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Gesellige Budisten

KAFF Jugendliche treffen sich in so genannten Buden und machen Party, bis der Arzt kommt (oder Mutti)

Hütten am Rand

■  Das Phänomen: Buden sind gesellschaftliche Knotenpunkte. In Städten und – mehr noch – auf dem Land finden sich diese Treffpunkte als Orte der Kommunikation und des Zeitvertreibs. Dort kommen, in Schuppen, Bauwagen oder leerstehenden Bauten, Jugendliche zusammen. Es gibt auch Buden, in denen sich Erwachsene treffen, die über Jahre hinweg das Budentum pflegen. In vielen Dörfern halten die „Budisten“ Traditionen wie Kirchweihen oder Maibaumstellen aufrecht.

■  Der Status: Buden sind meist illegal, weil sich ihre Nutzer einfach diesen Raum angeeignet haben. Mancherorts aber werden sie von der Gemeinde geduldet, mitunter sogar von Pfarrern oder Bürgermeistern unterstützt.

■  Das Buch: „Buden“, Verlagsdruckerei Biberach, Juli 2010, 113 Seiten, 19,80 Euro

VON HELMUT HÖGE

Ziehen die Schwaben jetzt schon mit ihrem Häusle nach Kreuzberg?, fragte ich mich, als im Sommer eine Zugmaschine mit Wohnwagen an mir vorbeilärmte. Das Gespann war laut Nummernschild von der Schwäbischen Alb herunter gekommen, aus Biberach an der Riss (BC). Ich begann zu recherchieren und stieß in der Provinz auf eine ganze Wohnwagen-Scene – „Budenkultur“ genannt.

Im Landkreis Biberach zählte die Polizei zuletzt 208 Buden, dazu weitere im angrenzenden Alb-Donau-Kreis. Die Buden, das können ausrangierte Wohn-, Bau- oder Campingwagen sein, leere Container, selbstgebaute Baumhäuser oder Schuppen, die zu „sturmfreien Buden“ ausgebaut werden. Die „Budisten“ sind zwischen 14 und 50 Jahre alt, sie sondern sich erst mit ihrer Bude ab, verschmelzen dann aber wieder „organisch mit dem Dorf“, wie es im regionalen Kulturmagazin Blix heißt. Es geht diesen „Cliquen“ um Geselligkeit.

Erst gab’s die Kunkelstube

Früher war die Geselligkeit identisch mit Gesellschaft, „in der die Menschen einander ‚freudig‘, ‚gleich‘, ‚offen‘ begegnen, konversierende Interaktion, in der die Teilnehmer sich sympathisierend, symmetrisch, aufrichtig miteinander ins Verhältnis setzen“, so der Germanist Georg Stanitzek über die adligen und bürgerlichen Zusammenkünfte im 18. Jahrhundert.

Die oberschwäbischen Buden hatten als Vorläufer die kleinbäuerlichen Spinnstuben, „Kunkelstuben“ genannt, wo junge Männer und Frauen sich trafen. Sie waren wegen des dort vermuteten frivolen Treibens oft Gegenstand obrigkeitlicher Verordnungen. In Mietingen war der Übergang von der Spinnstube zur Bude fast fließend: Nur 16 Jahre nach Schließung der letzten Kunkelstube wurde dort 1967 die erste Bude, der „Club 7“, gegründet. „I moi, do send hald koine Schtruktura do wese, dann schafft ma sich hald selber Schtruktura“, so sagte es ein Club-Mitglied. Natürlich war hier wie dort Alkohol im Spiel: Schon die Aufklärer erörterten den Wein als Vehikel der „Offenherzigkeit“. Er wirkt „als Antidot zu den Differenzen der Gesellschaft und den Egoismen der Männer“, ihre mit Wein verbundene Geselligkeit „ist eine Art konkrete Utopie, die Versöhnung nach Feierabend“, schreibt der Soziologe Christoph Kulick.

Anders sieht das der Biberacher Polizeidirektor Hubertus Högerle: „Ganz zu schweigen davon, dass Buden nach mehreren Rechtsvorschriften an sich nicht genehmigungsfähig sind, werden sie aber geduldet. Nach meiner Beobachtung wird bei uns vor allem beim Thema Alkoholmissbrauch geschönt. Und der ist bei Buden – leider – an der Tagesordnung. Es vergeht fast keine Woche, in der sich die Polizei nicht mit den unangenehmen Seiten unserer Buden beschäftigen muss.“

Schon 1984 warnte der Obersulmetinger Ortsvorstand die dortigen Budisten im Amtsblatt: „Rauchen, saufen, huren, haschen, kiffen, fixen sind die Stufen der Leiter, die nur allzu viele Jugendliche zielstrebig zur Vollendung klettern und unterwegs auch Abstecher in die Kriminalität nicht scheuen, wenn es an der Penunze mangelt.“ Der Soziologe Stefan Buri konstatiert: „Fest steht, dass das Buden-Leben einen wichtigen Beitrag zur Sozialisierung Jugendlicher auf dem Land leistet.“ Dies erkläre auch, warum viele Buden inzwischen fester Bestandteil des dörflichen Lebens sind. Die Biberacher „Kies-Bude“ hat mittlerweile sogar einen Putzdienst.

Die Buden unterscheiden sich nicht nur in puncto Sauberkeit und Ordnung, einige haben inzwischen Internetanschluss und eigene Webseiten – die „Riss Bude“ im Industriegebiet von Obersulmetingen zum Beispiel. Darüber hinaus unterscheiden sich die Buden durch ihre Adressierung: Sie haben Nummern (von Club 3 bis 15 in der Biberacher Gemeinde Mietingen) oder Namen wie „Weiher-Bude“, „Hammelclub“ und „Drohnenclub Dietenwengen“, die sich aus dem Standort, dem Namen des Grundstücksbesitzers oder einem Ereignis aus der Budengeschichte ableiten. Die Namen können sich ändern, wenn nach einer Zeit des Leerstands eine neue Clique einzieht. So hatte die im Landkreis Biberach bekannte „Schmalzbude“, die es seit 1978 gibt, zwei Vorläufer: den „Saustall“ und den „Backsteinkeller“.

Den Buden Vergleichbares gab es auch anderswo in Deutschland, ab den Sechzigerjahren zunächst in den Städten: Jugendliche rebellierten und begehrten eigene Räume, die sie besetzten oder erbaten und dann Jugendzentrum oder -treff nannten. In Limburg etwa bekamen sie einen Kellerraum von der Kirche, den sie „Club Black-Out“ nannten. Schon wenig später wollte der Bürgermeister ihn schließen lassen: „Die spritze sich da des pure Hasch!“, behauptete er frech.

Erst sondern sich die Budisten ab, dann verschmelzen sie aber wieder mit dem Dorf

Eine der ältesten und immer noch aktivsten Buden ist der „Club W71“ in Weikersheim südlich von Würzburg, er besteht seit 1971. Unter Literaten bekannt ist das „Büro“ des Rheinhausener „Agentenkollektivs“ vor dem Tor der stillgelegten Krupp-Werke in einem ehemaligen Büdchen, wie dort die Kioske heißen.

Beste Bude Wartehäuschen

Die bekannteste Bude nördlich von Oberschwaben steht heute in Rietschen, einem Dorf in Sachsen. Es ist ein ehemaliges LPG-Gebäude, das „Kommärzbanck“ heißt und ein Punk-Schuppen ist. Die Jugendlichen bauten ihn sich mit Geldern aus, die der Pastor und der Bürgermeister des Dorfes ihnen besorgt hatten. Anderswo werden solche „Clubs“ von Wohlfahrtsverbänden und Jugendämtern betrieben. Allein im brandenburgischen Guben gibt es vier Jugendclubs: drei für Linke und einen für Rechte. Sie werden von Sozialarbeitern geleitet. Zwar gibt es auch Cliquen auf dem Land, die sich leerstehende Gebäude einfach aneignen, aber die meisten Dorfjugendlichen (in Ost und West) kennen als täglichen Treffpunkt meist nur ihr Buswartehäuschen. Auf der Grünen Woche bestand der Stand des Landjugend-Bundes deswegen einige Jahre aus einem Wartehäuschen.

2009 bereitete die Leiterin des Museums Villa Rot bei Biberach, Stefanie Dathe, eine Ausstellung über die „oberschwäbische Budenkultur“ vor. Dazu lud sie auch den Bildhauer Rolf Wicker ein, der in Berlin und in Küsserow/Mecklenburg lebt. Er erinnert sich: „Ich stand am Fenster eines ehemaligen DDR-Betriebes für Landtechnik, beobachtete während des Telefonates mit Stefanie Dathe einige Jugendliche an der Bushaltestelle gegenüber und konnte mir nur schwer vorstellen, dass solche Buden wie in Oberschwaben in einem Dorf in Mecklenburg überhaupt nur denkbar wären.“ Aber dann begann er sich doch für einen solchen Buden-Transfer von Süden nach Norden zu begeistern. So entstand das „Projekt ‚Bude Küsserow‘ als Experiment mit offenem Ausgang und ohne konkretes Ziel“. Der Wohnwagen, der in Kreuzberg an mir vorbeilärmte, das war diese Bude auf dem Weg von Biberach nach Küsserow, wo sie gut angenommen wurde.

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