: „Viele sollen entscheiden“
REGIONALWERT Ein Ökohof ist Christian Hiß nicht genug. Deshalb gründete er eine Aktiengesellschaft
■ 49, baut im badischen Eichstätten Gemüse nach strengen ökologischen Kriterien an und ist Gründer der Regionalwert AG. Hiß ist geschäftsführender Vorstand und hat seinen Hof als erstes Unternehmen in die Akteingesellschaft eingegliedert. 2009 erhielt er vom Rat für Nachhaltige Entwicklung den Preis „Social Entrepreneur der Nachhaltigkeit“
INTERVIEW ANNETTE JENSEN
taz: Herr Hiß, Sie wollen kleinteilige landwirtschaftliche Strukturen in der Region Freiburg fördern. Ist es nicht paradox, dafür ausgerechnet eine Aktiengesellschaft als Institution zu wählen?
Christian Hiß: Eine Aktiengesellschaft ist in Bezug auf Bürgerbeteiligung einfach zu handhaben und man kann problemlos viele Leute einbinden. Wir sind ja kein börsennotiertes Unternehmen, wo alles sehr anonym und schnell zugeht. Bei uns erwerben die Anteilseigner vinkulierte Namensaktien. Die können sie zwar weiterverkaufen, aber sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat müssen dem Erwerber zustimmen. Die Möglichkeit, das Geld so wieder aus der AG herauszuziehen, gibt es nicht: Landwirtschaft ist eine auf lange Zeiträume angelegte Angelegenheit, Betriebsgebäude werden über 30 bis 50 Jahre abgeschrieben und Bodenfruchtbarkeitszyklen sind sehr langfristig, da braucht man Kapitalstabilität.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Regionalwert AG zu gründen?
Ich bin auf einem Demeterhof aufgewachsen, der schon seit den 50er Jahren so bewirtschaftet wurde, und habe mich als Zwanzigjähriger als Gemüsebauer selbständig gemacht. Ich hab viele verschiedene Gemüse angebaut, eigenes Saatgut gemacht, Sorten gezüchtet, hatte einen Stall mit Milchvieh – also sehr vielfältig und in sich geschlossen. Etwa ab dem Jahr 2000 stand ich dann vor Schwierigkeiten – oder sagen wir besser Herausforderungen. Nach dem gängigen Kosten-Nutzen-Verständnis lohnte sich meine Art der Produktion seither nicht mehr.
Wodurch änderten sich denn ab dem Jahr 2000 die Bedingungen so deutlich?
In der Zeit begann der Bioboom und damit die Konventionalisierung der Ökolandwirtschaft. Es entstanden Betriebe, die weniger vielfältig und dadurch betriebswirtschaftlich effektiv arbeiten. Nehmen wir als Beispiel Karotten: Auf einem Hof, der 70 verschiedene Gemüsesorten anbaut, betragen die Herstellungskosten für 1 Kilo Biokarotten vielleicht 2 Euro. Ein Biobetrieb, der ausschließlich Karotten anbaut, hat nur 80 Cent Kosten. In Geld gerechnet hat dieser Betrieb also einen enormen Wettbewerbsvorteil. In der Betriebs- und Kapitalwirtschaft werden die Verluste, die Monokulturen oder unterlassene Ausbildung mit sich bringen, nicht bilanziert. Wer also geldwirtschaftlich effektiv, aber sozialökologisch schlechter arbeitet, ist heutzutage allgemein besser dran. Ich wollte, dass genau das geändert wird.
Aber das ist ja ein gesamtgesellschaftliches Problem. Wie kann ein Unternehmen da gegen den Strom schwimmen?
Ich wollte in dem Bereich, in dem ich mich auskenne, eine Kapitalwirtschaft schaffen, die die sozialökologischen Effekte des Wirtschaftens in die Gesamtrechnung einbezieht. Dazu hatte ich einige Grundüberlegungen: Möglichst viele Bürger sollten als Kapitalgeber mitentschieden können, welche Landwirtschaft sie in der Region haben wollen. Außerdem war es wichtig, die Frage der Hofnachfolge zu regeln: Anders als im Osten sind hier in Westdeutschland ja so gut wie alle Höfe noch Familienbetriebe. Und das heißt in der Regel: Entweder jemand aus der Familie übernimmt ihn oder er hört auf zu existieren. Für einen Hoferwerb ist viel Kapital notwendig, hier in der Region durchschnittlich 400.000 bis 800.000 Euro für einen Betrieb mit vielleicht 50 Hektar Land, Stall und Gebäuden. Wer Landwirt gelernt hat, aber keinen Hof erbt, hat kaum eine Chance, das zu finanzieren. Und da dachte ich mir, die Bürger der Region müssten eigentlich ein Interesse daran haben, die Höfe zu erhalten, und könnten als Kapitalgeber fungieren.
Wo steht die Regionalwert AG drei Jahre nach der Gründung?
Inzwischen gibt es 460 Aktionäre, und das Grundkapital beträgt 1,7 Millionen Euro. Bisher gehören der AG unterschiedlich große Anteile von sieben sogenannten Partnerunternehmen: drei landwirtschaftliche Betriebe, ein Bioladen, ein Biogroßhändler, ein Cateringunternehmen und ein Hauslieferservice. In der Regel ist die Regionalwert AG an Gewinnen und Verlusten der einzelnen Betriebe beteiligt. Wir bilanzieren bei der Wertschöpfung nicht nur die finanziellen Gewinne, sondern auch den sozialökologischen Nutzen der Landwirtschaft – wie die Kulturlandschaft aussieht, wie sauber das Grundwasser ist, dass regional angepasstes Saatgut und die Bodenfruchtbarkeit erhalten bleiben.
Können Ihre Aktionäre auch eine finanzielle Rendite erwarten?
Ja, das ist angestrebt und das werden wir auch schaffen. Bisher aber gab es noch keine Auszahlung, weil die Gründungsphase relativ teuer war.
Auf welche Schwierigkeiten sind Sie gestoßen?
Die Schwierigkeiten lagen eher in aktienrechtlichen Details . Aber das waren keine wirklichen Probleme. Ich musste mich nur erst einmal ins Aktienrecht eindenken. Widerstände gab es keine.
Welchen Einfluss haben die Aktionäre?
Einmal im Jahr gibt es die Hauptversammlung. Da können sie nicht nur abstimmen, ob Vorstand und Aufsichtsrat gut oder schlecht gearbeitet haben, sondern auch beschließen, wie mit dem Spannungsfeld zwischen guter Landwirtschaft und Geldverdienen umgegangen werden soll. Alle fünf Jahre wählen sie einen sechsköpfigen Aufsichtsrat, der sehr nah dran ist an Vorstand und Geschäftsführung – und damit an der Geschäftsentwicklung.
Warum haben Sie keine Genossenschaft gegründet?
Bei einer Genossenschaft gibt es einen Genossenschaftsverband, der die Geschäfte für die Genossen prüft und die Aufgabe hat, sie gegenüber der Geschäftsführung zu schützen. Bei meinem innovativen Modell, bei dem ja auch die immaterielle Wertschöpfung eine große Rolle spielt, hatte ich Bedenken, ob der Genossenschaftsverband da mitgehen könnte. Und ich habe mit mündigen Aktionären gerechnet, die keinen Schutz benötigen. Außerdem wollte ich ein Modell haben, bei dem derjenige, der mehr Geld gibt, auch mehr mitzureden hat.
Besteht da nicht die Gefahr, dass ein großer Investor einfach Ihre AG schluckt?
Nein. Die Aktiengesellschaft hat ja stets den Überblick, wer die Anteile besitzt. Und auch wenn jemand einen Großteil des Kapitals halten würde, hätte er maximal 20 Prozent der Stimmrechte.
Ist Ihr Modell verallgemeinerbar?
Auf jeden Fall. Es gibt auch schon mehrere Regionen, die ernsthaft eine Gründung vorbereiten. Am konkretesten sind die Pläne im Münchner Raum, im Raum Schwäbische Alb und bei Wien. Auch in Berlin gibt es schon Interesse.
Was sollte man bedenken, wenn man eine Regionalwert AG aufbauen will?
Man sollte als Entwicklungsziel die gesamte Wertschöpfungskette im Blick haben. Nicht nur landwirtschaftliche Betriebe sollten dazugehören, die alles Mögliche vom Gemüsebau bis zur Milchwirtschaft und vielleicht auch Weinbau abdecken, sondern auch die Zulieferung von Energie und Saatgut, die Verarbeitung der Lebensmittel und ihre Vermarktung. Wenn die AG nur Ökohöfe betreiben würde, dann gäbe es auf die Aktie keine Geldgewinne. Und eine Aktiengesellschaft kann es sich nicht leisten, auf Dauer finanzverzehrend zu arbeiten. In der Verarbeitung und Vermarktung sind die Gewinnmargen deutlich höher – und die gilt es abzuschöpfen, um so eine Landwirtschaft erhalten zu können, die weiterhin soziale und ökologische Gewinne erarbeitet.
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