielen aber auch bayerische Stoffe mit unterschiedlichen künstlerischen Handschriften belebt: Ivo van Hove entstaubte den Mythos Ludwig II., Armin Petras reanimierte Kroetz’ widerspenstiges Biest „Bauern sterben“ und es gab einen Publikumsrenner mit zugänglichem Liedgut und satirischen Texte mit Urgesteinen des Hauses, den Geschwistern Well und Gerhard Polt: „Fein sein, beinander bleibn“.

„Die Bayern sind sehr eigensinnig, das schätze ich“, sagt Simons. Er betont gern, wie ihn seine ländliche Herkunft geprägt hat, wie sein Theaterschaffen mit Bauernstücken von Achternbusch und Kroetz begann. Er liebt das „Elementare“, das er auch in Klassikern wie „Die Perser“ findet.

Dafür bespielte Simons einen Ort, der in München ein Politikum ist: die Bayernkaserne. Rund 750 Flüchtlinge leben momentan dort in einem Trakt, viele Minderjährige. Den Einsatz eines Chores mit Flüchtlingen aus Irak, Uganda und Bosnien in dieser Aischylos-Tragödie um Krieg und seine grausamen Folgen fanden nicht alle geglückt. Sei’s drum: Der Spielort war ein Gewinn.

Von diesen Projekten, die es an den Kammerspielen bereits unter Simons’ Vorgänger Frank Baumbauer gab, profitiert die Stadt. Kultur an unwirtlichen Orten wie die, an denen der Holländer seine Theatersprache entwickelte: „Für mich bleibt das Theater immer ein Fremdkörper, auch wenn ich es liebe.“

Vor ihm liegt eine Textmappe, auf der mit Bleistift „Dantons Tod“, darunter „Neger“ gekrakelt steht

München aufwühlen

Simons hört in die Stadt. Dort erhob sich unter seiner Intendanz eine neue Stimme: Das „Göthe-Protokoll“, das sich selbst als „(post)migrantische Gruppe“ bezeichnet, forderte mehr Teilhabe am Kulturbetrieb. „Ha“, lacht Simons bei diesem Thema auf. „Das wird noch eine Debatte geben.“ Er klingt neugierig. Ob die Aktivisten in ihrem ironisch betitelten „Döner-Salons“ die Münchner Kulturlandschaft aufwühlen? Doch: „Das braucht viel Zeit.“

Simons ist ein Künstler, der das Publikum mitnehmen, sein Theater angenommen wissen will. Offen-demokratisch soll sein Arbeitsstil sein. Wie frei er etwa Sandra Hüller und Thomas Schmauser, sein Lieblingsduo, in Heinar Kipphardts psychiatriekritischem Stück „März“ agieren ließ. Sie spielten den schizophrenen Dichter Alexander März und seine Geliebte Hanna Grätz unter Simons Regie mit einer Intensität, die unter die Haut ging. Bettina Pommer entwarf eine überdimensionale Treppe als Kulisse. Die Bühnenbildnerin gehört zu den jungen Kräften am Haus, denen Simons seine Inszenierungen häufig anvertraut. „Ich bin sehr stolz, dass ich einige Bühnenbilderinnen entdeckt habe, an die ich glaube. Ich versuche damit auch, mich selbst zu erneuern.“

Mehr Musik, so könnte man Simons Intendanz auch betiteln. Nicht nur, dass die Reihe „Pop Concerts“ etabliert wurde. Simons nahm auch Arbeiten der Tänzerin und Choreographin Meg Stuart in den Spielplan auf: „Ihre zweite Arbeit wurde vom Publikum warm aufgenommen“, sagt er im Rückblick. Und Alain Platels „Tauberbach“ – das mutige Stück mit fünf Tänzern und de Brauw, in dem gehörlose Menschen Bachkantaten singen – „ist wirklich ein Erfolg“.

Simons sucht ein Miteinander. Dazu passt, dass er im Juni am Cuvilliéstheater inszeniert – mal wieder Jelinek: „Faust In and Out“ – und Martin Kusej, Intendant am Residenz-Theater München, für ein Stück an den Kammerspiele gastiert. „Dieser Profilierungszwang“, seufzt Simons und fährt mit geballter Faust fort, „kann man sich nur so profilieren?“ Dazu passt ein Satz, den er mal geschrieben hat: „Be chill, don’t kill“.

Der Holländer gesteht auch Niederlagen ein. Auf seinen Shakespeare-Versuch „König Lear“ im Schweinestall, einst ein Kassenschlager an den Kammerspielen unter Über-Intendant Dieter Dorn, wurde eingedroschen. „Ich wusste schon im Vorfeld, das verliere ich.“ Seine Antwort ist Gelassenheit: „Wenn man so alt ist wie ich, soll man nicht mehr neidisch sein.“

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