: Urnengang in einer bizarren Welt
Viele Opfer der Flutkatastrophe halten die Wahlen für „Zeitverschwendung“, doch gerade junge Leute hoffen auf den Beginn einer neuen Zeit
AUS BANDA ACEH NICOLA GLASS
„Diese Wahlen sind für uns sehr wichtig“, sagt Saiful Bahri. Der Student sitzt mit Freunden beim Abendessen in einem Fischrestaurant in Acehs Provinzhauptstadt Banda Aceh. Westliche Popmusik tönt aus einem Radio. Saifuls Freunde – alle in den Zwanzigern – lachen, scherzen, reden. Sie genießen den Frieden, den ihre Generation nie zuvor erlebt hat. Fast dreißig Jahre lang hatte in Aceh ein blutiger Bürgerkrieg zwischen der GAM, der „Bewegung Freies Aceh“, und dem indonesischen Militär getobt, der mindestens 15.000 Menschenleben forderte.
Als der Tsunami vor knapp zwei Jahren die Küste der an der Nordspitze Sumatras gelegenen Provinz überrollte, starben dort an einem Tag fast zehnmal so viele Menschen wie zuvor im Bürgerkrieg. Das Ausmaß der Katastrophe brachte die verfeindeten Parteien zurück an den Verhandlungstisch. Die GAM gab ihren Anspruch auf die Unabhängigkeit der Provinz auf und stimmte ihrer Entwaffnung zu. Im Gegenzug wurde ein Großteil des indonesischen Militärs abgezogen, das rohstoffreiche Aceh bekam mehr Selbstverwaltung zugestanden als alle anderen indonesischen Provinzen. Ein Zeitplan für Wahlen wurde aufgestellt, bei denen auch die GAM Kandidaten stellen sollte. Heute nun können die Acehnesen erstmals seit dem Konflikt selbst über die Besetzung des Gouverneurspostens sowie über Landräte und Bürgermeister entscheiden.
Acehs Zivilbevölkerung hat es unter dem jahrzehntelangen Druck der Konfliktparteien gelernt, ihre Meinung zum politischen Geschehen besser für sich zu behalten. Und so sind auch Saiful und seine Freunde vorsichtig, fragt man sie nach ihrem Urteil zu den acht Kandidatenpaaren für Gouverneur und Vizegouverneur. „Wir favorisieren nicht einen bestimmten Kandidaten“, sagt Saiful. Das Wichtigste sei, dass es unabhängige Kandidaten beim heutigen Urnengang gäbe, die nicht auf dem Ticket der großen indonesischen Parteien fahren.
Allerdings haben auch Kandidaten, die als Parteilose kandidieren, eine politische Vorgeschichte. So wie Djali Yusuf, Exgeneral der indonesischen Streitkräfte in Aceh. Oder der Exkommandeur der GAM, Irwandi Yusuf. Mit der Entscheidung für einen dieser beiden würde man sich nur erneut auf die jahrzehntelangen Grabenkämpfe einlassen einlassen, meint der 29-jährige Amar. „Was würde denn passieren, wenn ich mich für einen Kandidaten entscheiden würde, der früher General bei der indonesischen Armee war oder wenn ich jemanden wähle, welcher der GAM nahe steht?“ fragt Amar, der in der Tourismusbranche arbeitet, eher rhetorisch. Wirklich abschätzen kann er es nicht. Aber zwischen den Stühlen, sagt Amar, hätten die Acehnesen lange genug gesessen. Sein Gesicht bekommt einen eigenwilligen Ausdruck, die großen dunklen Augen funkeln zornig, wenn der 29-Jährige von der Vergangenheit spricht.
Zu tief sitzt das Misstrauen gegenüber der jahrzehntelang von Jakarta bestimmten Politik. Amar erinnert sich noch gut an die Zeiten, in denen indonesische Militärs einfach Menschen erschossen, nur weil diese keinen Ausweis dabeihatten. Nach Krieg und Tsunami wollten die Menschen jetzt nur Frieden und Wiederaufbau und dafür sei auch der heutige Urnengang wichtig: „Wir wählen doch für uns, damit es hier endlich wieder aufwärts geht!“
Das Szenario für den Wahlkampf spielt sich in einer bizarren Welt zwischen Trümmern und Wiederaufbau ab. Wenige Minuten vom Zentrum Banda Acehs entfernt ist die Straße nicht mehr befestigt, Schotterpisten münden in kleine Feldwege. Nach der Flutwelle war alles hier Schlammwüste. Die bunten Transparente der Wahlkandidaten flattern im Wind und wirken seltsam deplatziert. Inmitten von Wiesen, Bergen und nahe der See entstehen neue Häuser neben Mauerresten, die von Gras und wilden Blumen überwuchert werden.
Manche Acehnesen haben mit der Wahl nicht viel am Hut. Um eine alte Frau, die vor dem Eingang ihres Holzhäuschens hockt, tobt eine Kinderschar. Wen sie den zum Gouverneur wählen würde? Achselzucken. Ein vom Tsunami schwer getroffenes Fischerdorf hat jedenfalls schon abgewinkt: Die Wahlen, hieß es dort, seien „Zeitverschwendung“, die Politiker hätten rein gar nichts für die Flutopfer getan. Im Zentrum von Banda Aceh dröhnt dagegen der Verkehr, Restaurants mit europäischer Speisekarte haben hier eröffnet. Im ersten internationalen Vier-Sterne-Hotel der Stadt kostet ein Stück Torte mehr als ein indonesisches Mittagessen.
Viele der insgesamt 2,7 Millionen Wahlberechtigten sind bis heute unsicher, wem sie ihre Stimme geben sollen. Frieden, wirtschaftlichen Aufschwung und ein Ende der allgegenwärtigen Korruption erwarteten die Acehnesen von der Wahl, sagt Cut Famelia vom Aceh Institute, das sich mit Konfliktforschung und sozialpolitischen Fragen beschäftigt. „Die Menschen wollen nicht mehr angelogen werden“, betont die junge Frau in Anspielung auf das Gebaren lokaler Politiker und der Zentralregierung in Jakarta. „Trotz des Friedensbedürfnisses bleibt ein großer Teil der Bevölkerung abwartend und skeptisch“, urteilt auch Klaus Schreiner vom Koordinationsbüro der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ). Oft genug habe die Zentralregierung ihre Versprechen nicht eingehalten. Im Reintegrationsprozess für ehemalige GAM-Kämpfer sollten Mittel fließen, die den Exrebellen und ihren Familien die Rückkehr ins normale Leben ermöglichen sollten. „Doch dieser Prozess verläuft schleppend und intransparent“, so Schreiner. Das habe bei jenen, die bisher kein Geld erhielten, zu Unmut geführt.
„Aceh braucht endlich eine richtige Regierung“, sagt der Geschäftsmann Shalahuddin Alfata, der sich als unabhängiger Anwärter um den Posten des Vize-Gouverneurs bewirbt. „Diese Regierung muss in der Lage sein, die mit dem Friedensvertrag festgeschriebenen Interessen Acehs umzusetzen“, sagt Alfata. Alle Kandidaten reklamieren natürlich für sich, nur das Beste für die Provinz zu wollen.
Doch Kritiker sehen wenig Substanz in der Programmatik der Kandidaten. „Die Frage ist, ob uns diese Wahl Volksvertreter beschert, die die Fähigkeit und den Willen haben, mit alten Gewohnheiten zu brechen“, so der bekannte acehnesische Menschenrechtler Aguswandi. „Dass die Wahlen friedlich verlaufen und viele Menschen an die Urnen gehen, ist dafür noch keine Garantie.“
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