: „Mich motiviert die Droge Aufmerksamkeit“
DER KULTLÄUFER Hajo Schumacher kommentiert auf Radio Eins das Politikgeschehen in der Hauptstadt. Die Läuferwelt kennt ihn als Achim Achilles, der in seiner Kolumne auf „Spiegel Online“ gegen Nordic Walker und Ossis hetzt – und seine Kunstfigur auch im realen Leben zu Läufen und Triathlons antreten lässt. Vor dem BIG 25 Kilometerlauf am Sonntag: Ein Gespräch über multiple Persönlichkeit, Provokation als Überlebensstrategie und den Sarrazin in Achilles
■ Der Journalist: Schumacher wurde vor 50 Jahren in Münster geboren, studierte Journalistik, Politikwissenschaft und Psychologie und kam schon mit 26 Jahren zum Spiegel. Dort stieg er bis zum Berliner Bürochef auf, aber mit 36 aus. Anschließend war Schumacher zwei Jahre lang Chefredakteur der Lifestylezeitschrift Max. Mit 42 promovierte er über „Machtphysik – Führungsstrategien der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel im innerparteilichen Machtgeflecht 2000–2004“. Er arbeitet als freier Autor für Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen
■ Der Läufer: Als Achim Achilles schreibt Schumacher seit 2004 auf Spiegel Online über das Leben und Leiden von Läufern und anderen Hobbysportlern. (sta)
INTERVIEW STEFAN ALBERTI FOTOS ANJA WEBER
taz: Herr Schumacher – oder Herr Achilles? Wem sitze ich hier eigentlich gerade gegenüber – dem Journalisten und Wowereit-Biografen Hajo Schumacher oder seinem Alter Ego Achim Achilles, dem Kultläufer aus der Spiegel-Online -Kolumne „Achilles’ Verse“?
Hajo Schumacher/Achim Achilles: Das Buch über Wowereit ist ja schon eine Weile her, 2006 war das. Heute Morgen habe ich als Schumacher auf Radio Eins kommentiert, gleich werde ich noch was schreiben – und diese Woche habe ich heuschnupfenbedingt wenig trainiert und deshalb so eine Grundgrummeligkeit wie immer, wenn ich mich 48 Stunden lang nicht ausgetobt habe. Wenn ich’s mir aussuchen könnte, wäre ich jetzt am liebsten Achilles, würde die Laufschuhe schnüren und losrennen in den Gleisdreieckpark.
Was muss passieren, damit Schumacher zu Achilles wird? Ist das eine bewusste Entscheidung, etwa wenn Sie sich die Laufschuhe schnüren?
Es gibt Fragen, über die habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Ich würde mal auf eine multiple Persönlichkeit tippen. Oder Borderline. Wer was auf sich hält im Showgeschäft, hat ja gern eine amtliche Meise.
Schön, dass Sie zumindest nicht in Jürgen-Klopp-Manier sagen, auf blöde Fragen bräuchten Sie nicht zu antworten …
Also, hier in diesem Raum bin ich Schumacher, ein Zimmer weiter bin ich Achilles. Da sitzt meine kleine Firma mit den Laufkolumnen, mit einer Website, mit Achilles-Videos und E-Book-Verlag. Mein Büro ist das Hauptquartier des Irrsinns – und diese Tür dort teilt meine Persönlichkeit.
Es gibt viele Autoren, die auf Buchseiten ein zweites Ich ausleben, aber ich kenne keinen, der in dieser Rolle auch bei Wettkämpfen an den Start geht. Ist das nun Borderline oder geniale Marketingstrategie?
Ich finde es großartig, dass Leute mich für marketingmäßig brillant halten. Tatsächlich haben sich einfach nur viele Zufälle aneinandergereiht, sodass man von Strategie wirklich nicht sprechen kann. In der Läuferszene bin ich als Achilles bekannt. Manchmal passiert es, dass mich Leute im Fernsehen sehen und sagen: Hä, wieso steht denn da Schumacher drunter, das ist doch der Achilles? Die nennen mich bei den Wettkämpfen alle Achim.
Wie wurde denn aus der Kolumnenfigur der Wettkampfteilnehmer?
Ich habe mich mal aus Spaß als Achim angemeldet, mit A. A. ist man immer Erster auf der Starterliste. Die zweite Erklärung ist relativ unspektakulär: Meine Frau und meine Söhne bestehen darauf, dass sie nichts, aber auch gar nichts mit dieser Achilles-Welt zu tun haben.
Dafür kommen sie aber oft vor.
Es ist nicht so, dass sie sich schämen – das würden sie zumindest mir gegenüber nicht sagen. Mona, meine fiktive Achilles-Frau, spielt ja ihre Rolle als Stimme der Vernunft, die dem durchgeknallten Midlifekrisengatten befiehlt: Erst mal Müll runterbringen, dann spielen gehen mit dem teuren Rennrad. Ich sehe da einige Parallelen, aber ich respektiere ihre Privatsphäre. Wenn sie mal mitkommt, sagen alle Mona zu ihr.
Ihre Söhne heißen auch nicht Karl und Hans …
… aber fast alle Geschichten über die Jungs stimmen – vor allem, dass mein Größerer, als er 14 war, mich beim Triathlon plattgemacht hat. Ohne nennenswertes Training. Es hat lange gedauert, diese Familienkrise aufzuarbeiten.
Achim ist der Typ, der gegen Nordic Walker und Ossis hetzt. Zugleich führt der Publizist Schumacher ernsthafte Interviews wie jenes mit Schlaganfallopfern, für das es 2013 den Deutschen Reporterpreis gab. Wie kommen Ihre Gesprächspartner mit Ihrer Doppelrolle zurecht?
Ich glaube, das sind zwei Facetten, und so werde ich auch wahrgenommen. Ich trete ja entsprechend diesen Rollen auf. Im Politikbetrieb und beim Kommentieren, da wird nicht gehetzt, gepoltert, gezetert. Achilles wiederum lebt den Stammtisch aus, ein Sarrazin für Abiturienten …
… bloß ohne Genetik …
… und ohne bösartige Hetze, sondern eher mit dem ebenso durchsichtigen wie hilflosen Versuch, sich nach unten abzugrenzen. Achilles ist ja alles andere als ein Sieger, er ist breitensportlicher Durchschnitt wie so viele, die sich freuen, überhaupt ins Ziel zu kommen – obwohl man sich wieder nicht an den Trainingsplan gehalten, ein Glas Wein zu viel getrunken und sein Wettkampfgewicht ruiniert hat.
Aber welches Problem hat Achim Achilles mit den Ossis?
Ich glaube, Psychologen sprechen da von Kompensation, wenn man das, was man beneidet, bevorzugt niedermacht. Als asketisch veranlagter Münsterländer habe ich großen Respekt vor den Ossis, weil es da eine sehr viel ernstere Laufkultur gibt. Die haben einen ganz anderen Spirit: Da ist egal, was du anhast, da zählt, ob du beim Marathon in dreieinhalb Stunden im Ziel bist – was ich nie schaffen würde. In der ostdeutschen Breitensportkultur ist der Sinn für Bewegung als Lifestyle nicht so ausgeprägt. Da wird gerackert. Ich mag das, und, ja, ich bin ein bisschen neidisch auf diese konsequente Hingabe.
Wo wir schon beim Psychologisieren sind: Was treibt Achim Achilles und all die anderen zu den Läufen, Hobbytriathlons und Jedermannradrennen?
Da erlebt jeder sein privates Champions-League-Finale, ein echter Höhepunkt für uns Alltagsgelangweilte. Wie beim 25-Kilometer-Lauf, der im Olympiastadion endet: Die ersten 24,5 Kilometer sind total egal – aber die letzten Meter, wenn einem unten in den Katakomben die Sambatrommler die Ohren zerfetzen und man dann wie Usain Bolt auf die blaue Laufbahn rausrennt – wo kriegt man das im richtigen Leben? Die ganze Zeit im Büro, in der Redaktion sitzen, von der Chefredakteurin einen draufbekommen, sich fragen, wofür man eigentlich lebt, und dann plötzlich: Finale, ohohoho! Und das eigene Bild noch auf der großen Leinwand: 15 Sekunden Ruhm, gefühlt zumindest.
Zurück zur Achilles-Genesis: Da schreiben Sie, der wäre Ihnen beim Laufen am Schlachtensee quasi begegnet. Das klingt nach how I met Jesus, nach einem Entstehungsmythos.
Am Schlachtensee trifft man nicht Jesus, sondern Eberhard Diepgen. Und manchmal ein weiteres Mitglied seiner eigenen inneren Mannschaft.
Für einige Leute gilt das Laufen durchaus als Ersatzreligion.
„Unseren täglichen Lauf gib uns heute, und vergib uns unser Bier, so wie wir vergeben allen Schnelleren.“ Bei mir war es eher therapeutisch: Ich war vor zehn Jahren in einer Übergangszeit, raus aus einer Festanstellung …
… die ja nicht irgendeine war: Mit Mitte 30 waren Sie Kochef im Berliner Spiegel-Büro, einer der prestigeträchtigsten Medienjobs überhaupt, später Chefredakteur des Männer-Lifestylemagazins Max. Hat Achilles eine Karrieredelle kompensiert?
Kann man so sehen. Aber für mich war es eine bewusste Entscheidung, den Redaktionsbetrieb zu verlassen. Ich hätte ja wieder in den etablierten Betrieb einsteigen können, empfand aber eine ausgeprägte Konferenzallergie. Die neue Freiheit fand ich sehr angenehm – einfach mal rausschwimmen auf die hohe See. Bei mir setzt Existenzangst zudem Kreativität frei, in so einem Schub ist auch Achilles entstanden. Etwas Kompensatorisches hat es aber doch: Ich könnte diesen ganzen Politikbetrieb selbst als freier Journalist nicht ertragen, wenn ich mich ausschließlich damit beschäftigen müsste.
Hier neben uns im Regal steht „Höhenrausch“ von ihrem Spiegel -Exkollegen Jürgen Leinemann. Der ist sein Leben lang in diesem Betrieb geblieben.
Die Generation Leinemann ist mit Willy Brandt groß geworden, die haben einen ehrfürchtigeren, ernsteren, existenzielleren Blick auf Politik, im Weber’schen Sinne von Berufung. Ich war nie in der Lage, Merkel, Gabriel oder Gauck als Lebensinhalt zu sehen, den man rund um die Uhr ernst nehmen muss. Mit Achilles kann man sich von diesen ganzen Krawatten, diesem Rumgelungere und bedeutungsvollen Rumgequatsche frei machen. Jürgen Leinemann sagt ja auch: Politik ist Theater, Bühnenzauber. Wie wunderbar, wenn man sich Laufklamotten anziehen und die herrlich ehrliche Unterkomplexität eines Sonnenuntergangsläufchens genießen kann.
Hä? Unterkomplexiwas?
Laufen ist einfach, keine Tricks, kein Geblende, nur Lunge, Beine, beißen. Ich muss auch nicht lange nachdenken: Wie sehe ich aus, welche Frage klingt klug, welchen Winkelzug plant der andere, und was würde Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung dazu sagen? Ich renne los. Und nachher geht es mir besser. Basta, wie ein großer Kanzler einst sagte.
Achilles und andere Charaktere in Ihren Büchern sind nicht nur unterkomplex, sondern politisch chronisch unkorrekt. Einen lassen Sie von „dem Neger von den Piraten aus den Asterix -Heften“ reden. Und das in einer Zeit, in der das N-Wort völlig tabu ist.
Geht gar nicht, oder? Tut mir leid. Aber es ist wirklich schwierig, gesprochene Sprache, zumal beim Hecheln während des Laufens, auch noch auf taz-Kompatibilität zurechtzufeilen. Und wenn der Satz so gefallen ist: Warum die Realität schönen? Achilles darf das, Schumacher nicht.
Woher kommt dieser Spaß am Provozieren?
Mein Bruder ist zwölf Jahre älter, meine Schwester 18 Jahre älter, ich war der klassische Nachkömmling, der das Gefühl hatte, permanent auf sich aufmerksam machen zu müssen. Und wie macht man das als Kind am besten? Na klar, mit Provozieren. Nennen wir es eine Überlebensstrategie, die hängen geblieben ist.
Dominiert im Berliner Politik- und Medienbetrieb zu sehr Political Correctness statt Achilles’schem Klartext?
Oftmals dominiert leider Doofheit. Wenn Protestler einen Sarrazin niederbrüllen, der in seinem Buch beklagt, dass er von Protestlern niedergebrüllt wird, dann haben wir ein Stadium des Bizarren erreicht, das mit gesellschaftlicher Auseinandersetzung nicht mehr viel zu tun hat, sondern nur mehr mit Ritualen.
Und wie sollte es sein?
Ich mag die harte britische Debattenkultur, wo man sich mit Fakten und daraus abgeleiteten Meinungen duelliert. Positionen dürfen extrem sein, wenn sie gut begründet sind, schon deswegen, um unsere eigene Haltung immer wieder an ihnen zu überprüfen. Aber ich halte es für plump, wenn etwa jeder Satz von Sahra Wagenknecht über Putin niedergemacht wird. In einer erwachsenen Demokratie kann es doch nicht darum gehen, ob wir die AfD oder die Piraten mögen, sondern darum, dass beide das Grundrecht der freien Meinungsäußerung nutzen dürfen müssen. Die Kritiker allerdings auch.
Jetzt ist uns der Achim etwas weggelaufen. Was ist es für ein Gefühl, wenn bei den Wettkämpfen viele Ihre Performance munter kommentieren? Der Achilles tönt ja gerne groß rum – und der leibhaftige Schumacher kann diese Leistung vielleicht gar nicht bringen.
Erst mal motiviert mich die Droge Aufmerksamkeit, weil sie dafür sorgt, dass ich halbwegs regelmäßig trainiere. Wenn ich weiß, dass alle gucken, was der Achilles heute so macht, dann kann ich da ja nicht rumluschen. Andererseits – so paradox ist das Leben – lerne ich, mit Niederlagen umzugehen. Wenn ich großmäulig verkünde, dass ich den Marathon unter vier Stunden finishe und dann leider deutlich drüber bleibe, kann ich mir zehn Jahre lang von den sogenannten Sportsfreunden anhören, was ich für eine Gurke bin. Solche Momente lehren Demut und Nächstenliebe. Scheitern als Chance, sagt der Weise.
Das haben Sie ja vor allem beim beim BerlinMan-Triathlon 2010 erlebt. Da waren Sie fix und fertig.
Ich hatte den klassischen Fehler gemacht, beim Radfahren zu überziehen, und stand anschließend nach zwölf von 20 Laufkilometern mit Krämpfen am Straßenrand und kam nicht mehr vorwärts. Und alle, die dich überholen, hauen dir auf die Schulter und rufen: Komm, Achim, ist nicht mehr weit, nur noch acht Kilometer. Und ich denke mir: Du Arsch – ich schaffe nicht mal mehr acht Meter. Wer jemals wie ein geprügelter Hund ins Ziel geschlichen ist und mit tief ins Gesicht gezogener Mütze seine Klamotten eingesammelt hat, während die anderen überglücklich über die Linie wanken, der weiß, was Schmach bedeutet. Zwei Jahre später war ich allerdings ganz schön gut, für einen älteren Herren jedenfalls.
Da rief der Moderator während der Startnummernausgabe ins Mikro: Achim, das wird schon noch was mit dem Ironman auf Hawaii, Traum aller Triathleten – aber frühestens in der Altersklasse über 75!
Tja, der Humor beim Ausdauersport leidet auch am Sauerstoffmangel. Ich bin da aber halbwegs schmerzfrei, weil ich auch in alle Richtungen austeile. Da unterscheiden sich Opernloge und Umkleidekabine halt. Ich habe 25 Jahre Handball gespielt, und ich liebe diesen rustikalen Ton, weil er echt ist und nicht den Gepflogenheiten des Kaschmirbetriebs gehorcht. Echte Liebe ist halt auch echt brutal.
Wie geht es weiter mit Achilles? Für den Volkstriathlon an der Krummen Lanke im Juli steht er ja schon in der Startliste.
Das ist der tollste Wettbewerb des Jahres, ausgerichtet von meinem Verein, den Berliner Weltraumjoggern. Alle helfen mit, backen Kuchen, stehen an der Strecke, verteilen Isodrinks. Da lebt sie, die große, wunderbare Sportfamilie. Wie lange Achilles noch lebt, weiß ich allerdings nicht.
Wie? Achim stirbt den Läufertod? So wie Sherlock Holmes den Reichenbachfall runterfällt, weil sein Schöpfer Arthur Conan Doyle ihn loswerden wollte?
Wenn Achim stirbt, dann drei Zentimeter vor der Ziellinie in Hawaii. Oder mit einem Walkingstock in der Brust. Soll ich etwa bis an mein Lebensende eine Laufkolumne schreiben?
„Wir machen weiter bis zur Rockerrente“, singen die Puhdys, und die Stones gibt’s auch noch.
Danke für die angemessenen Vergleiche. Aber irgendwann ist jede Geschichte mal auserzählt. Und dann sollte man was Neues anfangen.
Oder den Klassiker wagen. Aufhören, um nach großen Fanprotesten weiterzumachen.
Ja klar, so wie Howard Carpendale, der auf seine 17. und garantiert allerletzte Abschiedstournee geht. Ich würde lieber Hawaii gewinnen. Oder den New-York-Marathon. Dann hätte ich wirklich was Neues zu berichten: meine erste Erfolgsgeschichte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen