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Duschen als Performance

KÜNSTLERPORTRÄT Schlau und verschlagen: Ai Weiwei als Gegenstand eines äußerst gelungenen Dokumentarfilms

Ai Weiwei wundert sich nicht nur über die Missstände in Chinas Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, nein, er wundert sich auch, dass er dem britischen Fernsehjournalisten Angus Walker kein Interview geben kann, während er duscht. Das verstoße gegen den Anstand, wendet Walker ein und wundert sich seinerseits, dass Ai Weiwei das nicht von selbst versteht.

Genau das ist nun aber die große Stärke und Kunst von Ai Weiwei, dass er keine Ahnung davon hat, dass sich bestimmte Dinge von selbst verstehen sollen. Er will auch nicht aus Jux und Dollerei duschen, während er mit dem Journalisten spricht. Duscht er, kann er das Gespräch zur künstlerischen Performance erklären. Interviews zu geben, ist Ai Weiwei verboten, seit er 81 Tage nach seiner Festnahme im April 2011 wieder freikam.

Keine Interviews

Also gibt Ai Weiwei keine Interviews, sondern schreibt in Newsweek einen Artikel über Peking, in dem er die Stadt einen Albtraum nennt. Ai Weiwei ist schlau und verschlagen in einer Brecht’schen Manier. Das funktioniert in der staatlich kontrollierten Lebenswelt Chinas besser als in den privatwirtschaftlich organisierten Medien Großbritanniens.

Das Interview kommt nicht zustande. Die Performance aber sehr wohl. Denn am Ende von Andreas Johnsens Film „Ai Weiwei – The Fake Case“ duscht der chinesische Künstler, während der Abspann läuft. Der dänische Dokumentarist hat den Kunstaktivisten nach seiner Haftentlassung während seines einjährigen Hausarrests begleitet. Die 81 Tage Einzelhaft haben den kräftigen Mann sichtlich gezeichnet. Und die Tortur geht weiter. 18 Kameras überwachen sein Studio und seine Wohnung, dazu folgen ihm Polizisten und Geheimdienstleute in Zivil auf Schritt und Tritt. Und es wird gegen ihn, beziehungsweise seine Firma „Fake Design“ Anklage wegen Steuerbetrugs erhoben. Die immense Geldstrafe von umgerechnet 1,79 Millionen Euro könnte Ai Weiwei, obwohl er ja ein überaus erfolgreicher Künstler ist, der nicht nur weltweit ausgestellt, sondern auch gehandelt wird, durchaus ruinieren.

Doch ausgerechnet dieser Versuch der Staatsgewalt ihn kleinzukriegen, wird zu ihrer größten Niederlage. In Form von Papierfliegern schweben 50 und 100 Yuan-Banknoten über die Mauer seines Hofhauses in Peking. Immer mehr Chinesen spenden dem Künstler Geld und Zuspruch. Insgesamt kommt die unglaubliche Summe von einer Million Euro so zusammen. Es sei ein Wunder, kommentiert der Künstler diesen Akt der Solidarität, das zeige, die Leute sagten, hey, warte mal, das geht uns alle an. Da sei in China so noch nie passiert.

Derweil versucht er sein Leben wieder einigermaßen auf die Reihe zu kriegen. Er spielt mit seinem Sohn, fragt sein alte Mutter nach ihren Sorgen, und er trifft Künstlerfreunde und Sammler, denn er nimmt seine künstlerische Produktion wieder auf. Obwohl jede seiner Bewegungen überwacht wird, gelingt es ihm mit Hilfe der Freunde, die 81 Tage seiner Gefangenschaft – wie er, immer mit zwei Wächtern an der Seite, schläft, befragt wird, einfach nur dasitzt oder isst – in plastischen Modellen nachzustellen. S.A.C.R.E.D. wie das Akronym des Ensembles von sechs Szenen in sechs Boxen (Supper, Accusers, Cleansing etc.) lautet, war erstmals 2013 in Venedig auf der Biennale zu sehen, momentan ist es Teil seiner großen Einzelausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau.

Bei ihrer Eröffnung rief „Evidence“, so der Titel der Schau, heftige Kritik hervor. Seine Kunst sei im besten Fall nur Paraphrase politischer Ereignisse, lautete der Vorwurf, und im schlechtesten reihe sie Selbstdevotionalien aneinander, etwa wenn Ai Weiwei die Kleiderbügel in seiner Gefängniszelle oder die Videokameras vor seinem Haus als Marmorreliquien wiedererstehen ließe. Diese Kritik ist freilich wohlfeil. Denn wenn Andreas Johnsens sensible und unpathetische Dokumentation eines zeigt, dann, wie klein und begrenzt Ai Weiweis Welt geworden ist. Da gibt es keinen Raum mehr für den verspielten Kunstaktionisten, der in Fluxusmanier den Fetisch Kunstwerk auseinandernimmt. Der Kunstaktionist hat dem Kunstaktivisten Platz gemacht, der im Fetisch die Waffe erkennt, die sich vielfältig gegen das politische System einsetzen lässt.

Dabei stellt Ais Kunst die gleiche großzügige Einladung wie seine Blogs, wie sein Twittern dar, zur politischen Teilhabe aller an seinem Gegenentwurf zur bedrückenden gesellschaftlichen Realität Chinas. Wer die Einladung nicht – wie die Sammler und der Kunstmarkt es gern tun – in Form von Ais paradigmatisch einfachen und zugleich pathetischen Readymades annehmen kann oder will, der darf und kann jetzt bei Andreas Johnsen mit ihm duschen. Es ist ein Erlebnis. BRIGITTE WERNEBURG

■ „Ai Weiwei. The Fake Case“. Buch und Regie: Andreas Johnsen. Dänemark 2013, 86 Min.

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