piwik no script img

Ihr kennt nur seine Lieder

HIT-REKORDER Was er produziert hat, liegt bei allen DJs im Plattenkoffer: Und doch kennt kaum jemand seinen Namen: Nosie Katzmann. Einige seiner Klassiker hat er jetzt mit der Akustikgitarre neu aufgenommen

Als der sogenannte Euro-Dance die Discotheken von Ibiza bis Miami erobert, ist Katzmann mittendrin

VON THOMAS WINKLER

Der Rekorder ist uralt. So alt, dass er noch Kassetten abspielen kann. Wenn auch mittlerweile nicht immer sonderlich überzeugend. Aber er ist eben ein magisches Gerät. Er ist: der „Hit-Rekorder“. So nennt ihn Nosie Katzmann, er muss es wissen. Denn von allen seinen Hits hat er erst einmal Skizzen mit der akustischen Gitarre aufgenommen – nur auf dem ominösen Rekorder.

Gut, zugegeben, nicht alle. Der Hit-Rekorder ist schon der zweite seiner Art. Sein Vorgänger gab dann doch irgendwann den Geist auf. Bis dahin hatte Katzmann die Play- und die Record-Taste allerdings nur noch mit Streichhölzern und Tesafilm in der nötigen Position fixiert bekommen. Als auch das nicht mehr half, musste der Neue ran. Hit-Rekorder II übernahm die Aufgaben von Hit-Rekorder I: Nosie Katzmann schrieb weiter Hits „wie am Fließband“.

43 sind es mittlerweile, der Autor zählt da genau mit. 43 Songs, die es zu einer Notierung zumindest unter den ersten Einhundert der Verkaufscharts gebracht haben. Das sind weniger, als Dieter Bohlen schaffte. Aber mehr als vieler Songschreiber, deren Namen bekannter sind als der von Nosie Katzmann.

Dafür kann Katzmann, im Gegensatz zu Dieter Bohlen, an diesem eher trüben Tag zur Mittagszeit im Schwarzen Café sitzen, ohne erkannt zu werden. Niemand würde vermuten, dass hier gerade einer der erfolgreichsten Produzenten der deutschen Popgeschichte Grünkernbuletten isst. Er kann, seit er in Potsdam wohnt, gemütlich nach Berlin fahren und durch die Innenstadt flanieren. Nein, niemand kennt Nosie Katzmann.

Von Darmstadt aus weltweit agiert

Das liegt daran, dass Katzmann lange Jahre ausschließlich im Hintergrund agierte als kreative Kraft hinter Culture Beat, Captain Hollywod, Jam & Spoon und einem Dutzend weiterer Namen aus der Dance-Szene. Er betrieb einen Komplex mit vier Studios und acht Mitarbeitern in seiner Heimatstadt Darmstadt, in dem DJ-Futter am Fließband hergestellt wurde, arbeitete als Auftragsproduzent und Autor für Scooter und DJ Bobo, Yvonne Catterfeld oder Samantha Fox. Von ihm produzierte Maxis befinden sich in den Plattenkisten aller DJs, die regelmäßig eine Horde vergnügungswilliger Urlauber in Fahrt bringen müssen, und seine Songs liefen in amerikanischen Serien wie „Beverly Hills, 90210“ oder „OC, California“. Nosie Katzmann hatte eine Nase für das, was die Leute hören wollen, er hatte eine Nase für Hits. Die goldenen Schallplatten hat er sich dann irgendwann nicht mehr abgeholt, keine Zeit.

Unter seinem eigenen Namen dagegen veröffentlichte Katzmann zum ersten Mal vor zwei Jahren. Aber dann richtig: Zuerst kam mit „Songbook 1“ die erste Folge einer umfassenden Werkschau auf den Markt, kurz darauf gefolgt von „Greatest Hits 1“. Nun ist kürzlich „Greatest Hits 2“ erschienen und der Witz funktioniert auch noch beim zweiten Mal: Da bringt einer, den keiner kennt, eine Best-of-Sammlung heraus mit lauter neuen Aufnahmen, die es vorher so noch gar nicht gab. Denn zwar waren all die Songs tatsächlich Hits, aber eben für andere Interpreten. Katzmann hat sie damals geschrieben und nun neu eingespielt: Aus Dancefloor-Krachern, die Freiluft-Discos auf den Balearen zu füllen pflegten, ist nun plötzlich solider Singer-Songwriter-Rock geworden zwischen Country und Folk, mit Mundharmonika, Gitarre und Schlagzeug.

Das Erstaunliche: So verschieden die Umsetzung auch sein mag, die Songs funktionieren immer. Mit der „Greatest Hits“-Reihe beweist Katzmann, dass ein guter Song ein guter Song bleibt, in jedem Genre. „Ich war immer für alles offen“, sagt er, „ich finde ‚Anita‘ von Costa Cordalis genauso großartig wie ‚Black Dog‘ von Led Zeppelin, Prince war eine Offenbarung, aber auch Curtis Mayfield, Grandmaster Flash, Brian Eno, John Cale. Und ‚Ein Loch ist im Eimer‘ ist einer meiner Lieblingssongs.“ Er hat schon mit Metal-Bands gearbeitet und er liebt klassische Musik. Es gibt nur wenig, was er nicht hören mag: Salsa und Opernarien.

Seine Karriere begann im Rhein-Main-Gebiet, aber seinen Rockbands blieb der Durchbruch versagt. Damals, in den achtziger Jahren, gründete Katzmann manchmal am Vormittag eine Band und schrieb am Nachmittag dann das gesamte Programm für den Auftritt am Abend.

Eher durch Zufall landete er in der Discothek: Einer seiner Songs wird gecovert und avanciert zum Club-Hit. Katzmann entdeckt die so ganz andere Szene und genießt die dort herrschende Aufbruchstimmung. Als der sogenannte Euro-Dance in den neunziger Jahren die Discotheken von Ibiza bis Miami erobert, ist Katzmann mittendrin. In seinem Studio werden die Tanzbodenknüller wie an der Werkbank produziert, zwischen zwei Meetings schreibt der Chef schnell den Text und die Hookline, schläft jede Nacht nur vier Stunden und verzichtet auf ein Sozialleben: „Der Erfolg hat mich fremdbestimmt. Ich hatte eigentlich einen Traumjob, aber ich habe ihn nicht mehr mit Freude gemacht.“

Nach dem Burn-out

Mit dem Traumjob war 1996 erst mal Schluss. Katzmann diagnostizierte sich selbst: „Burn-out, sehr konkret“. Und verordnete sich eine Diät: „Nicht mehr acht Hits pro Jahr, sondern nur noch einer, höchstens zwei.“ Er verkauft seine Studios und tritt seitdem kürzer, gönnt sich Ruhepausen, den wöchentlichen Backgammon-Abend mit dem alten Freund, die neue Wohnung in Potsdam, das späte Frühstück im Schwarzen Café.

Notfalls könnte er von den Tantiemen seiner alten Hits leben. „Jedenfalls, wenn ich mir nicht jeden Tag einen Maybach kaufe“, grinst er. Aber das Arbeitstier in Katzmann ist noch am Leben. Aktuell baut er gerade zwei junge Acts auf, die Berliner Electro-Rockband Bionic Ghost Kids und die Darmstädter Pop-Sängerin Anne Aalrust. Er hat ein paar Songs für bekannte Namen geschrieben, aber davon ist noch nichts spruchreif. Und er arbeitet an den Folgen vier und fünf seiner Reihe „Songbook“, auf der er perspektivisch alle Lieder herausbringen will, die er jemals geschrieben hat. „Wenn ich zwei Alben pro Jahr schaffe“, hat er ausgerechnet, „dann bin ich 99, wenn ich fertig bin.“

Wann das sein wird, ist allerdings nicht ganz klar. Erstens weil Katzmann selbst nicht so genau weiß, wie viele Songs er in seinem Leben denn nun geschrieben hat. Er schätzt, es müssen so um die 2.000 gewesen sein. Und zweitens, weil er nicht verraten mag, wie alt er ist.

Sonst mag ihm alles Divenhafte fremd sein, aber diese kleine Allüre leistet er sich dann doch. Es ist eine von genau zweien. Auch den Vornamen, der in seiner Geburtsurkunde steht, hält Nosie Katzmann geheim. Dafür erzählt er die Geschichte, wie er zu seinem Spitznamen kam. Sie ist nicht allzu spektakulär und hat, wenig überraschend, etwas mit seiner Nase zu tun.

■ Nosie Katzmann: „Greatest Hits 2“ (GIM/Intergroove)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen