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Schlauer tanzen

TOURSTART Die Tanlines aus Brooklyn kombinieren experimentellen Synthie-Pop mit Indie-Rock und Ghetto-Tech zu entspannten und grundoptimistischen Hymnen

Denn mit experimentellem Pop allein versetzt man die Leute noch lange nicht in Bewegung

VON TIM CASPAR BOEHME

Wo einer herkommt, gibt oft Aufschluss darüber, wie er so ist. Für das Duo Tanlines aus Brooklyn gilt das jedoch nur bedingt. Der Keyboarder Jesse Cohen spielte früher in der düsteren Dance-Punk-Band Professor Murder, die sich dem New-Wave-Sound der frühen Achtziger verschrieben hat, Eric Emm arbeitete mit den verfrickelten Math-Rockern von Don Caballero an kompliziert verschachtelten Rhythmuskonstrukten mit Tendenz zur Unübersichtlichkeit. Man hätte bei diesen musikalischen Biografien daher allen Grund, von den Beteiligten eher unfreundliche und verschattete, zumindest schroffe Klänge mit einer ausgeprägten Liebe zu ohrenstrapazierenden Experimenten zu erwarten.

Hört man sich aber durch die aktuelle Zusammenstellung „Volume On“, auf der die Band alle Stücke, die bisher von ihnen erschienen sind, gebündelt hat, bemerkt man vor allem eines: freundliche, fröhliche Popmelodien, quietschige Synthesizer-Linien und – bei aller diskreten Komplexität – tanzgeeignete Rhythmen, von denen man nicht befürchten muss, dass man sich mit den Füßen in ungeraden Taktmaßen verheddert. Es klingt ein bisschen so, als hätte der eine zu Hause das Licht angeknipst und die Sonne durch die Fenster gelassen, während der andere endlich einmal gründlich seine Wohnung aufgeräumt und für Übersicht gesorgt hat.

Wenn Fragen der Herkunft für diese vor zwei Jahren gegründete Band irgendeine Rolle spielen, dann ist es am ehesten die geografische: Ihr Wohnort Brooklyn gilt seit einiger Zeit als Brutstätte für junge, hippe Bands, die sich – wie die Telepathes – ihren eigenen Zugang zum elektronischen Pop der Achtziger schaffen oder die Indie-Rock mit „Weltmusik“ verschalten, wie es zum Beispiel das Quartett Vampire Weekend erfolgreich vormacht.

All diese Einflüsse kann man auch in der Musik der Tanlines hören. Der Gesang erinnert sogar stellenweise an eine weitere Hipster-Band aus der Nachbarschaft, Animal Collective, mit denen die Tanlines ebenfalls das Interesse an Klangforschung im Pop teilen. Doch es wäre ein Missverständnis, das Duo für eklektische Nachmacher zu halten, die einfach aktuelle Trends aus der Umgebung aufsammeln und clever verschneiden.

Grundoptimistische Zuversicht

Neben dem Bekenntnis zu eingängigen Melodien konzentrieren sich die Tanlines in ihrer Auswahl von ethnischen Elementen auf Ghetto-Tech – elektronische Rhythmen und Beats, wie sie in den brasilianischen Favelas oder afrikanischen Slums gespielt werden. Die klingen eher schroff als nach Ethnokitsch, vor allem in Kombination mit den manchmal etwas plärrigen Synthesizerflächen. Zwar sind die Tanlines auch hier nicht die Ersten, die sich dieser Stile bedienen – die Sängerin M.I.A. und ihr Produzent Diplo etwa gehören zu den bekanntesten Popularisierern –, doch mit einer so grundoptimistischen Zuversicht in den Melodien und einer dabei nur am Rande in der Stimme von Sänger Eric Emm aufflackernden Indie-Rock-Melancholie waren diese Zutaten bisher nicht zu hören.

Man kann daher durchaus von intelligenter Tanzmusik oder schwer rhythmischer Popmusik in New Yorker Tradition sprechen. Als „Animal Collective zum Tanzen“ wurden sie schon bezeichnet. Das trifft es aber nur zum Teil. Während Animal Collective den Kunstcharakter ihrer Musik hervorheben, setzen die Tanlines auf kompakte Arrangements. Statt ihren Pop in psychedelische Klangstrudel ausfransen zu lassen, fügen sie ihre heterogenen Bausteine zu etwas Eigenem zusammen, das auf fremde Weise vertraut klingt, ohne lauthals „Ich bin neu!“ zu schreien, sondern einmal mehr unter Beweis stellt, wie belastungsfähig das Konzept Pop immer noch ist.

„Experimentellen Pop“ nennen Emm und Cohen das Ergebnis, was zur Charakterisierung allerdings zu kurz greift. Denn mit experimentellem Pop allein versetzt man die Leute noch lange nicht in Bewegung. Und das tun die Tanlines allemal. Man könnte es Ghetto-Tech-Pop nennen, wenn man denn wollte, im Grunde genügt einfach Pop. Das letzte Wort über die Band ist ohnehin noch lange nicht gesprochen: Gegenwärtig arbeiten sie an ihrem ersten richtigen Album, das im nächsten Jahr erscheinen wird. Wenn darauf so euphorisierende Songs wie ihre hymnische Single „Real Life“ zu finden sein sollten, darf man sich zumindest auf einen schönen Sommer freuen.

■ Tanlines: „Volume On“ (Family Edition/Rough Trade); live: Hamburg 10. 12., Berlin 11. 12.

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