FRAUKE BÖGER LEUCHTEN DER MENSCHHEIT: Ein bisschen Glamour in Ostwestfalen
Städte können zu Marken werden, ohne dass man es ihnen je zugetraut hätte. Und ohne dass sie etwas dafür könnten. Bielefeld ist so eine. Sie selbst und die Region, die sie umgibt – Ostwestfalen –, haben ein eher verschnarchtes Image. Kein Grund für den Lehrstuhl der Geschichte an der Uni Bielefeld, nicht damit zu werben. Die „Bielefelder Schule“, die vermutlich dann doch keiner kennt, der nicht Geschichtswissenschaft studiert hat, bleibt hartnäckig. Mit einem neuen Sammelband versucht der Lehrstuhl wieder einen wichtigen Platz im Regal der Klassiker zu erobern.
Jürgen Kocka, Hans-Ulrich Wehler, Reinhart Koselleck – die Schule ist längst überholt, das alte geschichtswissenschaftliche Modell der Männer und Kriege, mit dem die Bielefelder aufräumten, interessiert nur noch ZDF-Doku-Gucker. Die Bielefelder Schule ist außerhalb der Historikerzunft nicht allzu bekannt. Was will man auch erwarten, wenn man sich nach einer Stadt benennt, die nur bekannt ist, weil es sie angeblich nicht gibt (gibt man an, aus Bielefeld zu kommen, folgt immer die Antwort: „Das gibt’s doch gar nicht“ – über verschnarchte Städte lassen sich wohl nur verschnarchte Witze reißen).
Die Herausgeber des Sammelbands „Die Bielefelder Sozialgeschichte. Klassische Texte zu einem geschichtswissenschaftlichen Programm und seinen Kontroversen“ (transcript-Verlag, 2010), Bettina Hitzer und Thomas Welskopp, sind von der „Marke“ der Bielefelder Schule überzeugt und, ja, die meisten Studierenden der Uni Bielefeld stammen aus Ostwestfalen. Regionalwirtschaftlich gut gedacht, könnte man meinen. Allerdings würde ich diesen Studis unterstellen, nicht zu weit von Mami und Papi weg zu wollen und deswegen in der Regionalmetropole zu studieren. Ich weiß, wovon ich rede. Aber egal!
Die Herausgeber geben im Vorwort zu, dass die Bielefelder Schule zwar in (West-)Deutschland führend war, es innerhalb der Historikerzunft jedoch kein „ostwestfälisches Kommando“ gab. Wäre ja auch noch schöner. Für ihren Fokus auf „Strukturen“ als Ursache für historische Entwicklungen und ihren Aufräumarbeiten innerhalb der reaktionären Unis, muss man der Bielefelder Schule dankbar sein. Und für Bielefeld kann man sich nur freuen. Ein bisschen Glanz für eine Stadt, die nur bekannt ist, weil es sie nicht gibt.
■ Die Autorin kommt aus Bielefeld und ist Redakteurin der taz Foto: privat
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen