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„Arzt-Patienten-Verhältnis wird geopfert“

Der Psychotherapeut Matthias Jochheim rät PatientInnen, nur das Nötigste auf der Gesundheitskarte zu speichern

taz: Herr Jochheim, was hätten Ihre PatientInnen von der elektronischen Gesundheitskarte?

Matthias Jochheim: Die Karte ist sicherlich sinnvoll, um Informationen des Patienten für Notfälle zu speichern, etwa über seine Allergien oder Arzneimittelunverträglichkeiten. Allerdings soll die Karte auch Zugang zu einem zentralisierten Computersystem haben, wo die Gesundheitsdaten des Patienten gespeichert werden. Das könnte dem Prinzip der ärztlichen Schweigepflicht zuwider laufen. Stattdessen sollte eher ein dezentrales System für die Daten aufgebaut werden.

Das Gesundheitsministerium widerspricht, die Krankenkassen dürften die Daten nicht zentral speichern.

Es ist noch gar nicht geklärt, ob die Daten bei den Ärzten und Therapeuten oder bei staatsnahen Großorganisationen, etwa den Krankenkassen, gespeichert werden. Auch wenn die Angaben in den Krankenhäusern gesammelt werden, muss jemand diese Vernetzung steuern. Das wird nicht das örtliche Krankenhaus sein, sondern eine spezifische Organisation, ein Verband der Krankenhäuser womöglich. Diese Frage ist sehr entscheidend, wird aber kaum diskutiert.

Wer könnte ein Interesse an den Patientendaten haben?

Zum Beispiel die Pharmaindustrie. Zwar wären die Daten anonymisiert. Aber das kann rückgängig gemacht werden. Solange nicht gewährleistet werden kann, dass solche Organisationen Zugriff auf einen intimen Bereich wie die Gesundheit haben, lehne ich die Gesundheitskarte ab.

Woher diese Sorgen?

Ein Beispiel ist Toll Collect, das die Maut-Daten der LKW erhebt. Ursprünglich hieß es, die Daten dürften nicht gesammelt und aufbewahrt werden. Inzwischen kommen Forderungen aus der Politik, sie für die Bekämpfung von Verbrechen zu nutzen. Das heißt, wenn die technischen Möglichkeiten da sind, dann werden die auch gerne für andere Zwecke verwendet. Außerdem gibt es allgemein den Trend, das Gesundheitswesen kontrollierbarer zu machen. Das Arzt-Patienten-Verhältnis wird immer mehr einer Standardisierung der Behandlung geopfert. Diese sehr persönliche Beziehung darf nicht industriellen Normen unterworfen werden.

Was raten Sie Ihren PatientInnen, wenn die Gesundheitskarte eingeführt wird?

Ich würde ihnen raten, nur die Notfalldaten speichern zu lassen, keine weiteren freiwilligen Informationen.

INTERVIEW: M. SCHRÖDER

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