piwik no script img

Gezerre unterm Regenbogen

FAMILIENFEHDE Stonewall Parade wollte der Vorstand des CSD e. V. den diesjährigen Umzug am Christopher Street Day nennen. Die Mitglieder fühlten sich übergangen, reagierten erbost – und mit einem eigenen Gegenumzug. Dabei wollen alle Akteure ironischerweise dasselbe: einen politischeren CSD. Stattdessen ergeht man sich in Scharmützeln

Ein CSD – viele Umzüge

■ Die offizielle Parade wird vom CSD e. V. veranstaltet und führt unter dem Motto „LGBTI*-Rechte sind Menschenrechte“ vom Kurfürstendamm Ecke Olivaer Platz zum Großen Stern. Los geht’s um 12.30 Uhr, ab 17 Uhr soll die große Party an der Siegessäule steigen. Rund eine halbe Million Teilnehmer werden erwartet. Abschlussparty: ab 23 Uhr im GMF, Karl-Marx-Allee 34, Mitte. CSD-Lesbenparty: ab 22 Uhr, Huxleys Neue Welt, Hasenheide 107–113, Neukölln. Am Vorabend: Stonewall Gala im Deutschen Theater. Vergeben wird unter anderem der Soul of Stonewall Award – an Menschen oder Institutionen, die sich um LGBTI*-Rechte verdient gemacht haben. Programm und Tickets: csd-berlin.de

■ Das Aktionsbündnis startet an der Axel-Springer-Straße. Die Route führt an mehreren politischen Institutionen vorbei, um gegen homophobe Gewalt zu demonstrieren. Zwischenhalt ist etwa vor der Ugandischen Botschaft.

■ Der Transgeniale CSD läuft auch an diesem Jahr wieder durch Kreuzberg. Start ist um 16 Uhr auf dem Oranienplatz, über die Oranienstraße geht’s zur Abschlusskundgebung am Heinrichplatz. Das Motto der Organisatoren, allesamt Einzelaktivisten: „Die Oranienstraße ist keine Einbahnstraße – Solidarität auch nicht!“ (taz)

VON GESA STEEGER

Am Anfang des Gay Pride steht eine Schlägerei. Es ist die Nacht des 27. Juni 1969. Die Nacht, in der die Schwulen-Ikone Judy Garland in New York beerdigt wird und Tausende ihrer Anhänger in die Stadt strömen, um ihrem Star die letzte Ehre zu erweisen. Es wird getrauert – und getanzt und getrunken.

Das Stonewall Inn, eine angesagte Homosexuellen- und Transbar in der Christopher Street im Stadtbezirk Greenwich Village, ist brechend voll. Plötzlich stürmen Polizisten das Lokal, Gäste wehren sich. Es kommt zu Handgreiflichkeiten. Schließlich brennen Autos, Steine werden geschmissen und tagelange Proteste erschüttern New York City. In den Tagen danach formieren sich die ersten Homosexuellengruppen, Heteros solidarisieren sich mit ihnen: Die internationale schwul-lesbische Bewegung erlebt ihre Geburtsstunde.

45 Jahre später in Schöneberg, Berlins schwulem Zentrum. Von den Fassaden winken fröhliche Regenbogenflaggen herab, verliebte Jungs flanieren Händchen haltend. Cruisingbars, schwule Dating-Treffs, öffnen ihre Pforten schon am frühen Mittag. Mitten in all dem Trubel, in einem kleinen Straßencafé: Ralph Ehrlich, ehrenamtliches Vorstandsmitglied der Berliner Aidshilfe e. V., vor einem Glas Wasser. Genervt zieht er an seiner Zigarette: „Wenn der CSD e. V. seine Aufgabe vernachlässigt, müssen wir eben diese Lücke füllen.“

In der Berliner LSBTI*-Community gärt es. Grund der Aufregung: Die Feierlichkeiten rund um die Parade des diesjährigen Christopher Street Day, kurz CSD. Anfang dieses Jahres schlägt der Veranstalter des Berliner CSD, der CSD e. V., seinen Mitgliedern vor, die Parade künftig in Stonewall Parade umzubenennen. Die Marke Stonewall, heißt es weiter in dem zweiseitigen Stonewall-Konzept, sei bereits zum Patent angemeldet und der CSD e. V. solle in eine ganzjährig tätige NGO umgewandelt werden. Damit wolle man sich gegen Kommerzialisierung zur Wehr setzen und den politischen Anspruch der Parade betonen.

Doch statt auf Zustimmung, trifft der Vorschlag auf massiven Protest. Die Berliner Community geht auf die Barrikaden. Es kommt zum Streit – und die gemeinsamen politischen Inhalte drohen ins Abseits zu geraten.

Offenbar streitet man sich dabei weniger um die Sache an sich – gegen mehr politischen Anspruch auf dem CSD hat keiner der beteiligten Akteure etwas einzuwenden –, sondern lediglich um den Weg zum Ziel und verhindert so wiederum, ironischerweise, jede tatsächliche inhaltliche Auseinandersetzung damit, was man sich eigentlich von einem wie auch immer „politischeren“ CSD erwartet.

Ehrlich schüttelt ärgerlich den Kopf, wenn er an die CSD-Mitgliederversammlung Ende Januar zurückdenkt: „Wir alle sind von dem Konzept völlig überrumpelt worden.“ Lediglich eine Stunde Zeit habe man für die Abstimmung gehabt, erinnert er sich. Danach sei klar gewesen: Mehrheitlich stimmen die Mitglieder für das Konzept. Doch die Berliner Aidshilfe e. V. und eine Handvoll andere Organisationen und Privatpersonen fühlen sich übergangen: „Wir hatten weder Zeit, um unsere Mitglieder zu befragen, noch konnten wir einzelne Details besprechen.“

Wie, fragt Ehrlich, will sich der CSD e. V. als ganzjährige NGO finanzieren? Wie personell aufstellen? Welche Aufgabenfelder will man bearbeiten? Was genau hat der Verein mit dem Patent der Marke Stonewall vor? Der Vorstand sei nicht ausreichend auf solche Fragen eingegangen. Darüber hinaus sei eine Unbenennung von CSD in Stonewall Parade eine gravierende Veränderung, die man nicht mal schnell in einer Mitgliederversammlung beschließen, sondern möglichst mit allen Teilen der Community besprechen müsse.

Gemeinsam mit anderen Aktivisten fordert der 51-Jährige daher auf einem öffentlichen CSD-Forum Ende Februar den CSD-Vorstand auf, das Stonewall-Konzept für 2014 auszusetzen. Als dieser der Forderung nicht nachkommt, tritt die Berliner Aidshilfe e. V. kurzerhand aus dem CSD e. V. aus und ruft gemeinsam mit anderen empörten Mitgliedern und Unterstützern einen eigenen CSD-Umzug ins Leben (siehe Grafik): das Aktionsbündnis CSD Berlin 2014.

Droht die Spaltung?

„Wir wollen eine Anlaufstation sein für diejenigen, die sich nicht von der offiziellen CSD-Parade repräsentiert und gehört fühlen“, erklärt Ehrlich. Rückendeckung bekommt das Bündnis unter anderem vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) und den queeren Arbeitsgemeinschaften von Grünen, SPD, Linken und CDU.

Droht der Community die Spaltung? Davon will Ralph Ehrlich nichts wissen: Das Bündnis sei als Alternative gedacht. „Wenn man nicht auf eine Party gehen möchte, weil man die Musik da nicht mag, dann macht man eben eine eigene Party.“ Anstatt der üblichen zwei CSD-Märsche – der offiziellen CSD-Parade am Ku’damm und dem Transgenialen CSD, dem alternativen Umzug durch Kreuzberg – werde es dieses Jahr eben noch eine weitere Party geben. So what.

So what? Unweit des U-Bahnhofs Nollendorfplatz, in einem rumpeligen Ladenbüro: Er sei erleichtert, wenn der Juni vorbei ist, sagt Robert Kastl, Geschäftsführer des Berliner CSD e. V., und lächelt müde. „Hätten wir gewusst, dass ein derartiger Sturm wegen eines Namens losbricht, wären wir die ganze Sache anders angegangen.“

Aufgrund des Protests hat sich der CSD e. V. mittlerweile dazu entschlossen, den ursprünglichen Namen weiterzuführen. In der Hoffnung, so wieder mehr über politische Inhalte sprechen zu können. Denn um die gehe es ja eigentlich bei dem Stonewall-Konzept, so Kastl.

Die Kritik der Aktionsbündler könne er zwar in Teilen nachvollziehen – die Umbenennung sei schon eine Hauruckaktion gewesen. Dass man aber wegen einer Namensänderung einen derartigen Aufruhr mache, sei ihm unverständlich. Ob der Marsch jetzt CSD-Parade, Stonewall Parade oder Homo-Parade heiße, sei doch egal, findet er. Wichtig, betont Kastl erneut, seien doch die politischen Inhalte.

Und der Vorwurf, der Verein wolle das Patent an der Marke Stonewall für finanzielle Interessen ausschlachten? Völlig aus der Luft gegriffen, sagt Kastl. „Unser Ziel ist: weniger Kommerz, mehr Inhalt.“ Man wolle den CSD weder abschaffen noch zum Geldverdienen missbrauchen, im Gegenteil – und vor allem wolle man auch nicht, dass andere das tun. „Jedes Hotel bietet mittlerweile CSD-Specials an“, erzählt der 43-Jährige. „Die Kommerzialisierung dieses Begriffes ist völlig außer Kontrolle geraten.“

Als NGO könnte sich der CSD e. V. das ganze Jahr darum kümmern, Diskriminierung und Benachteiligung von Homosexuellen ins öffentliche Blickfeld zu rücken, überlegt Kastl. Das, allerdings, haben sich auch schon Organisationen wie der LSVD auf die Fahnen geschrieben.

„Die Kommerzialisierung des Begriffs CSD ist völlig außer Kontrolle geraten“

ROBERT KASTL, VORSTAND CSD E. V.

Man sehe sich ja auch nicht als Konkurrenz zu bereits bestehenden Strukturen, sondern als Ergänzung, wiegelt Kastl ab. Aber öffentliche Aktionen, die auch mal ein bisschen „frecher“ seien, als das bisher die Regel war – das könnte sich Kastl gut vorstellen. „Wenn der LSVD der WWF ist, sind wir Greenpeace.“

Eine Straßenecke weiter, ein charmanter Altbau im Gründerzeitstil. Im Erdgeschoss eine 24-Stunden-Sexbar, im ersten Stock ein Bordell, im zweiten und dritten Geschoss ein Hotel für schwule Männer. Sie seien im Haus die Spießer, sagt LSVD-Geschäftsführer Steinert lachend und führt in einen hellen Besprechungsraum.

Jörg Steinert, wild gemustertes Hemd, jungenhafte Ausstrahlung, erzählt, wie schwer sich der LSVD damit getan habe, sich in dem Stonewall-Streit zu positionieren. Man habe sich aber schließlich dazu entschieden, auf der Demo des Aktionsbündnisses mitzulaufen. Die Abstimmung über das Stonewall-Konzept sei einfach zu undemokratisch und undurchsichtig verlaufen. „Da wollten wir nicht mitziehen“, sagt der 32-Jährige.

„An einem Strang ziehen“

Trotzdem hinterlasse die ganze Angelegenheit einen bitteren Beigeschmack. „Unsere politischen Ziele rücken momentan in den Hintergrund.“ Auch seien viele Menschen verunsichert und wüssten nun nicht, wohin am 21. Juni, erzählt Steinert. „Denen sage ich dann immer: Hauptsache, ihr geht auf die Straße und zeigt euch. Egal, ob Demo oder Parade.“

Denn Sichtbarkeit sei wichtig, auch in einer liberalen Stadt wie Berlin, sagt Steinert. Er erzählt von einer Regenbogenfamilie, der kürzlich die Familienkarte im Schwimmbad verwehrt wurde. „Wir müssen an einem Strang ziehen, wenn solche Situationen nicht mehr vorkommen sollen“, sagt er.

Für dieses Jahr ist die Chance wohl vertan. Und 2015? Gibt es durchaus Hoffnung auf ein bisschen mehr Frieden in der großen Berliner Gay-Familie: Das Aktionsbündnis 2014 soll eine einmalige Protestaktion bleiben – falls nicht von irgendwoher noch ein neuer Zankapfel vom Regenbogen fällt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen