: Spiel mit den Vorurteilen
BÜHNE Junge Afrodeutsche stellen in einem Theaterprojekt eigene Erlebnisse und Begegnungen mit Rassismus nach. Die sollen dadurch ihren Schrecken verlieren
VON JULIA NEUMANN
Vier Mädchen stehen nebeneinander in einem alten Klassenraum, sie schütteln ihre Haare, greifen in Zeitlupe nach dem gelockten Haar eines fünften Mädchens. „Darf ich mal deine Haare anfassen? Kommst du aus Afrika? Do you speak German?“
Eine Szene der Theatergruppe „Homo Sapiens“ für afrodeutsche Jugendliche. Die 16-jährige Tasha Weisbecker rattert die Sätze herunter, jeden hat sie mehr als einmal gehört. Das Bedürfnis, ihre Haare anzufassen, sei der Klassiker unter den Erlebnissen, die sie als Afrodeutsche gemacht hat, erzählt sie. Auf Facebook hat das Mädchen die Einladung zur Theatergruppe gelesen – und ist gleich zum ersten Treffen gekommen. „Viele denken, dass es Rassismus gar nicht mehr gibt.“ Darüber zu sprechen ist ihr wichtig, deshalb ist sie hier. „Es braucht Gleichgesinnte, die einen verstehen.“
Der Verein Total Plural möchte Afrodeutsche zusammenbringen, seit August 2013 gibt es das Theaterangebot. Viermal im Monat treffen sich 14- bis 16-Jährige mit dem Künstler David Dibiah und der Schauspielerin Ulrike Düregger im Theaterhaus Mitte. Zwischen Gängen mit bunten Neonröhren, bröckelndem Putz und braun verfärbtem PVC-Boden reden sie hier über Probleme, Wünsche und Träume.
Hier spielen sie Forumtheater. Das ist eine Methode, die in Rio de Janeiro entwickelt wurde: Schauspieler stellen das Publikum vor Momente, die unangenehm enden. „Menschen erleben unterdrückende Szenen, bringen sie auf die Bühne. Dann wechseln sie die Rolle zwischen Aggressor, Betroffenem und Beobachter“, sagt Projektleiterin Ulrike Düregger. Sie selbst hat eine afrodeutsche Tochter und schon „krasse Sachen“ erlebt. Eine Bibliothekarin habe ihre Tochter als „Schokocookie“ bezeichnet, erzählt sie. Düregger hat die Theatergruppe „Homo Sapiens“ genannt, symbolisch dafür, dass ein Mensch eben ein Mensch ist und nicht durch andere definiert werden kann.
An diesem Nachmittag schauen sich fünf Jugendliche einen Zusammenschnitt ihrer Proben auf DVD an. Die Gruppe will nicht nur Diskriminierung abbilden. „Wenn man nur diesen Ausschnitt zeigen würde, hieße das: Nur das ist das Leben der Jugendlichen“, erklärt die Projektleiterin.
Die 16-jährige Samira Koppin und die 15-jährige Djanini March spielen eine Szene nach, die sie wirklich erlebt haben. „Warum bist du eigentlich so braun, warst du zu lange in der Sonne?“, fragt die eine. „Warum bist du so hell? Fragen dich die Leute nicht, warum du diese Pigmentstörung hast?“, antwortet die andere schlagfertig.
In der Realität hätte sie nicht so reagiert, sagt Djanini March. „Wenn mich jemand angreift, dann überlege ich immer, was ich hätte sagen können.“ Durch das Projekt habe sie gelernt, schneller zu reagieren. In einer gespielten Szene antwortet sie: „Ich mache auch Voodoo“ und tänzelt um die irritierten Fragenden herum.
Bei „Homo Sapiens“ geht es auch um die unüberlegten, gut gemeinten Äußerungen, um neidische Bekundungen, dass man ja keine Sonnencreme brauche. Für Samira Koppin sind diese Äußerungen „anstrengend“. „Den Leuten ist nicht bewusst, was sie sagen.“ Sie wünscht sich, dass andere in solchen Situationen nicht immer nur zugucken, sondern auch mal etwas sagen.
Zwei Mädchen sitzen auf Holzstühlen, die U-Bahn-Sitze sein sollen. Ein drittes Mädchen kommt hinzu und fordert beide auf, für sie aufzustehen. „Ihr verpestest meinen Sitz mit eurer Hautfarbe.“
Diese Szene hat Samira Koppin selbst erlebt, „ein Schlag ins Gesicht“. Hier im Theaterprojekt ist es Teil der Übung, noch einmal die Gefühle vergangener Situationen zuzulassen. „So, dass es in die Magengrube geht“, sagt Ulrike Düregger. „Es ist schwer, zu reagieren, wenn man allein in der U-Bahn ist. Beim Theater sollen diese Szenen ihre Macht verlieren.“
Deshalb bleibt Samira Koppin in der Szene sitzen, in einer anderen spielt sie selbst die Angreiferin, regt sich über „diese Menschen aus Afrika“ auf. „It don’t matter if you’re black or white“, singt Michael Jackson aus dem CD-Player.
Die Jugendlichen überlegen, das Spiel in ihren Schulen aufzuführen. Da hat Leiterin Düregger noch eine Idee: „Wir gehen durch die Zuschauer, drehen die Sache um.“ Samira Koppin findet das gut: „Allen, die weiß sind, fassen wir in die Haare.“ Der Vorschlag gefällt der Gruppe.
■ Aufführung am Dienstag, 29. 4., um 19 Uhr im Theater im Aufbau Haus am Moritzplatz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen