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Die musikalische Wärmestube

DOOFE MUSIK An vier Tagen untersucht das Haus der Kulturen der Welt Eskapismus, Easy Listening, Fahrstuhlmusik, Mike Krüger, Roy Black und den Eurovision Song Contest in Wort und Ton

Lieder zum Träumen, Betäuben und Vergessen

An vier Tagen beschäftigt sich das Haus der Kulturen der Welt mit „doofer Musik“, am Donnerstag geht es los mit „Pocket Symphonies“ auf Klingeltonniveau. Freitag geht es um Warteschleifen- und Fahrstuhlmusik, Samstag um verrückte Liebeslieder inklusive eigener Gala und Eurovision Song Contest. Sonntag endet das Festival mit Volksmusikschnulzen aus Lateinamerika und Bayern.

■ Doofe Musik: HKW, John-Foster-Dulles-Allee 10, 8.–11. Mai, 10/8 € (Abend), 20 € (Festival), Infos: www.hkw.de/doofemusik

VON THOMAS MAUCH

Wieso sollte man ausgerechnet daran nicht glauben wollen, sich nicht festhalten an dem Versprechen „Du bist nicht allein“? Wenigstens ein paar Minuten lang.

„Du bist nicht allein“, versicherte der Sänger, „wenn du träumst heute Abend. Du bist nicht allein, wenn du träumst von der Liebe.“ Und da war der treuherzige Blick des Sängers. Sein scheues Lächeln. Da waren seine schwarzen Haare, schon schick. Die schwarzen Haare von Roy Black, der Mitte der sechziger Jahre mit diesem „Du bist nicht allein“ seinen ersten Hit hatte. Er wurde gefeiert von den Fans. Er wurde von anderen verhöhnt. „Schnulzensänger“, schimpften sie ihn. Was Roy Black auch besonders deswegen schmerzte, weil er durchaus den Erfolg wollte – aber als Rock-’n’-Roll-Sänger, der er vorher war, als deutsche Antwort auf die Beatles. Und dann musste er so seichtes Zeug singen wie „Du bist nicht allein“ oder später, ein noch gewaltigerer Hit, „Ganz in Weiß“. Dumm gelaufen also.

Halt richtig doof, doof, doof.

Man darf sich jetzt ruhig mal heraussuchen, wo man das „doof“ am liebsten platzieren will. Ob etwa einfach Roy Black „doof“ war, weil er bei der Musik nicht auf seine, sagen wir ruhig mal, Herzensstimme gehört hatte? Oder ist das, was er machte, „doof“? Der Schlager. Wie „doof“ eigentlich müssen erst die sein, die genau das am allerliebsten hören wollen in ihrem Schmerz, auf der Suche nach etwas Herz?

Doofe Musik hilft flüchten

Es geht also um den Eskapismus. Dass man sich der Welt mit ihren Anforderungen manchmal entziehen will mit einer Wirklichkeitsflucht. In diesem Zusammenhang aber muss man vielleicht doch ein wenig weiter zurückblicken in der Menschheitsgeschichte, möglicherweise zurück bis in die Zeit der sogenannten Neolithischen Revolution: Damit wird die Erfindung des Ackerbaus bezeichnet und der damit einhergehende Wandel von den vormaligen Sammlern und Jägern zu Bauern, die nicht mehr nomadisch durch die Welt streifen wollten, sondern sich eine feste Heimstatt suchten. Sie taten das – laut einer sofort einleuchtenden Theorie – wegen dem Bier. Sie taten es, um die Mühen der Arbeit vergessen zu können, im Rausch. Für den wollte sich der damalige Mensch sogar gern noch ein Stückchen mehr plagen mit dem Tagwerk des Ackerns. Weil er das am Abend in geselliger Runde mit dem entsprechend kultivierten Rauschmittel gleich wieder vergessen konnte.

Der Mensch, so scheint es, neigt dazu, sich aus seinem doch oft tristen Leben hinausbefördern zu wollen. Der Mensch will es manchmal betäubend. Wegträumen will er sich. Womit man gleich wieder bei der Musik ist. Der „doofen Musik“.

„Doofe Musik“ ist das Thema dieses Wochenende im Haus der Kulturen der Welt, wo man nach den vorangegangenen Symposien zur „Unmenschlichen Musik“ mit dem Blick auf Kompositionen von Maschinen, Tieren und Zufällen und zu „Böse Musik“ mit den Oden an Gewalt, Tod und Teufel nun die Musik ins Auge nimmt, „die stumpf, taub, empfindungslos, also ‚doof‘ macht“. Fluchtmusiken. An vier Tagen ist man dem Eskapismus auf der Spur, Easy Listening, Fahrstuhlmusik oder Mike Krüger mit seinem „Nippel“-Lied werden in Wort und Ton durchdekliniert. Auch die Geschichte von Roy Black wird erzählt, mit dem Film „Du bist nicht allein – Die Roy Black Story“ aus dem Jahr 1996 mit Christoph Waltz in der Titelrolle. Und andererseits werden dazu Prunkstücke des Bildungsbürgertums wie Beethovens „Eroica“ auf ihre Qualitäten zur Weltflüchtigkeit bei den Rezipienten abgeklopft.

Heraus kommt: Kultur

Wobei man Eskapismus eben wohl als überhaupt erst kulturbildend betrachten muss. Die frühe Freude des Menschen am Bier führte so, über ein paar Zwischenstufen, irgendwann mal zur Erfindung des Kühlschranks. Die Freude am deutschen Schlager zur Einrichtung der ZDF-Hitparade. Eine musikalische Wärmestube, in der auch Roy Black noch ein paar hübsche Erfolge feiern durfte und die – allen bildungsbürgerlichen Befürchtungen zum Trotz – wahrscheinlich doch nicht zum Untergang des Abendlandes beigetragen hatte.

Wobei das noch nicht wirklich ausgemacht ist. Die ZDF-Hitparade ist Geschichte, aber es gibt ja weiterhin den Eurovision Song Contest, den man sich auch bei „Doofe Musik“ nicht entgehen lassen will: am Samstag werden Experten wie Christiane Rösinger und Justus Köhncke im Haus der Kulturen der Welt das live aus Kopenhagen übertragene Event als Fluchthelfer für die Willigen kommentieren.

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