: Interessante Öffnungen
CHINA In den Uferhallen Wedding wird in der Ausstellung „Die 8 der Wege“ eine Szene aus Peking vorgestellt, die sich der globalisierten Kunstwelt unkonventionell nähert
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Hat der Mann da gerade Schlangen gekackt? Sie winden sich glänzend um die Füße eines in Hockstellung zusammengekrümmten Nackten, der in Chen Xiaoyns Foto „You cannot leave“ mit großer Konzentration auf diese Kreaturen blickt. Der Ekel und die Furcht, die die Tiere beim Bildbetrachter womöglich auslösen, sind ihm fremd.
Chen Xiaoyn ist einer von über 20, hierzulande fast unbekannten Künstlern aus Peking, die man in der großartigen Ausstellung „Die 8 der Wege“ in der Uferhalle im Wedding kennenlernen kann. Seine inszenierten Hochglanzfotografien wimmeln von seltsamen Begebenheiten, die man zwar nicht ganz zu entschlüsseln vermag, die aber dennoch als Protokoll außer Kontrolle geratener Dinge berühren. Ein Mann steht schreiend – es ist Nacht, er ist angestrahlt – vor einem Schlammloch und ist mit Fröschen behangen. Ein anderer ist in der Bewegung des Kraulens zwar am Ufer angekommen, aber zu erschöpft, das Gesicht aus dem Wasser zu heben. Ein Arm hält ein Beil hoch – zur Abwehr von Haien? Feinden hinter der Kaimauer? Mit Übertreibung, Absurdität und Zuspitzung bringt Chen Xiaoyun ein Moment von Witz in Szenarien der Verzweiflung. Agier es aus, was dich bedrängt!
Zwischen Performance, Inszenierung, Fotografie und Video bewegen sich viele der Künstler. In „Untitled (The dancing Partner)“ von Liu Chang nimmt man erst nur die gigantische, tosende Autobahnlandschaft von Peking wahr, bis man ein langsam nebeneinanderfahrendes Paar zweier identischer Autos entdeckt, die sich riskant entschleunigt bewegen. In „looking, looking, looking for …“ der Videokünstlerin Kan Xuan sieht man in Großaufnahme eine Spinne über einen menschlichen Leib laufen, mit Interesse für alle Öffnungen, begleitet von einem zärtlich gesungenen Kinderlied – eine ungewohnte Symbiose von Mensch und Tier.
Was oft bei der großzügigen Präsentation in der Uferhalle ins Auge springt, ist der Humor, mit dem das Leben als Künstler und die Bedeutung des Systems Kunst reflektiert werden. Das passiert zum Beispiel bei Li Ran, der Plaketten mit Inschriften in Chinesisch und Englisch herstellt, die etwas naiv Konzepte formulieren, mit Kunst schnell zu Geld und Ruhm zu kommen. In einem Film mit expressionistischen, schwarzweißen Bildern und sehr dramatischer Musik stellt er die Biografie eines Künstlers aus Tokio nach, der sich wie ein europäischer Maler des 19. Jahrhunderts inszeniert. Beide Beiträge vermitteln sehr gut das Staunen über die schnell gewachsenen Kunstszene Chinas und das Gefühl, sich mit dem Einstellen auf das Betriebssystem Kunst und dessen Bild von Moderne immer etwas außerhalb der eigenen Tradition zu bewegen. Ironisch verhandelt Li Ran den Eifer, mit dem adaptiert wird.
Welchen Mehrwert die Kunst denn noch über ihren Marktwert hinaus haben kann, beschäftigt die Künstlerin Guan Xiao. Ihr Video „David“ reflektiert die Abnutzung berühmter Werke der Kunstgeschichte in der touristischen Vermarktung. Einerseits macht die alltägliche Überschreibung des Originals, hier der David von Michelangelo, blind für die historische Bedeutung, andererseits erzeugt die Kommerzialisierung eine eigene Kultur.
Es ist die große Offenheit gegenüber dem, was der Kunst in einer globalisierten Welt widerfährt, die diese Ausstellung auszeichnet. Nur weil diese Künstler aus China kommen, viele sogar auch aus einem Viertel Pekings, das offiziell als Kulturstandort gilt, beschränkt sich ihr Blick nicht auf China.
An dieser Akzentsetzung sieht man vielleicht, dass zwei Berliner Künstler, Thomas Eller und Andreas Schmidt, die Ausstellung kuratiert haben, zusammen mit Guo Xiayan, Kuratorin und Kunstkritikerin aus Peking. Sie fragten nicht zuerst, „wo sieht man die Unfreiheit Chinas“, womit der Blick auf chinesische Kultur oft einschränkt wird. Das trug dem Unternehmen Kritik ein, zumal zur Eröffnung der chinesische Botschafter Shi Mingde sprach.
Natürlich bilden Willkür, Respektlosigkeit und Bedrängnis, die Ai Weiwei durch die Behörden seines Heimatlandes wiederfährt, den Hintergrund für das Vermissen einer Kritik an China in der Ausstellung. Gleichwohl macht, alles am Maßstab von Ai Weiwei zu messen, blind für andere Qualitäten der Kunst, die hier zu sehen ist. Ai Weiwei hält das Kapitel Kunst aus China in der medialen Aufmerksamkeit besetzt, das verengt den Blick. Es gibt in der Schau einen Mann, der auf dem Gesicht liegt, auf einer Bodenplatte. Er ist, man erkennt es nicht gleich, eine lebensechte Nachbildung, die He Xianyu „The Death of Marat“ benannt hat. War es ein Unfall, ein Zusammenbruch, der ihn so platt gemacht hat, oder ist es eine panische Geste der Unterwerfung? Schwer zu entscheiden. Tatsächlich ist Ai Weiwei in dieser Skulptur porträtiert und somit doch anwesend als Bezugsgröße, als Pate, als Leidender.
■ Bis 13. Juli Uferhallen; Katalog 24,95 Euro
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