vor ort: BERND MÜLLENDER über einen aufwändigen Werbegag der Aachener Einzelhändler
Billigbillig ist Trend, und Schnäppchenjagd ein Lebensgefühl – für manche notgedrungen, für viele, weil es cool ist oder so vernünftig erscheint. Die Einzelhändler macht die Welt der Discounter und Billigversender rasend: Sie haben doch den Service, die Beratung, die persönliche Atmosphäre, meist die besseren Produkte. Damit das beim Kunden ankommt, haben sich zwölf Aachener Einzelhändler schon vor zwei Jahren zur „Qualitätsallianz Q+“ zusammengeschlossen. Ihre neuste Idee: „Shoppen mit dem Gratis-Einkaufswagen“.
Eine Woche lang stehen zwölf eigens gemietete und werbewirksam auffällig schick gestaltete Smarts zur freien Verfügung: mal mit Chauffeur oder auf Wunsch auch ohne. Wer ins Geschäft kommt darf die Autos nutzen. „Wir wollen damit unsere Idee von Service transportieren“, sagt Sebastian Noack, Inhaber des HiFi-Ohrenverwöhners „Klangpunkt“. Und nicht etwa „nur Lieferservice bieten“, denn: „Das machen wir ja sowieso.“
Die Lokalblätter haben berichtet. Aber am vergangenen Samstag hielt sich die Kundschaft mit Service-Begehr noch zurück. „Viele wollten es nicht glauben und haben am Telefon nachgefragt“, berichtet Henning Baar, Inhaber des Szene-Modeladens „Hautnah“. „Die Zeitungstexte waren wohl etwas verwirrend. Und Regenwetter ist auch schlecht, weil da alle mit dem eigenen Auto kommen.“ Aber zweimal war er schon Chauffeur, sagt er stolz. Derweil saust eine Straße weiter der Wagen des Bioladens „Vital“ vorbei.
Im Herbst 2005 hatte Aachens Q+ erstmals auf sich aufmerksam gemacht – mit drei Plakatwänden, auf die über hundert echte Geldscheine getackert waren, zusammen tausend Euro: Passanten stürzten sich darauf, an einer Stelle fiel aus einem Linienbus eine Horde Schulkinder heuschreckengleich über die Wand her. „In 5 Minuten war alles weg“, erzählend lachend Q-plusser Detlef Mainz, Mitinhaber des Öko-Baumarktes „Glashaus Wohnwerkstatt“.
Es schüttet. Wie wäre es, fragt der angeradelte Reporter im Radladen „Velo“ nach Kauf eines Kleinteils für 90 Cent, wenn ihn jemand im Smart nach Hause führe und ein anderer Mitarbeiter – „Sie zum Beispiel!“ – gleichzeitig das Rad rückapportierte. Der Mitarbeiter guckt irritiert: „Ja, äh...“ Zum Glück ist der Smart gerade unterwegs. Und die Wolken reißen auch wieder auf. Aber kein Zweifel: Die hätten das gemacht.
Und wenn ein Kunde fragt: „Fahren Sie mich mal beim Baumarkt vorbei und dann noch zum Aldi?“ Schuhhändler Josef Walbert lacht: „Eine gehbehinderte Kundin hat gefragt, bevor ich sie nach Hause gebracht habe: Darf ich vorher noch nebenan beim Aldi einkaufen?“ Nur eines ist noch nicht vorgekommen: Dass einer nachts bei „Schneiderwind“ (Feine Spirituosen und Edelrauchwaren) anruft: „Hol‘n Sie mich mal von der Kneipe ab und bringen Sie ‘nen schönen Absacker mit.“ Schneiderwinds Gefährt hat Humidor sowie Bordbar mit sechs Feindestillaten eingebaut, Verkostung frei – zumindest noch bis zum 2.11. Mitfahren kann jeder: Man muss nicht einmal Aachener sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen