: Kuchen, Köfte, Klassenkampf
LETTER Im Mehringhof fanden zum zwölften Mal die Linken Buchtage statt. Sie waren sehr gut besucht – die Belletristik kam allerdings zu kurz
VON JUDITH POPPE
Kein Hinterhof Berlins ist für die Linken Buchtage besser geeignet als der Mehringhof. Zum zwölften Mal fanden diese am vergangenen Wochenende in dieser Oase linker Literatur statt. Verlage wie der Verbrecher Verlag und Assoziation A sind hier genauso beheimatet wie kleine Druckereien, und am Ende des Hofes führen ein paar Stufen an einer efeuberankten Mauer hinunter – direkt in den Buchladen „Schwarze Risse“.
Bücher stapeln sich auf den Ständen im Hof und in den Ausstellungsräumen – Graphic Novels, Briefwechsel, Sachbücher, Belletristik. Es gibt Kuchen und Köfte. Auf dem Podium wird Sekt gereicht. „Gibt’s was zu feiern?“, fragt einer im Publikum.
Die Frage verhallt unbeantwortet, ist aber berechtigt. Wie ist es derzeit bestellt um „die“ Linke und ihre Bücher? Man könnte meinen, es sei ein deprimierendes Unterfangen, heute einen Verlag zu betreiben. Jörg Sundermeier, Verleger des Verbrecher Verlags, sitzt an seinem Bücherstand, schüttelt den Kopf und grinst. „Nein, das ist eigentlich hervorragend. Wir werden zwar nur in sehr kleinen Schritten größer“, sagt er – die großen Verlage aber brächen zurzeit eher ein.
Er zeigt auf die Verlagsstände im Raum: „Linke Literatur zeichnet eben aus, dass sie zum allergrößten Teil – manchmal unter extremen finanziellen Qualen – mit einer größeren Liebe gemacht wird als Bücher in anderen, gängigeren Verlagen. Den Unterschied merken die LeserInnen irgendwann.“ Die VeranstalterInnen der Linken Buchtage wollen diesen kleinen Verlagen ein Forum bieten, gleichzeitig bildet das Programm ab, was derzeit in linken Debatten diskutiert wird.
Pop und Porno
Von Freitagabend bis Sonntagmittag sprechen BesucherInnen und Vortragende über Pop und Porno, Streiks im Ruhrgebiet, die Frage, wie man Berlin reclaimen kann, und was es bedeutet, als schwules Ehepaar ein Kind in Pflege zu nehmen. „In thematischer Hinsicht ist außerdem auffällig, dass sich extrem viele Bücher in diesem Jahr mit Erinnerung und Geschichtserzählung beschäftigen“, sagt Christian Walter, Mitorganisator der Buchtage. „Gerade bei den Graphic Novels ist das der Fall – es scheint da eine jüngere Generation zu geben, die sich auf die Spurensuche nach der Großelterngeneration macht.“
Die Buchtage sind in diesem Jahr extrem gut besucht. Bei der Veranstaltung zu Care-Arbeit – also etwa zu Betreuungs-, Pfle- ge-, Sorge- und Beziehungsarbeit – hat man Schwierigkeiten, einen Platz zu ergattern. Die Diskussion um Care hat aber in jüngster Zeit auch stark an Fahrt aufgenommen. Andere Themen, wie etwa ArbeiterInnenwiderstand in China, ziehen nur ein paar vereinzelte Gestalten in die Seminarräume. Einige Stunden später ist derselbe Raum dann wieder zum Bersten gefüllt: es geht um Pornografie.
Erstaunlich ist allerdings, wie akademisch und inexplizit über Pornografie gesprochen werden kann – trotz des Buchtitels „Explizit!“. Überhaupt vermisst man ein wenig Offenheit für, wenn schon nicht experimentelle Formen, so doch wenigstens für solche jenseits des Frontalvortrags und jenseits akademisch gehaltener Podiumsdiskussionen. Nimmt man den Titel „Linke Buchtage“ ernst, so könnten die Tage die Möglichkeit bieten, die in Deutschland recht strikte Trennung zwischen künstlerischer und linker Szene aufzuweichen. Davon ist man allerdings weit entfernt.
Dies ist auch an der Rolle abzulesen, die die Belletristik spielt. Sieht man von einem Erich-Mühsam-Konzert und einer Lesung zu Christian Geisslers Roman „Wird Zeit, dass wir leben“ ab, so kommt Belletristik im Programm überhaupt nicht vor. „Viele Linke glauben, dass Belletristik ihnen wenig zu sagen hat, verglichen mit der Sachliteratur. Dabei hat sie doch viel größere Chancen. Sie kann nicht nur abbilden, was ist, sondern auch, was sein könnte“, meint Sundermeier.
Ein bisschen mehr Leidenschaft, ein bisschen mehr Alltagsbezug würde man sich tatsächlich an diesen Tagen wünschen. Allerdings: Dass es diesen Raum überhaupt gibt, in dem man interessante Flurgespräche führen und in liebevoll gestalteten Büchern blättern kann, ist durchaus ein Grund zum Feiern. Da darf man schon mal mit Sekt anstoßen.
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