: Verdorrende Oasen-Schönheit
TUNESIEN Prinzessin der Sahara wurde die Oase Nefta genannt. Der spirituelle Ort mit seinen Moscheen, Marabuts und Sufis darbt heute vor sich hin
■ taz-Reisen in die Zivilgesellschaft: Auch im Jahr 2011 gibt es die Möglichkeit, Kairo und die Oase El Fayoum mit der taz kennenzulernen: Begegnungen mit Menschen, die sich im sozialen, ökologischen, kulturellen und politischen Bereich engagieren (u. a. Fair-Trade-Kooperativen), gehören ebenso zum Programm wie Führungen durch die Altstadt von Kairo, Bummeln durch den Basar, Entspannen in kleinen Cafés, ein Besuch bei den Pyramiden und eine Fahrt mit einer traditionellen Feluka auf dem Nil.
■ Termine: 8.–16. April; 7.–15. Oktober. Informationen und Kontakt: www.taz.de/tazreisen; tazreisen@taz.de; (0 30) 2 59 02-1 17
VON EDITH KRESTA
Verteilt den Wohlstand des Landes“ war auf Transparenten von über tausend Demonstranten in der Hauptstadt Tunis zu lesen. Die Polizei ging mit Schlagstöcken gegen die Menge vor. Sicherheitskräfte hatten zuvor bei einer Protestkundgebung gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit in der Stadt Menzel Bouzayane das Feuer auf Demonstranten eröffnet, dabei wurden ein Mensch getötet und zwei weitere verletzt. Die Proteste gegen die Arbeitslosigkeit begannen mit dem Selbstmord eines verzweifelten Hochschulabsolventen, berichteten die Nachrichtenagenturen vor ein paar Tagen.
Mounir, Reiseführer im Süden Tunesiens, der behänd Dattelpalmen erklettern kann, zeigt mir die Oase Nefta: eine große Palmenoase am Rande des Salzsees Chott El Djerid. Er wundert sich nicht über die neuen, negativen Schlagzeilen. „ ‚Verteilt den Wohlstand des Landes‘ könnte man auch hier in Nefta fordern“, erzählt er erstaunlich offen. „Das ganze Geld fließt in die 25 km entfernte schrille Walt-Disney-Oase Tozeur mit ihren Luxushotels“, schimpft er. Nefta liege außerhalb der Interessen „potenter Geldclans“, die im Land alles bestimmen. Es darbt vor sich hin. Hier wie anderswo hätten Jugendliche null Perspektive. „Es herrscht eine korrupte, dreiste, repressive Klientelwirtschaft“, wettert er.
■ Das Musée des Civilisations Arabo-Berberes: Ibn Khaldoun mit Fotos des Österreichers Rudolf Franz Lehnert ist ein Highlight bei einem Südtunesien-Besuch. Es zeigt mehr Geschichte als die üblichen folkloristischen Ausstellungen. www.nefta-tunisie.com
■ Die Oase: Der Besuch der Altstadt ist sehr empfehlenswert. Vor allem die Symbole an den Pforten der Häuser zeigen, wie Christen, Juden und Muslime hier jahrhundertelang zusammenlebten. Sie sollten sich dafür unbedingt im Syndicat d’Initiative, Avenue Habib Bourguiba, Tel. +002 16 76 43 02 36, einen Führer nehmen.
■ Sandrosen-Markt: Zehn Kilometer hinter Nefta, Richtung algerische Grenze, finden Sie am Rand des Chott El Djerid eine große Auswahl dieser schönen Gebilde. Sand- oder Wüstenrosen entstehen beim Verdunsten des Bodenwassers. Der zurückbleibende Gips bildet mit den Sandkörnern rosettenartige Gipsaggregate.
■ Übernachtung: Die Hotellandschaft Neftas ist fast tot, außer dem Caravanserail Hotel Nefta gibt es nicht mehr viel. Zone Touristique Palmernie de Nefta.
Nefta ist ursprünglicher, geheimnisvoller, ruhiger als das bekanntere Tozeur. „Prinzessin der Sahara“ wurde Nefta genannt. Die Oase Corbeille trennt Alt- und Neustadt voneinander. Die Oase wird gespeist von 152 warmen und kalten Quellen. Doch auch hier kämpfen die Bauern mit Wassermangel, zu dichter Bepflanzung und Zerstückelung der Parzellen.
Mounir zeigt mit die Szenerie von der Aussichtsplattform über dem Ort. Das dortige Café de la Corbeille ist geschlossen, die in ein großes Betonbecken gefasste Quelle unten im Palmenhain ausgetrocknet. Dieses warme Schwimmbad, wo sich die Jugendlichen trafen, gibt es nicht mehr. Der touristische Aussichtspunkt der Oase wirkt so merkwürdig verloren.
■ Galerie Tozart: Mit ihren Gemälden und Postern präsentiert die Künstlerin Bribech Raouha traditionelle Motive auf moderne Art. Ihr Lebensweg als Frau in Tozeur ist ungewöhnlich. Hier gibt es außergewöhnlich schöne Souvenirs einzukaufen. Rue de Kairouan, Medina, raoudha.bribech@yahoo.fr, Tel. 98 62 96 76
■ Kulturzentrum: In einem Innenhof der Altstadt veranstaltet Hoch El Ebbes Musikabende für Touristen mit der traditionellen Sufi-Musik. Ein schöner Ort zum Entspannen und Teetrinken. Rue de Kairouan, Medina.
„Nefta war Hauptstation der Karawanen und schon immer ein spirituelles Sufi-Zentrum“, erzählt Mounir. „Es lag am Schnittpunkt der Karawanenwege in den Süden, vor allem nach Algerien.“ Mit dem Islam im 8. Jahrhundert kam auch der Sufismus nach Nefta, dessen Anhänger das religiöse Leben in der Oase über einen großen Zeitraum mitbestimmten. 24 Moscheen und über 100 Marabuts, die weißen Gräber von Heiligen, verteilen sich über die ganze Oase. Nach Auffassung der Sufis existiert neben den im Koran niedergelegten Regeln noch eine spirituelle Ebene, die den Weg zu Allah zeigt. Durch persönliche Hingabe, Askese und Weltentsagung versucht der Mystiker in direkten Kontakt zu Gott zu treten. Zu heiligen Männern in Nefta pilgerten Tunesier und ausländische Prominenz, darunter, so wird gemunkelt, der französische Staatspräsident Jacques Chirac und die Schauspielerinnen Brigitte Bardot und Catherine Deneuve. „Sie stiegen selbstverständlich in Präsident Bourguibas Lieblingshotel, dem Sahara Palace ab“, sagt Mounir. Von der Bar dieses inzwischen geschlossenen Luxushotels hatte man einen wunderschönen Blick auf die Oase und die Altstadt.
Die Altstadt von Nefta ist eine typische Medina mit verwinkelten Gassen und sandfarbenen Ziegelbauten. „Nefta wurde von Arabern aus der irakischen Stadt Koufra gegründet. Bis heute tragen die Frauen die irakischen Trachten“, erklärt Mounir. als eine schwarz vermummte, kleine Frau an uns vorbeihuscht. Die lebhafte Place d’Independance in der Altstadt mit ihren Läden und der Markthalle lohnt einen Besuch. Das Café am Marktplatz lässt Orientfantasien wirklich werden: Männer kauern am Boden, rauchen Wasserpfeife und spielen versunken Brettspiele. Eine Zeitreise.
■ Die Fotos zu Ägypten und Tunesien stammen aus dem Archiv des Fotografen Rudolf Lehnert (1878–1948) und seines Geschäftspartners Ernst Landrock (1878–1966). Sie hatten von 1904 bis 1939 in Tunis und Kairo ein Fotostudio und einen Verlag. Die ausdrucksstarken Bilder zeigen die Schönheit der Wüstenregionen.
■ Die Aufnahmen zu Ägypten sind auch in Buchform veröffentlicht: „Im Land der Pharaonen – Ägypten in historischen Fotos“, Rudolf Lehnert und Ernst Landrock, Vorwort von Nagib Machfus, Text von Walter M. Weiss, Palmyra, 188 S., 219 Schwarzweißfotos, 29,90 Euro
Noch steht das alte französische Gartenrestaurant am Flussbett der Oase und erzählt mit leckeren Menus von interessanteren Zeiten. Doch Nefta, das spirituelle Zentrum Tunesiens, fällt in den Dornröschenschlaf der Vergessenheit. Zwar halten an der Altstadt mit den geduckten überdachten Gassen und den antiken Portalen mit dem Symbol Fisch und Davidstern die Touristenbusse, aber niemand verweilt hier. Die Touristen lassen das Geld im benachbarten Tozeur. „Es wird immer schwieriger, im Tourismus Geld zu verdienen, beklagt der zahnlose, freundliche Herr im Syndicat de Tourism. „Einst hieß es: Wenn du ins Paradies willst, dann gehe in die Oase Nefta. Das ist lange vorbei.“
Eine Vorstellung, was damit gemeint ist, bekomme ich im Musée des Civilisations Arabo-Berberes Ibn Khaldoun. Eindrucksvolle Schwar-Weiß-Fotos und nachkolorierte alte Bilder im Großformat zeigen das Leben in der Oase. Die wunderschönen alten Fotos des einst so bedeutenden und heute so vernachlässigten Neftas – unter anderem von dem dem österreichischen Fotografen Rudolf Lehnert – sind um die Jahrhundertwende entstanden. Man kann sich ihrer Harmonie und Schönheit nicht entziehen. Brahim Jallabi, der Initiator und Chef des Museums, führt uns. Auch er, lange Zeit Anwalt in Paris, beklagt den Niedergang der geschichtsträchtigen Oase, wo er geboren wurde. „Nefta verblüht“, sagt er „und wir können nur ein bisschen seiner alten Schönheit zeigen.“
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