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Nussig, fruchtig, seifig und pelzig im Abgang

DEKADENZ Wo Wasser purer Luxus wird: Man holt es aus Tasmanien, füllt es in Designerflaschen und schlürft

Beim Wasserschmecken geht die Konzentration nach innen. Es ist wie Stille hören, Dunkelheit sehen

VON WALTRAUD SCHWAB

Wasser ist zu einem Luxusprodukt geworden. In Edelrestaurants wird es wie Wein zelebriert. Es wird degustiert, importiert, bekommt Noten und wird mit Geschmacksmetaphern versehen. „Von ausgewogener Mineralität“ wird gesprochen, von „herb“, „nussig“ oder „fruchtig“, es soll „breit am Gaumen“ sein und „samtig“, mitunter „seift es im Mund“ oder ist „wie ein Schwamm, der die Geschmacksknospen reinigt“.

Jerk Riese benutzt diese Bilder, als Wassertester muss er es wissen. Nicht zuletzt zeigt sich das Besondere des Wassers am Preis: Eine mit Swarovski-Steinen besetzte Flasche des in Tennessee abgefüllten „Bling h2O“ kostet im Berliner Hotel Palace 65 Euro. Angeblich wird es gern von osteuropäischen Neureichen bestellt. Die leeren Flaschen nehmen die Gäste mit, denn Wasser ist Flaschen gewordener Luxus.

Auch hoch gehandelt außer Bling: Karoo, ein Wasser aus Südafrika, oder Fiji, ein kieselerdehaltiges Wasser der Fidschi-Inseln, und das in Hollywood zur Kultmarke avancierte norwegische Gletscherwasser Voss, für das Neil Kraft, ehemals Calvin-Klein-Designer, die Flasche entwarf und das vor Kurzem in die Schlagzeilen der Boulevardpresse kam, weil es durch Leitungen fließt und deshalb Leitungswasser sein soll. Trotzdem: Die Flasche – eher ein Flakon – bleibt. Sie sei multifunktional und damit aus ganz anderen Gründen hip, sagt Riese. Er ist Restaurantleiter des Sternerestaurants „first floor“ im Hotel Palace. Die leeren Designerflaschen benutzt er, um Spaghetti darin aufzubewahren. Oder Müsli.

Jerk Riese, dessen vergrößerte Augen hinter seiner starken Brille leuchten, wenn er vom Genießen spricht, ist in den letzten fünf Jahren zu einem Experten in Sachen Mineralwässer geworden. Echtes Mineralwasser ist gemeint. Solches, das aus einer Quelle stammt und in seiner Zusammensetzung nicht verändert wird. Lediglich das Eisen darf herausgezogen werden, da es, bliebe es drin, bräunlich ausflockt, was dem Gesamtkunstwerk Wasser nicht guttut – es soll sich in einer schmutzigen Welt durch Reinheit, gar Unberührtheit auszeichnen. Nur Kohlensäure, verstanden wohl als prickelndes Aphrodisiakum, kann zugesetzt werden.

Tafelwasser hingegen darf aus Leitungswasser bestehen und durch Mineralien aufgepeppt werden. Daher schmeckt Bonaqua, die Wassermarke der Coca-Cola Company, auf der ganzen Welt gleich. Denn egal, wo es abgefüllt wird, am Ende sind 180 Milligramm (mg) Natrium, 68 mg Calcium, 28 mg Magnesium und 259 mg Chlorid in jedem Liter drin. Bonaqua ist für Riese kein Wasser, sondern ein Fake. Die Tendenz großer Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé oder Coca-Cola, Mineralquellen aufzukaufen, erfüllt ihn zusätzlich mit Sorge. Denn Riese ist trotz gehobener Gastronomie mit ihrem Hang zur Dekadenz Purist geblieben. „Analogkäse: abartig, Konservierungsstoffe: das kann nicht gut sein, und H-Milch: Weshalb soll Milch bei uns vier Wochen haltbar sein?“ In Hollywood, wo er einen Teil seiner Wanderjahre verbrachte, gebe es gar das „Hollywoodspray“. Damit werden frische Früchte besprüht, sie schmecken dann wie aus Dosen. „Geht’s noch? Wir haben im ‚first floor‘ noch nicht einmal eine Tiefkühltruhe.“ Zur Hausmarke hat er dort ein Wasser aus Rheinsberg gemacht – aus einem kleinen Betrieb. Weil’s ihm schmeckt und weil es aus der Nähe Berlins kommt. „Beim Wasser fällt den Leuten die CO2-Bilanz ein, nicht bei der Jakobsmuschel. Die sind aber auch nicht aus der Spree.“

Vierzig verschiedene Wässer hat Jerk Riese für die Wasserkarte des Sternerestaurants zusammengestellt. Obwohl das meiste Wasser aus europäischen Quellen kommt, ist fürs Exotische genug Raum. Dazu zählt auch eine Vollmondabfüllung. Je nach Gesteinsschicht, durch die das Wasser fließt, reichert es sich mit Mineralien an. Weil die Böden nicht gleich sind, schmecken die Wässer verschieden.

Riese ist Wassersommelier – er findet die Bezeichnung aufgesetzt. Sein Kollege, der Weinsommelier, kennt sich mit über tausend Weinen aus, er nur mit vierzig Wässern. Allerdings spielt Wasser, verglichen mit Wein, in der minimalistischen Geschmacksetage. Rieses Können: Er muss das Sinnliche nicht am vollen Bouquet, sondern am neutralen Geschmack erspüren. Beim Wasserschmecken geht die Konzentration nach innen. Es ist wie Stille hören, Dunkelheit sehen, Luft fühlen.

Weil Riese mit einer in Sachen Wasser mehrheitlichen ignoranten Gesellschaft konfrontiert ist, in der „Wasser Wasser ist“, leistet er Überzeugungsarbeit. Zum Verkosten tischt er Cloud juice auf, mineralstoffarmes Regenwasser aus Tasmanien, das den Gaumen pelzig macht, und das sauerstoffreiche Iskilde aus Dänemark, das neutralisiert. Kontrapunkt dazu: das stark mineralische Staatlich Fachingen. In der Reihenfolge genossen schmeckt Letzteres salzig.

Riese kommt aus einem sozialdemokratischen Haus. Seine Mutter war Abgeordnete in Schleswig-Holstein. Björn Engholm saß ab und zu am Familientisch der Rieses. „Das hat mich beeindruckt“, sagt er. Eine andere Folge der SPD-Berührung: Riese ist klar, dass etwas nicht stimmt, wenn zwei Milliarden Menschen nicht an sauberes Trinkwasser kommen, aber Mineralwasser zu einem Luxus wird, für den Reiche – so zum Spaß – horrende Preise bezahlen. Deshalb unterstützt er Viva con Aqua, das Brunnenbauprojekt des FC St. Pauli. Auch wenn es, was Wasser angeht, unmöglich scheint, dass sich sein Motto „Es gibt keine besseren und schlechteren Gäste“ weltweit je durchsetzt.

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