: Der Sound für ein unbeschwertes Lebensgefühl
JAZZ Gute Musik lässt sich auch perfekt mit einem Bade-Urlaub verbinden. Und eine rote Posaune gibt es auch noch dazu
■ Jazzbaltica: www.jazzbaltica.de
■ Open Jazz Stuttgart: www.jazzopen.com
■ Jazz in the Garden: www.jmberlin.de > Veranstaltungen > Kultursommer
■ Jazzfestival Kopenhagen: www.jazz.dk/en/copenhagen-jazz-festival-2014
■ Brandenburgische Sommerkonzerte: www.brandenburgische-sommerkonzerte.de
■ Jazzsommer Augsburg: www.augsburger-jazzsommer.de
VON MATTHIAS WEGNER
Einer der schönsten Jazzfilme ist ohne Frage „Jazz on a summer’s day“, der das renommierte amerikanische Newport Festival aus dem Jahr 1958 auf Rhode Island abbildet. Man sieht in dem Streifen nicht nur viele der großen Jazzlegenden der damaligen Zeit – zum Beispiel Thelonious Monk, Louis Armstrong und Dinah Washington. Man sieht auch immer wieder das lustige Publikum in minutenlangen Einstellungen. Unbekümmert spielende Kinder, Frauen mit merkwürdigen Hüten und weit aufgerissenen Augen. Schicke, wenn auch manchmal etwas peinliche Upper-Class-Typen und locker tanzende Lindy-Hopper. Zwischendrin zielen die Kameras auch gerne mal auf das Treiben auf dem Wasser nebenan: herumfahrende Yachten, Meeres-Reflexionen, Urlaubsstimmung. Hier herrschte (noch) ein unbeschwertes Lebensgefühl und es gab großartige Musik. Was will man mehr?
Mal abgesehen von ein paar halbherzigen Wiederbelebungsversuchen, ist „Newport“ schon lange Geschichte. Europa aber hat in Sachen Jazz ordentlich aufgeholt und Deutschland hat mit dem Hamburger „Elbjazz“ und seiner charmanten Hafenkulisse mittlerweile sein eigenes „Newport“. Wer „Elbjazz“ in diesem Jahr mal wieder verpasst hat, muss aber nicht traurig sein, denn die nächsten Festivals stecken in den Startlöchern. Zum Beispiel Ende Juni die „Jazzbaltica“ am Timmendorfer Strand. Im Grunde so eine Art „Newport“ in Miniatur. Direkt am niedlichen Hafen in Niendorf und in unmittelbarer Nähe zum Strand gelegen und zumindest teilweise „Open Air“.
Jazz und ein Bade-Urlaub lassen sich hier perfekt verbinden und das Programm gerät fast zur Nebensache. Der Schwede Nils Landgren (das ist der Mann mit der roten Posaune) ist seit dem Umzug vor drei Jahren aus Salzau der Kurator von „Jazzbaltica“ und hat das Festival wieder zu seinen Ursprüngen zurückgeführt. Fast alle Musiker kommen aus Skandinavien und Deutschland. Wer sind nun die Headliner in diesem Jahr? Das ist schwer zu sagen. Es spielen unter anderem Trilok Gurtu, Nils Wogram und Jeff Cascaro, die Braunschweiger „Jazzkantine“ trifft auf die NDR-Bigband.
Große Namen des amerikanischen Jazz finden sich dafür auch in diesem Jahr wieder im Programm der Stuttgarter „Jazz Open“. Das traumhaft schöne, geschmackssichere und mittlerweile langlebige Duo der beiden alten Miles-Davis-Kumpels und heutigen Jazzgiganten Herbie Hancock und Wayne Shorter schmückt jedes Festival und wird am 19. Juli sicher einer der Höhepunkte des 2014er Jahrgangs sein.
Was Deutschland betrifft, sind die beiden in diesem Sommer exklusiv in Stuttgart, werden also nicht von Ort zu Ort herumgereicht wie so viele andere Musiker. Das Festival-Abgeklappere und -Herumgereiche ist ja grundsätzlich gar nicht schlimm und viele Konzerte wären finanziell oft gar nicht anders zu stemmen. Aber das macht es schwer für jeden Veranstalter, einen eigenen Charakter zu entwickeln. Doch braucht man den überhaupt? Vielleicht ist dieser Anspruch ebenso überflüssig wie die Frage, was denn eigentlich in so einem Jazzrahmen präsentiert werden darf und was nicht.
Die alte „What is jazz?“-Diskussion taucht reflexartig zwar immer mal wieder auf, hat sich aber auch ganz schnell wieder erledigt. Der mittlerweile 84-jährige Saxofonist Sonny Rollins hat es neulich noch mal sehr schön auf den Punkt gebracht hat: „Der Jazz ist das Dach, unter dem all das andere seinen Platz hat.“ Man könnte hinzufügen: Es muss sich nur um kreative und besondere Musik handeln. Musik mit Haltung, Relevanz und mit der Offenheit, spontan reagieren zu können. Anders ausgedrückt: Musik des Moments. Und wenn man diese Codes akzeptiert, dann geht es einem besser. Versprochen!
Was bei „Jazzbaltica“ in diesem Jahr fehlt, gibt es bei den „Jazz Open“ in Stuttgart in Hülle und Fülle: große international gefragte Künstler. Unter ihnen Jamie Cullum, Dr. John, Mavis Staples & Gregory Porter – ein gigantisches Programm.
Apropos Porter: der amerikanische Ausnahmesänger mit den schicken Mützen und der Wahnsinnsstimme hat ein heftiges Pensum vor sich. Er ist den kompletten Sommer – auch bei uns in Deutschland – auf Tour. Und zwischen Konzerten in São Paulo, New York und Johannesburg tritt er dann auch gerne mal in Kassel, Wiesen oder Freiburg auf. Ach ja: und in Jena. Auch dort sind ab dem 16. Juli etliche Jazzgrößen auf dem charmanten Theatervorplatz zu erleben. Nebenbei gefragt: Wie schafft Porter diese Ochsentour eigentlich, ohne eine einzige Schweißperle zu verlieren?
Wer das dickste Jazzpaket in diesem Sommer schnüren will, ist wieder in Rotterdam bei „North Sea Jazz“ sehr gut aufgehoben. Dauerbrenner sind natürlich auch die Festivals in Montreux und in Kopenhagen. Und dann gibt es da noch viele kleinere Festivals, die einen Besuch lohnen. Zum Beispiel „Jazz in the Garden“ im wunderschönen Garten des Jüdischen Museums, das am 29. Juni beginnt. Super familienfreundlich (die Konzerte beginnen jeweils sonntags ab 11 Uhr) und der Eintritt ist sogar frei.
All das sind tatsächlich nur ausgewählte Beispiele, wo es in diesem Sommer jazzt. Der Jazz ist ansonsten omnipräsent, unglaublich angesagt und sowieso eine der besten Sommermusiken, die es gibt. Es gibt also keine Ausreden – und das Schöne ist: bei der riesigen Festival-Landschaft hierzulande hat es wohl kaum jemand weiter als 100 Kilometer bis zu einer feinen Jazz-Adresse. Und falls es mal regnet, dann besorgen Sie sich unbedingt den oben genannten Film „Jazz on a summer’s day“. Pflichtprogramm!
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