: „Priorität hat das Revier“
INTERVIEWBORIS R. ROSENKRANZ
taz: Grüß Gott, Herr Küppers, packen Sie schon die Koffer?
Hans-Georg Küppers: Nein. Es liegt noch so viel an, dass ich an München derzeit keinen Gedanken verschwende. Es ist ja auch noch etwas hin bis Juli 2007.
Dann werden Sie in München Kulturreferent. Was zieht Sie denn bitte nach Bayern? In Oberhausen geboren, in Mülheim gearbeitet, und in Bochum sind Sie bis 2014 gewählt. Keine Lust mehr aufs Revier?
Das hat nichts mit dem Revier zu tun. Ich habe das hier immer sehr gerne gemacht. Außerdem habe ich hier vielfältige Verbindungen und Netzwerke. Nicht nur im Beruflichen, auch privat. Aber irgendwann muss man eben auch mal springen und etwas Neues machen. Und ich würde sagen: München ist die Kulturmetropole schlechthin in der Bundesrepublik. Diese Stadt mitgestalten zu dürfen, ist eine spannende Aufgabe für die nächsten Jahre.
Aber Sie waren maßgeblich daran beteiligt, dass das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt Europas 2010 geworden ist. Nun gehen Sie, bevor es soweit ist. Komisch.
Sicher, das ist das weinende Auge. Weil ich nun die Projekte nicht mehr mit auf den Weg bringen kann. Umgekehrt bin ich aber natürlich stolz darauf, dass wir es geschafft haben bis zu diesem Punkt. Es war schwierig, 53 Städte und Gemeinden ohne Eifersüchteleien und Konkurrenzkampf zu vereinen. Dass ich das jetzt nicht mehr mit umsetzen kann, ist schade, aber 2011 hätte man mich nicht mehr gefragt, ob ich nach München kommen möchte.
Konkurrenzkampf, gutes Stichwort. Das Land möchte Peter Sellars zum künstlerischen Leiter der Kulturhauptstadt machen. Sie sind dagegen. Warum? Ist doch ein renommierter Theaterregisseur, der Sellars.
Es geht mir überhaupt nicht um Peter Sellars. Das ist ein Top-Mann. Aber es ist falsch, eine künstlerische Intendanz von außen einzufliegen. Das zeigt ja auch die Erfahrung: Wir haben es mit unseren eigenen Möglichkeiten und unserem eigenen Können geschafft, eine ganze Reihe von Städten aus dem Feld zu schlagen, die sich schon als Kulturhauptstadt Europas gesehen haben. Die Jury hat geguckt, was wir entwickelt haben, und hat genau das anerkannt. Wenn ich da höre, das Ruhrgebiet schmore in seinem eigenen Saft, sage ich: Das ist falsch! Das ist so der Standpunkt: Naja, jetzt müssen wir denen im Ruhrgebiet doch mal ein bisschen helfen, vernünftige internationale Kultur zu machen. Aber da sind wir schon sehr weit.
Schmoren im eigenen Saft? Das hat NRW-Kulturstaatssekretär Grosse-Brockhoff gesagt. Nimmt die Landesregierung zu viel Einfluss auf Ruhr 2010?
Die Landesregierung versucht sicherlich Einfluss zu nehmen. Das ist zunächst nicht verwerflich, denn sie gibt ja auch 12 Millionen Euro dazu. Aber Priorität hat das Revier. Also diejenigen, die diese Bewerbung gewonnen haben. Im Augenblick habe ich den Eindruck, dass die Landesregierung sich in eine Ecke gestellt hat, aus der es schwer ist herauszukommen, ohne das Gesicht zu verlieren. Aber vielleicht könnte man Leute wie Sellars etwa bei der Ruhrtriennale einbinden. Ohne den Gedanken der Kulturhauptstadt, der auf Eigenständigkeit ausgelegt ist, zu beschädigen.
Seit das Revier den Titel hat, mischt sich das Land aber schon mehr ein.
Früher haben wir über Ministerpräsident Steinbrück und Kulturminister Vesper bereits Unterstützung erfahren. Aber jetzt, wo es ans Eingemachte geht, ist deutlich zu merken, dass die Landesregierung mehr Einfluss nehmen will. Schwierig, wenn sich dabei die Fronten verhärten und es auf einen Machtkampf hinaus läuft. Der Nachteil ist vor allem, dass es nach außen so wirkt, als wäre die Einigkeit im Revier weg. Das ärgert mich. Der Konflikt mit dem Land tut uns allen nicht gut.
Wenn Sie von Einigkeit im Revier sprechen: Glauben Sie, die Region wächst weiter zusammen? Das Kirchturmdenken zwischen Bochum und Wattenscheid etwa überdauert schon Dekaden. Lässt sich das durch einen Titel wettmachen?
Wettmachen nicht. Aber ich glaube, dass Ruhr 2010 ein großes Stück dazu beitragen kann, dieses Kirchturmdenken zu überwinden. Weil wir zeigen können, dass wir vieles alleine nicht auf den Weg gebracht hätten. Zum Beispiel, dass die Bochumer Symphoniker den Mahler-Zyklus in Essen aufführen. Eine Stadt alleine hätte das nicht geschafft. Das wird sich weiter verfestigen. Andererseits sind Kirchtürme manchmal auch wichtig, weil sie gerade in Zeiten der Globalisierung eine Orientierung bieten.
Etliche Städte wollen noch schnell bis 2010 Projekte verwirklichen. Bochum baut beispielsweise ein Konzerthaus. Also noch eins zwischen Essen und Dortmund...
Jetzt muss ich das wieder aufklären: Wir bauen eine Spiel- und Probestätte für die Bochumer Symphoniker!
Ein Unterschied?
Ja, der große Unterschied ist, dass wir nicht beabsichtigen, Bamberg, London und New York einzuladen. Wir wollen ein Haus der Musik schaffen für unsere Symphoniker. Und wollen dort auch musikpädagogisch arbeiten, mit Schulen und Jugendlichen.
Klingt so, als hätten Sie das schon öfter erklären müssen.
Ja, ich muss das immer wieder erklären, weil die Frage ja auch berechtigt ist. Es wäre töricht, wenn wir dasselbe auf einer Strecke von knapp 40 Kilometern zwischen Essen und Dortmund noch mal realisieren würden.
Der Bochumer Lottounternehmer Faber will einige Millionen dazu steuern. Bekommt Bochum also nach dem „rewirpower-Stadion“ nun die „Faber-Spielstätte“?
Nein. Herr Faber hat eindeutig davon gesprochen, dass es sich um eine Spende handelt. Das ist kein Sponsoring, bei dem nachher jemand sein Logo drüber setzt. Faber gibt dieses Geld, ohne dass es eine Gegenleistung geben wird. Das finde ich imponierend.
Er wird nicht mitreden wollen?
Nein, mit Sicherheit nicht.
Bedingungen hat er doch schon gestellt. Zum Beispiel, wo das Haus gebaut werden soll.
Ja, das hat er gesagt. Und es sind auch gewisse Zeiträume gesetzt, bis wann die Stadt eine Entscheidung treffen muss. Aber das ist auch manchmal vielleicht ganz nützlich, wenn man ein bisschen unter Zeitdruck gesetzt wird. Zudem hatten wir auch schon Planungen für diesen Bauplatz in der Innenstadt, für den im Übrigen einiges spricht: die Belebung der Innenstadt, die Verkehrsanbindung, die Nähe zum Schauspielhaus. Ich persönlich hatte mich für den Platz an der Jahrhunderthalle eingesetzt, den ich für städteplanerisch zukunftsweisender halte. Aber zuweilen muss man auch pragmatisch sein, ehe es gar nichts gibt.
Sie sind ein Förderer der freien Theaterszene. Was hat die von der Kulturhauptstadt?
Ich bin sicher, dass die freie Szene davon erheblich profitieren wird. Indem sie auch städteübergreifend Projekte initiieren kann, die sie so sonst nicht schaffen würde. Würden freie Szene und soziokulturelle Zentren bei der Kulturhauptstadt abgehängt, wäre das fatal und kontraproduktiv. Kultur wird durch die Gesamtheit der Kultureinrichtungen gestaltet. Daher wird es auch Geld für die freie Szene geben.
Und was ist mit den kleinen Städten? Mit Hattingen oder Sprockhövel? Was haben die von Ruhr 2010?
Da haben wir noch eine offene Flanke, zugegeben. Viele kleine Städte von Wesel bis zum Ennepe-Ruhr-Kreis haben wir nicht eingebunden. Das muss noch passieren. Die Kulturhauptstadt geht nicht nur an der A40 lang.
Was muss noch passieren im Ruhrgebiet, damit man sich erhobenen Hauptes präsentieren kann? Was ist mit dem Nahverkehr? Da hakt es doch wohl auch noch.
Wichtig ist, dass sich die Kulturhauptstadt nicht nur auf die rein kulturellen Projekte beschränkt. Nahverkehr ist in der Tat ein Thema. Egal, wo man ankommt im Ruhrgebiet, sollte man sich informieren können, was in diesem Revier überhaupt läuft. Es muss also gemeinsame Marketingstrategien geben. Und ein Nahverkehrssystem, mit dem ich auch noch nachts um halb eins von Bochum nach Wesel komme. Das haben wir durch die Fußball-WM schon ein Stückchen auf den Weg gebracht. Unsere Gäste dürfen jedenfalls nicht den Eindruck bekommen, sie wären in der Provinz gelandet.
Was meinen Sie eigentlich damit, wenn Sie sagen, Sie seien sich Ihrer „künstlerische Bedeutungslosigkeit“ gewiss?
Ich bin weder ein begnadeter Maler noch Musiker, so dass ich sagen könnte: Ich kann die Kunst mit meinen Werken weiterentwickeln. Meine Aufgabe ist es, Räume zu öffnen, in denen sich Kunst und Kultur entwickeln können. Auch solche Projekte, die keinen ökonomischen Erfolg haben.
Nun sagen Sie uns noch rasch, wann München Kulturhauptstadt Europas wird.
München wird das nicht – weil München das ist. Das ist auch der Unterschied zum Revier. Wir sind eine Metropole im Werden. München ist von seiner ganzen Geschichte bereits eine Metropole.
Und braucht den Titel nicht?
Nein, wir brauchen den Titel hier, im Revier! Von außen wird noch das Vorurteil gepflegt, das sei hier eine Bergarbeiterregion. Natürlich sollte man sich nicht von der Geschichte lösen. Aber man sollte auch erkennen, dass dieses Revier gewaltige Fortschritte gemacht hat. Wir müssen es schaffen, dass dies auch von innen und außen so gesehen wird.
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