: Aufbruch in eine neue Ära
Nach einer Epoche der Korruption und mafiösen Geschäftsbeziehungen ist wieder Normalität in den bulgarischen Fußball eingekehrt. Die Erfolge von Lewski Sofia spiegeln diese Entwicklung wider
VON CHRISTIAN HENKEL
Es ist der 10. Oktober 1994, New York, USA. „Gott ist Bulgare“, schreit ein bulgarischer Reporter des staatlichen Fernsehsenders in sein Mikrofon, die kleine Fraktion bulgarischer Pressevertreter im Giants-Stadion steht Kopf. Und daheim in Sofia, da tanzen die Menschen an diesem denkwürdigen Tag auf den Straßen. Selbst für die alten Frauen an den Bushaltestellen gibt es kein anderes Thema. Stoitschkow, Letschkow, Balakow und Co. haben soeben Titelverteidiger Deutschland im Viertelfinale aus dem WM-Turnier geworfen – und das ganze Land in einen nationalen Taumel versetzt.
Zwölf lange Jahre ist das her. Und viel Anlass zum Tanzen und Taumeln hat der bulgarische Fußball seitdem nicht gegeben. Mit Lewski Sofia, nach dem 0:2 vor 14 Tagen heute (20.45 Uhr, Premiere) erneut Gegner von Werder Bremen, konnte sich in diesem Jahr jedoch erstmals ein bulgarischer Verein für die Gruppenphase der Champions League qualifizieren. Selbst größte Skeptiker sehen darin erste Anzeichen einer Renaissance des bulgarischen Klubfußballs.
In dem Land, das ein Jahr vor dem geplanten Beitritt zur europäischen Union als eines der korruptesten Europas gilt – es steht auf Platz 54 des Korruptionsindex’ von Transparency International –, waren Vereine wie Lewski oder ZSKA Sofia lange Zeit Spielball der heimischen Mafia und internationaler Finanzjongleure. 2005 wurde der 39-jährige Präsident von Lokomotive Plowdiw, Georgi Iliew, laut Aussagen des Innenministeriums in Drogengeschäfte verwickelt, in seiner eigenen Bar erschossen. Lewski Sofia gehörte bis vor zwei Jahren dem russischen Geschäftsmann Michael Chorny, der bereits 2000 als Gefahr für die nationale Sicherheit eingestuft und des Landes verwiesen worden war. „Spiele wurden hier für ein paar tausend Euro verschoben“, erinnert sich Daniel Borimirow. Kein bulgarischer Spieler von internationalem Format, so der ehemalige Profi von 1860 München und seit zwei Jahren bei Lewski, wäre auf die Idee gekommen, hier seine Karriere zu beenden.
Mit Verbandspräsident Borislaw Mihailow, Vize Jordan Letschkow, der früher beim Hamburger SV spielte, sowie Nationaltrainer Hristo Stoitschkow sitzen jedoch nun Leute an den entscheidenden Schaltstellen, die laut Borimirow „das Spiel lieben und genügend internationale Erfahrung mitbringen, um den heimischen Fußball zu professionalisieren“.
Ein wichtiges Aushängeschild dabei ist der Erfolg von Lewski Sofia. Für Präsident Nasko Sirakow, ebenfalls Spieler der „goldenen Generation“ von 1994, ist der Erfolg das Ergebnis harter Arbeit. „Wir haben den besten Trainer Bulgariens, und wir haben in den vergangenen drei Jahren 18 Europapokalspiele absolviert, bevor wir uns für die Champions League qualifizieren konnten. Das Erreichte ist kein Zufall.“
Eine Meinung die auch John Inglis teilt. Der Schotte wechselte als Spieler 2000 zu Lewski, blieb nach seinem Karriereende in Bulgarien und ist dort nun als Spielerberater tätig. Für ihn ist der Erfolg von Lewski nach der Epoche der Glücksritter die Rückkehr zur Normalität. „Glauben Sie es oder nicht, aber zu meiner Zeit war hier vielmehr Geld im Spiel, als jetzt“, so der ehemalige Verteidiger des FC Aberdeen. Jetzt regiere endlich die Vernunft. Kein einzelner Spieler von Lewski könne einen Klub der englischen Premier League in Aufregung versetzen, „doch als Mannschaft sind sie nur schwer zu schlagen“.
Als Vater dieses Erfolgsmodells gilt nicht nur für Inglis Trainer Stanimir Stoilow. Der 39-Jährige hat trotz des vergleichsweise kleinen Etats von schätzungsweise 8 Millionen Euro in den vergangenen drei Jahren ein schlagkräftiges Team geformt, das im vergangenen Jahr Meister wurde und auch in dieser Saison die Liga mit acht Siegen, einem Unentschieden und 26:0 Toren dominiert. Die Mannschaft besteht fast ausschließlich aus Spielern des eigenen Nachwuchses und besitzt durch die älteren Nationalspieler Daniel Borimirow und Georgi Iwanow sowie den einzigen Nichtbulgaren, den französischen Spielmacher Cédric Bardon, die notwendige Erfahrung.
Auch weil die Mannschaft mit einem Durchschnittsalter von 23 Jahren überaus jung und unerfahren ist, hat die bulgarische Öffentlichkeit die drei deutlichen Niederlagen gegen Chelsea, den FC Barcelona und Werder Bremen mit Gelassenheit gesehen. In den kommenden drei Partien soll nun aber doch noch der Einzug in den Uefa-Cup gesichert werden. Da alle anderen Vertreter Bulgariens sich bereits aus dem Europapokal verabschiedet haben, wäre das die einzige Möglichkeit, noch ein paar Punkte für die Fünfjahreswertung des europäischen Fußballverbands Uefa zu sammeln. Eine wichtige Voraussetzung, damit die neue Ära des bulgarischen Klubfußballs nicht schon wieder vorbei ist, bevor sie richtig begonnen hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen