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Kinder der Illuminaten

Aus Angst vor der Erhöhung der Mehrwertsteuer im nächsten Jahr kaufen deutsche Konsumenten die Regale leer. Anlass zu dieser Angst gibt es keinen – dafür aber kongeniale Werbekampagnen

VON DANIEL MÜLLER

Zahlenmystik hat eine lange Tradition. Ob es die 666 als biblische Zahl des Antichristen oder die 23 der Illuminaten ist – Zahlen übten auf die Menschheit schon immer eine Faszination aus. In Deutschland ist gerade die 19 die allesbestimmende Zahl.

Ab dem 1. 1. 2007 wird die Mehrwertsteuer von bislang 16 Prozent um drei Punkte auf 19 Prozent angehoben – ein Umstand, der im vorweihnachtlichen Geschäft derzeit dazu führt, das Deutsche konsumieren, als gäbe es kein Morgen. Wie die Wirtschaftswoche unter Berufung auf das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln berichtet, lasse der Konsumgenuss der Deutschen das Angebot an Computern, Flachbildschirmen und Notebooks immer knapper werden. Bei zahlreichen Konsumgütern erhielten die Einzelhändler derzeit weniger Ware als bestellt oder gar keine. Die Einzelhandelsketten verdienen also dieser Tage mit der Angst der Bevölkerung viel Geld.

So ist es nicht verwunderlich, dass die Branchenriesen Media Markt und Saturn in die Kerbe der allgemeinen Verunsicherung gegenüber der Mehrwertsteuererhöhung schlagen. Mit gleichermaßen simplen wie genialen Werbekampagnen locken sie ihre Kunden in die zusammengerechnet 376 Filialen. Das Geschwisterpärchen aus dem Hause Metro lockt mit „saubilligen“ Angeboten und trifft den Nerv der Verunsicherten. Während Media Markt sich des Rio-Reiser-Klassikers „König von Deutschland“ bedient und den Text auf „sau, sau, sau saubillig – und noch viel meeehr“ umdichtet und damit verballhornt, fährt Saturn weiterhin die sensationell erfolgreiche „Geiz ist geil“-Kampagne der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt.

Jede Woche feiert der Multimediamarkt die „19 geilsten Angebote der Woche“ und instrumentalisiert so die etwas obskur anmutende Hysterie in der deutschen Gesellschaft. Aus der Abteilung Unternehmenskommunikation der Saturn-Zentrale in Ingolstadt heißt es dazu auf taz-Anfrage: „Die aktuelle Saturn-Kampagne greift mit der Mehrwertsteuer zwar bewusst ein unangenehm besetztes Thema auf und wandelt dieses durch attraktive Angebote in eine für unsere Kunden positive Botschaft um, ein Spiel mit etwaigen Ängsten innerhalb der Bevölkerung liegt uns jedoch absolut fern.“

Sicherlich bedeutet die Erhöhung zusätzliche Ausgaben – rein rechnerisch zahlen die Verbraucher für Produkte und Dienstleistungen 2,59 Prozent mehr – jedoch bedeutet dies nicht, dass zu Jahresanfang jedes Preisschild umetikettiert wird. Gerade bei den niedrigen Schwellenpreisen, bei denen zum Beispiel von 0,99 Euro auf 1,02 Euro oder 9,99 Euro auf 10,26 Euro erhöht werden müsste, ist damit nicht zu rechnen. Vielmehr kann man davon ausgehen, dass sich die Anhebung bereits schleichend vollzieht oder sich in vielen Fällen über Menge und Qualität bemerkbar machen wird.

Es ist also ein spannendes massenpsychologisches Phänomen, das sich hierzulande ereignet. Einer Studie des Münchener Marktforschungsunternehmens eCircle zum Weihnachtskonsumverhalten der Deutschen 2006 zufolge beeinflusst die kommende Mehrwertsteuererhöhung immerhin 22 Prozent der Befragten, wichtige Anschaffungen in dieses Jahr vorzuverlegen. Vor allem Haushaltsgeräte und Unterhaltungselektronik – beides Hauptsparten von Media Markt und Saturn – sind neben Möbeln und Bekleidung die Käufe, die noch in diesem Jahr getätigt werden sollen. So ist es nicht verwunderlich, dass in der Liste der Geschäfte, in denen die Teilnehmer der Studie ihre Weihnachtseinkäufe tätigen werden, die rote Tochter des Metrokonzerns auf Platz eins und die blaue auf Platz acht steht.

In gewisser Weise ist dieses Phänomen vergleichbar mit dem massenpsychologischen und ebenfalls zahlenmystischen Phänomen schlechthin der jüngeren Geschichte: Y2K (Year 2 Kilo). 1999 war im Zuge der Rechner-Umstellung im Vorfeld befürchtet worden, dass aufgrund der zweistelligen Jahreszahl „00“, die sowohl das Jahr 1900 als auch das Jahr 2000 bezeichnet, weltweit die Computernetzwerke zusammenbrechen und Hauptrechner in Banken, Kraftwerken oder Verwaltungen abstürzen. Y2K löste Katastrophenszenarien bar jeder Vernunft aus – im Kleinen spiegelt sich das in der Hamsterkaufmentalität der Deutschen.

„Deutschland hat Angst vor der 19“ behauptet Saturn – und scheint Recht zu behalten. Aber vielleicht ist der Konzern ja auch nur der Ingolstädter Tradition als Geburtsstätte moderner Zahlenmythen verpflichtet: Schließlich wurde dort der Illuminatenorden gegründet.

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