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Alles spielt sich im Kopf ab

MUSIKTHEATER Das Festival „Infektion!“ der Staatsoper eröffnet mit Salvatore Sciarrinos Monodram „Lohengrin“

Die Instrumente imitieren zunächst den Geräuschcharakter der Sprechrolle, später verschwimmt die Musik zu einem kaum merklich sich variierenden Flirren, das matt im Hintergrund leuchtet

Ein edler Ritter, doch unnahbar. Lohengrin hilft, wo er kann, aber nur unter einer Bedingung: Nach seinem Namen darf ihn niemand fragen. Selbst die von ihm errettete Königstochter Elsa nicht, obwohl sie seine Braut wird. Als sie es in der Hochzeitsnacht trotzdem tut, verliert sie prompt ihren Gatten, der sich darauf in seinem Boot, von einem Schwan gezogen, entfernt.

Von dieser Ehetragödie nach Richard Wagner bleibt in Salvatore Sciarrinos „Lohengrin“ nur die Hochzeitsnacht. Und in der bleibt die Ehe unvollzogen. Das Monodram, mit dem das Festival „Infektion!“ der Staatsoper am Samstag eröffnete, schildert Elsas Perspektive, wie sie um Lohengrin wirbt, der sich ihr entzieht und passiv bleibt. Am Ende wartet sie allein auf ihn – oder hat er sie schon verlassen?

So oder so wird Lohengrin nicht erscheinen. Diese Elsa ist auch keine Königstochter, sondern die Insassin einer psychiatrischen Klinik. „Azione invisibile“, unsichtbare Handlung, hat Sciarrino sein Stück nach dem symbolistischen Dichter Jules Laforgue im Untertitel genannt, da der Großteil der Handlung zwangsläufig den Blicken entzogen bleibt. Das Drama Elsas spielt sich in ihrem Kopf ab. Auf der Bühne liegt neben ihr im Bett zwar ein Mann, der bleibt jedoch stumm. Allenfalls geht er ab und zu ins Bad nebenan, um sein Gesicht zu benetzen, oder er mümmelt versunken ein Butterbrot in sich hinein.

Elsa, mit fast schon beunruhigend konzentrierter Entrücktheit gespielt von der Schauspielerin Ursina Lardi aus dem Ensemble der Schaubühne am Lehniner Platz, singt ihre Partie nicht, sondern spricht ihren inneren Dialog. Wenn sie keine Worte formt, dann gurrt, schnalzt, gurgelt, rotzt und hustet sie in einem fort. Oder sie zieht die Luft beim Sprechen ein und entlockt ihrem Organ so noch die feinsten Schattierungen gequälten Besessenseins.

Es ist ein Wahnsinn, der sich genauso über den Text wie über den Körper der Stimme mitteilt.

Die drei Männerstimmen, die gelegentlich singend zu hören sind, agieren hinter der Bühne. Die eigentlichen musikalischen Akteure sind die Instrumente. Zunächst scheinen sie den Geräuschcharakter der Sprechrolle zu imitieren, später beginnt sich die Musik abzukapseln, verschwimmt zu einem stehenden, kaum merklich sich variierenden Flirren, das matt im Hintergrund leuchtet.

Introspektive Wendung

Sciarrino gibt dem Wort „Musiktheater“ einen ganz eigenen Sinn: Statt ein zeitgemäßes Etikett für die Gattung Oper zu verwenden, lässt er die Musik selbst die Rolle des Theatralischen übernehmen. Handlung ist hier gleichermaßen Sache der Worte und Stimme wie der Musik. Die Inszenierung von Ingo Kerkhof nimmt diese introspektive Wendung so ernst, dass die wenigen Regieanweisungen des Librettos lediglich als Text an die Wand projiziert werden. Auch das von Elsa beschworene Kissen, das sich zum Ende der zweiten Szene in einen Schwan verwandelt und durch das Fenster davonfliegt, wird nicht ins Bild gesetzt.

Mit „Lohengrin“ setzt die Staatsoper einen auf stille Weise spektakulären Auftakt für das Festival, in dem auch Morton Feldmans Oper „Neither“ nach einem Gedicht Samuel Becketts oder Kurt Weills und Bert Brechts „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ zu sehen sind. Schön auch, dass Sciarrinos 1983 uraufgeführtes Werk um ein Kammerkonzert mit Streichquartetten des Komponisten ergänzt wird. Am 21. Juni widmet sich auch ein Symposium der Frage nach „Gender, Stimme und Performanz im Musiktheater Salvatore Sciarrinos“. TIM CASPAR BOEHME

■ Staatsoper im Schillertheater, bis 1. Juli, nächste Termine „Lohengrin“ 16., 18., 19., 21. und 22. Juni. Das Kammerkonzert I findet heute statt

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