: Die Kröten und Mäuse von London
In „Flutsch und weg“ von David Bowers und Sam Fell werden Knetfiguren durch den Computer geschickt
All das eklige Getier: die Mäuse, Ratten, Fliegen, Frösche, Kröten und Nacktschnecken werden hier zu Helden. In einer parallelen Unterwelt hat sich das Ungeziefer in der Kanalisation von London eine Miniaturausgabe der britischen Metropole gebaut, in der die Towerbridge, der Piccadilly-Circus, Big Ben und noch viele andere Sehenswürdigkeiten aus Abfall zusammengebastelt wurden. In diese Gossenwelt wird die snobistische Maus Roddy St. James vertrieben, die als Haustier eines Kindes im vornehmen Viertel Kensington ein luxuriöses Leben führte, bis die Punkratte Sid (!) sich in ihrem Revier breit machte und sie einfach in der Toilette herunterspülte. Der eingebildete Nager muss erst einige harte Lektionen lernen und Abenteuer bestehen, bis er mit der Hilfe der frechen Girliemaus Rita erkennt, dass er ein Rudeltier ist und nichts in einem einsamen Käfig verloren hat.
Die britischen Aardman- Studios wurden durch die Knetanimationsfilme von Nick Park wie „Wallace & Gromit“ oder „Chicken Run“ bekannt, und zusammen mit ihren amerikanischen Geschäftspartnern von DreamWorks Animations hätten sie natürlich gerne in jedem Jahr solch einen Oscar-prämierten Kassenerfolg. Weil Park und sein Team nun aber ausschließlich mit der zeitaufwendigen Stop-Motion-Technik arbeiteten, und für jedes einzelne Filmbild die Puppen um eine Winzigkeit weiterbewegen müssen, brauchen sie jeweils vier Jahre für einen Spielfilm. Park ist mit diesen Arbeitsbedingungen glücklich, die Geschäftsführer der Studios aber nicht, und so einigten sich Aardman und Hollywood auf einen Kompromiss. Die Figuren in „Flushed Away“ (so der Originaltitel) sind genau wie Parks Männer, Hunde, Pinguine und Hühner aus einer Knetmasse gefertigt, aber animiert wurde der Film dann am Computer. So hat man einerseits die sehr körperlich und organisch wirkenden Figuren (die übrigens oft auch die für Nick Park typischen breiten Zahnreihen haben) und spart viel Zeit. Im direkten Vergleich wirkt der Film so etwas synthetischer und glatter als die Handarbeiten von Park, doch man ist schnell versöhnt durch den überbordenden Witz im Detail, mit dem die beiden Regisseure David Bowers und Sam Fell in ihrem Debütfilm versuchen, ihrem großen Vorbild Park gerecht zu werden. Die Anspielungen reichen dabei von Zitaten aus Filmen wie „African Queen“ und James Bond-Streifen bis zu Kafka und Marcel Marceau. Beim ersten Sehen kann man gar nicht alle Gags erkennen (inzwischen entwickelt sich da eine eigene Ästhetik, die Filme für den DVD-Markt attraktiv machen soll) und dennoch wirkt der Film nie überladen. Das Drehbuch ist voller Stürze in wässrige Tiefen, Verfolgungsjagden und Zweikämpfen, bei denen immer auch die körperlichen Möglichkeiten der einzelnen Tierarten bis ins Absurde zuEnde gedacht wurde.
Aber es gibt auch witzige kleine Einfälle wie das Fotoalbum der größenwahnsinnigen Schurkenkröte Toad, in dem deren idyllische Jugend als Lieblingstier des jungen (und schon ein wenig krötenhaften) Prinz Charles bebildert ist. Die Frösche sind natürlich Franzosen, haben einen komischen Akzent und essen gerne gut und lange – allerdings keine Froschschenkel, denn vor Kannibalismus schrecken die Filmemacher mit ihrem ansonsten erfreulich respektlosen Humor dann doch zurück. An „Flutsch und weg“ haben die Erwachsenen mehr Spaß als die Kinder, denn der Humor ist sehr trocken und britisch. Und wer kann noch ruhigen Gewissens eine Mausefalle aufstellen, nachdem er diesen Film gesehen hat? Wilfried Hippen
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