: „Wir sind Täter und Opfer“
INTERVIEW MORITZ SCHRÖDER
taz: Herr Plöger, Sie moderieren das Wetter unter anderem bei der ARD und beim WDR-Fernsehen und sind beim WDR2-Radio und anderen Sendern zu hören. Wie oft müssen Sie wöchentlich ins Flugzeug steigen?
Sven Plöger: Das ist der große Trick. Wir pendeln bei Meteomedia gar nicht, sondern stehen in der Schweiz live im Studio. Das funktioniert sowohl bei der ARD als auch beim WDR, trotz 600 Kilometern Entfernung. In der Schweiz habe ich eine kleine Wohnung in einem Dorf und fahre etwa dreieinhalb Kilometer ins Studio. Weil ich für die Moderation glücklicherweise nicht fliegen muss, bin ich auch nicht verantwortlich für den Dreck, den das Flugzeug in die Atmosphäre pustet. Da ich aber häufig Vorträge überall in Deutschland halte, muss ich viel reisen, manchmal eben auch mit dem Flugzeug.
Dann pusten Sie ja doch jede Menge CO2 in die Atmosphäre. Wie bewahrt sich da der Meteorologe sein reines Gewissen?
Alle Menschen verursachen auf ihren Reisen Treibhausgase. Deshalb versuche ich, meine Termine möglichst geschickt zu verknüpfen. Man sollte außerdem berechnen, wie viel Sprit pro Passagier verbraucht wird. Bei meinem Flug heute morgen aus Zürich waren das etwa drei Liter auf hundert Kilometern. Hätte ich mich alleine ins Auto gesetzt, wären es mehr gewesen.
Solche Rechnungen stellen sicher nicht viele auf. Sollten sich auch Ihre Zuschauer mehr Gedanken über das Klima machen?
Jeder sollte sich mehr Gedanken darüber machen. Aber das kann man nicht mit erhobenem Zeigefinger vermitteln. Wir Meteorologen und die Politiker müssen das Thema bekannter machen. Wenn ich in einem Wetterbericht etwa über große Wärme spreche, dann tue ich das nicht immer mit einem lachenden Gesicht. Nur weil man sich hier im Sommer an den Baggersee legen kann, ist ja eine Dürreperiode in anderen Regionen nicht gleich toll. Also muss sicher auch mal im ernsten Ton gesagt werden, dass die Menschen mit ihrem Verhalten zum Teil selbst für die Dürren verantwortlich sind.
Sie bevorzugen also den subtil erhobenen Zeigefinger?
Nein, der erhobene Zeigefinger ist grundsätzlich nicht gut, auch wenn wir ihn in Deutschland oft so sehr lieben. Wir sollten den Finger lieber etwas runternehmen und klar sagen: Klimawandel ist ein ernstes und heikles Thema, das uns noch in diesem Jahrhundert viel mehr beschäftigen wird, als wir das heute denken. Allerdings nehmen die Zuschauer den Wetterbericht allgemein sehr unterschiedlich auf. Es gibt sehr aufmerksame, wissbegierige Menschen. Dann gibt es den Typ, den ich mir in einem gerippten Unterhemd und Bierflasche in der Hand vorstelle, der gerade auf seiner Couch einnickt und dem die Vorhersage viel zu schnell geht.
Sie versuchen die Menschen ja zu ermahnen, indem Sie Ihrem deutschen Publikum Wetterextreme im Ausland erklären. Sind Sie damit erfolgreich?
Das Bewusstsein der Menschen ist gestiegen, dass sie für das Wetter der Zukunft verantwortlich sind. Das sieht man ja auch am Klimagipfel in Nairobi, der vor kurzem rund 6.000 Delegierte an einen Tisch brachte. Ich bin froh, dass der Klimawandel dadurch immer mehr als globales Ereignis wahrgenommen wird. Politik und Wirtschaft müssen sich aber noch stärker engagieren. Der nächste Schritt muss jetzt sein, das Thema besser zu vermitteln.
Wie werden die Menschen im Westen Deutschlands, also etwa hier in Nordrhein-Westfalen, den Klimawandel zu spüren bekommen?
Das ist schwer zu sagen. Der Klimawandel findet ja jetzt schon statt, allerdings so langsam, dass die Menschen den Wandel schlecht nachvollziehen können. Jedenfalls wird es hier in Zukunft zunächst wärmer. Wenn die Luft wärmer ist, kann sie mehr Wasserdampf aufnehmen. Dadurch kann auch mehr Wasser herausfallen. So werden starke Ereignisse wie Hagelschauer oder Gewitter heftiger und Tornados häufiger, mit entsprechender Zerstörung. So entsteht unheimlicher Schaden, etwa wenn in Düsseldorf durch einen Hagelschauer alle Autos lustige Beulen bekommen, oder die Dächer abgedeckt werden. Ich erinnere mich noch an die Bilder aus Nordrhein-Westfalen vor einem Jahr, wo es kräftige Regengüsse und teilweise Überschwemmungen gab. Während es in den nächsten Jahrzehnten weltweit wärmer wird, kann sich das Klima regional durchaus ganz anders entwickeln. Wir haben heute durch den Golfstrom noch recht hohe Temperaturen in Deutschland. Wenn aber mit der globalen Erwärmung das Polareis schmilzt, könnte das zusätzliche Süßwasser den Golfstrom abschwächen. Das würde bedeuten, dass die Temperaturen bei uns nach dem ersten Anstieg stark sinken. Dann hätten wir den klassischen Winter von November bis April. Und der hätte ganz oft bis zu minus 25 Grad.
Wie viel Verantwortung tragen die Menschen für diese Entwicklung?
Die Klimaerwärmung steht in Verbindung mit der Menge von Kohlendioxid. Die nimmt massiv durch uns zu. Wir Menschen produzieren weltweit im Jahr rund 25 Milliarden Tonnen CO2. Das finde ich viel. Da die extremen Wetterereignisse durch dieses Verhalten häufiger werden, sind wir Menschen Täter und Opfer zugleich.
Trotzdem hat die Politik noch keine langfristigen Lösungen für die Probleme gefunden, trotz Kyoto-Protokoll. Wie erklären Sie sich das?
Ich habe die Befürchtung, dass der Mensch zu kurzsichtig handelt. Vielleicht wird er größere Deiche bauen, um sich vor dem steigenden Meeresspiegel zu schützen. Nur das grundlegende Problem wird so nicht gelöst. Ich bin aber nicht jemand, der in dieser Diskussion nur schwarz sieht. Dann könnte ich mich ja gleich in den Rhein stürzen. Es gibt Möglichkeiten, langfristig etwas zu verändern, zum Beispiel die Emissionszertifikate...
...die in Deutschland immer noch umsonst vom Staat vergeben werden.
Ja, das sollte geändert werden. Wenn die Kraftwerksbetreiber Geld für ihren angerichteten Klimaschaden zahlen müssten, würden sie aus reinem Egoismus sparsamer sein und zügiger neue Technologien entwickeln.
Trägt das Land NRW hier eine besondere Verantwortung? Schließlich wird hier deutschlandweit die größte Menge CO2 produziert.
NRW muss auf jeden Fall Vorreiter bei den klimaschonenden Technologien sein. Das Land ist in der Pflicht, seine Emissionen massiv zu reduzieren.
Wie entwickelt sich eigentlich das Klima in Ihrem Meteorologenteam?
Die Stimmung im Team ist sehr gut. Mein Chef, Jörg Kachelmann, lässt mich in Ruhe und selbstständig arbeiten. Das ist positiv und zeigt das Vertrauen in sein Team. Deshalb gibt es in der Firma ein stressfreies Klima.
Exklusiv-Verträge mit der ARD, über 500 Wetterstationen in Deutschland: Hat bei Ihrem Chef schon das Kartellamt an die Tür geklopft?
Das ist doch kein Kartell. So muss die Wirtschaft funktionieren. Durch unser Engagement, durch neue Wetterstationen und innovative Ideen sind die Prognosen besser geworden.
Wie haben die Innovationen bei Meteomedia in den vergangenen zehn Jahren den Moderationsstil verändert?
Jörg Kachelmann hat mit seiner umgangssprachlichen Art sehr viel verändert. Daher sagen wir heute nicht mehr: „Es zieht aus Nordwesten ein Niederschlagsgebiet auf uns zu“, sondern drücken das Phänomen einfach so aus, wie es auch jeder Zuschauer sagen würde.
Wie erklärt man eine „Regenfront“ nach Kachelmann-Art?
„Es fängt an zu schiffen und drum wird man patschnass.“ Diese umgangssprachliche Ausdrucksweise habe ich schon genossen, als ich noch gar nicht bei Meteomedia war, und sie mir auch ein Stück weit angeeignet. Dennoch habe ich meinen eigenen Stil und Humor beim Moderieren. Wir tauschen uns auch gerne mit unseren Kollegen im Ausland aus. Es ist schon interessant, wie locker zum Beispiel die US-Amerikaner ihre Informationen verkaufen.
Ist heute beim Wetter mehr Entertainment im Spiel?
Die ganz große Entertainmentphase ist schon wieder durch. Die sachliche Information rückt wieder mehr in den Vordergrund. Wir dürfen aber auch mal lachen und Witze machen. Ich würde es eher Infotainment nennen.
Wie funktioniert Ihr Spagat zwischen Radio und Fernsehen?
Beides empfinde ich heute als sehr entspannt, nach inzwischen 8.000 Wettersendungen im Kasten. Auch wenn das Fernsehen mein Schwerpunkt ist, moderiere ich ebenso gern im Radio, weil ich dort einen menschlichen Gesprächspartner habe. Im Fernsehen habe ich den nur bei der Aktuellen Stunde im WDR, darum ist sie auch meine Lieblingssendung. Sonst stelle ich mir einfach vor, die Kamera sei ein Mensch, zum Beispiel meine Frau.
Von wo aus würden Sie am liebsten mal eine Wettersendung moderieren.
Ganz klar, aus einem Flugzeug, das sich im Auge eines Hurrikans befindet. Deshalb trage ich immer eine Kotztüte bei mir, falls ich mal bei einem solchen Flug dabei bin und mir übel wird.
Wo ich gerade einen Meteorologen zur Hand habe. Wie wird der Winter an Rhein und Ruhr?
(wirft eine Münze) Er wird kalt. Nein, im Ernst: Es gilt das, was ich gebetsmühlenartig in meinen Sendungen wiederhole: Glaubhafte Langzeitprognosen sind nicht möglich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen