: Verlustangst um einen Geächteten
EISKUNSTLAUF Wegen seiner Stasi-Vergangenheit wurde Erfolgstrainer Ingo Steuer bislang nicht vom Bundesinnenministerium bezahlt. Weil er nun abzuwandern droht, will man weniger streng sein
Darf die Deutsche Eislauf-Union (DEU) ihren Erfolgstrainer Ingo Steuer aus öffentlichen Mitteln bezahlen? Eigentlich ist die Frage vor einiger Zeit schon beantwortet worden: Sie darf es nicht, denn Ingo Steuer hat für die Stasi der DDR gespitzelt. Das Bundesinnenministerium hat dem Sportverband DEU 2006 Zahlungen an Steuer untersagt. Das Training der fünffachen Weltmeister Aljona Savchenko/Robin Szolkowy leistete er seitdem zunächst ehrenamtlich. Später musste sein Paar ihn von Showauftritt-Honoraren und Sponsorengeldern bezahlen. Doch 24 Jahre nach dem Ende der DDR kommt Bewegung in die Sache.
Aljona Savchenko und Robin Szolkowy haben sich nach der Olympiasaison getrennt. Der 34-jährige Szolkowy hat seine Leistungssportkarriere beendet und wird sich als Sportkoordinator und Trainer probieren. Seine 30-jährige Expartnerin will weiterlaufen. Ihr neuer Eispartner heißt Bruno Massot, ist Franzose und fünf Jahre jünger als sie. Keine Frage ist, dass das neue Paar Savchenko/Massot bei Ingo Steuer, dem Lebensgefährten von Savchenko, trainieren wird. Auch Chemnitz steht bereits als Trainingsort fest. Offen ist, ob das neue Paar für Deutschland oder Frankreich an den Start geht. „Der französische Verband unterstützt Bruno und mich und er würde uns finanzieren“, sagt Savchenko. „Ich möchte lieber Deutsche bleiben, aber für mein Ziel werde ich auch Französin.“ Damit hat sie dem Bundesinnenministerium die Pistole auf die Brust gesetzt: Entweder es erlaubt der DEU, Ingo Steuer zu bezahlen, oder sie und ihr Trainer arbeiten in Zukunft für Frankreich. Dabei geht es – natürlich – um Medaillen. Das neue Trio Savchenko/Massot/Steuer strebt den Olympiasieg 2018 in Südkorea an. Für den Olympiastart müsste allerdings entweder Savchenko den französischen oder Massot den deutschen Pass bekommen. Ihren bisherigen Pass dürfen sie behalten, denn innerhalb der EU ist die doppelte Staatsangehörigkeit erlaubt.
Steuer äußerte sich im MDR ähnlich: „Für mich ist es egal, für welches Land wir laufen. Ich muss als Trainer Geld verdienen. Dennoch würde ich natürlich lieber für Deutschland starten.“ In der kommenden Saison wäre das neue Paar international ohnehin gesperrt, weil entweder Savchenko oder Massot einen Nationenwechsel vornehmen müsste. Für den Fall eines Starts für Deutschland würde das Paar sogar eine zweijährige Sperre kassieren, denn der französische Verband gibt den erfolgversprechenden Paarläufer Bruno Massot nicht freiwillig her. Doch das Paar hat bereits erklärt, auch die längere Sperre in Kauf zu nehmen, wenn Deutschland seinen Trainer bezahlt.
Das Bundesinnenministerium (BMI) beabsichtige keine Änderung des Umgangs mit der Causa Steuer, erklärte BMI-Sprecherin Pamela Müller-Niese der taz. Allerdings räumt sie Verhandlungsspielraum ein, falls eine Sportkommission „eine andere Entscheidung zu Herrn Steuer fällt, die das BMI dann, sofern dies politisch für vertretbar gehalten wird, akzeptieren könnte“. Parallel dazu müsse dies öffentlich diskutiert werden – auch im Bundestag. Der DOSB rückt indes ebenfalls von seiner bisherigen ablehnenden Position ab. Präsident Alfons Hörmann sagt: „Es wäre ein herber Verlust, wenn ein Weltklassetrainer wie Ingo Steuer Deutschland verlassen und für die Konkurrenz arbeiten würde.“ Eine Internetpetition von Eiskunstlaufanhängern an das BMI hat innerhalb von drei Tagen fast 1.000 Unterschriften gesammelt. 2006 sei die Entscheidung richtig gewesen, Steuer nicht zu bezahlen, heißt es dort. Jetzt müsse sie überdacht werden. MARINA MAI
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